“Wir brauchen einen Deal-Macher-Spirit"
Jetzt für Artenschutz unterschreiben- Im Gespräch
Jannes Stoppel ist für Greenpeace Deutschland auf der Weltnaturkonferenz in Montreal. Zur Halbzeit fordert der Biodiversitäts-Experte konkrete Naturschutzmaßnahmen – auch zum Schutz indigener Gemeinschaften (Foto: Protestmarsch anlässlich der Konferenz)
Greenpeace: Jannes, die Weltnaturkonferenz ist jetzt seit ein paar Tagen in Gange. Was war bisher dein persönlicher Konferenzmoment?
Jannes Stoppel: Wir haben dieses Mal neun Plätze unseres Greenpeace-Kontingents an indigene Vertreter:innen aus Indonesien, dem Kongo, dem Amazonas und Kanada gegeben, damit sie hier ihre Stimme erheben können.
Um die Hoffnung für einen ambitionierte Vereinbarung am Ende dieser Konferenz nicht zu verlieren, war außerdem die Demo am vergangenen Wochenende besonders motivierend.
Sie stand ganz unter dem Motto, dass indigene Gemeinschaften die besten Hüter der Natur sind und ihre Rechte und ihre Rolle hier in den Verhandlungen ein starkes Gewicht haben müssen.
Es sind unzählige Organisationen auf der Konferenz präsent. Was genau ist eigentlich deine Aufgabe?
Meine Aufgabe ist es, die Verhandlungen zu beobachten. Dies ist auch unser offizieller Status. Wir dürfen in den Verhandlungen sitzen und notieren, welche Länder wann und an welchen Stellen die Verhandlungstexte verbessern oder verschlechtern. Auf dieser Grundlage analysieren wir, wie die Verhandlungen voranschreiten und auf welche Kompromisse sich die Länder einlassen. Unsere Expertise bieten wir dann den Medien an und versuchen mit Vertreter:innen der Länder über wichtige Themen ins Gespräch zu kommen.
Die Weltnaturkonferenz ist ein internationales Treffen von 196 UN-Vertragsstaaten, die über die Zukunft der Mensch-Naturbeziehung verhandeln. Es geht um ein dramatisches Thema: Wir befinden uns im von Menschen verursachten sechsten Artensterben. Wie ist die Stimmung vor Ort?
Die Konferenzteilnehmenden stehen unter großem Druck. Hier soll ein ähnliches Abkommen beschlossen werden, wie das Klimaabkommen von Paris – nur eben für den Natur- und Artenschutz. Es geht darum, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, die die Basis für unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, aber auch für jedes einzelne Menschenleben auf der Erde sind. Der UN Generalsekretär bezeichnete das bisherige Verhalten der Menschen auf dem Planeten als Massenvernichtungswaffe, die kontinuierlich Lebensformen auf diesem Planeten auslöscht.
Diese Konferenz muss dringend die richtigen Schritte beschließen, um diese Waffe zu entschärfen.
Hast Du das Gefühl, dass den teilnehmenden Staaten überhaupt der Ernst der Lage bewusst ist?
Am Ende verhandeln hier nicht Biolog:innen, Aktivist:innen und indigene Vertreter:innen. Hier verhandeln Staaten, die auch im Interesse ihrer Wirtschaft sprechen. Es gibt durchaus eine Großzahl von Ländern, die sich für eine gute Vereinbarung einsetzen. Ob sie allerdings gut genug wird, um der Biodiversitätskrise wirklich entschlossen entgegenzutreten, bezweifle ich.
Warum?
Die Qualität des möglichen Abkommens hat schon in den ersten Tagen Federn gelassen. Bisher ist alles sehr wolkig. 80 Prozent der Artenvielfalt der Erde liegt beispielsweise in Gebieten, die von indigenen Gemeinschaften bewohnt werden. Deshalb müssen indigene Rechte besonders geschützt werden. Dafür ist ein guter Schutz von besonders biodiversen und unberührten Gebieten notwendig, die eine industrielle Nutzung und andere schädliche Aktivitäten ausschließt. Dies sollte bis 2030 auf mindestens 30% aller Land, Süßwasser und Meeresflächen der Erde geschehen.
Mindestens 20% der übernutzten Flächen müssen bis 2030 zudem ökologisch aufgewertet und renaturiert werden. Was aber genauso wichtig ist, ist, dass die Hauptverantwortlichen der Naturzerstörung durch neue Gesetze in ihre Schranken gewiesen werden, Subventionen für schädliche Aktivitäten eingestellt und für ökologische, besser verträgliche Wirtschaftszweige ausgegeben werden. Hier fehlt es überall noch an Verbindlichkeit.
Was hat dich inhaltlich am meisten überrascht bzw aufgeregt?
Auf welch schlechtem Stand die Vorverhandlungen waren, als ich angekommen bin. Die verhandelnden Länder hatten hier anfangs noch viele Unstimmigkeiten.
Und durch diese schlechte Vorbereitung wird hier schnell verhandelt. So haben die Länder keinen Widerspruch gegen den Vorschlag eingelegt, dass die qualitätssichernden Prinzipien für die Umsetzung der Ziele zu möglichen Erwägungen herabgestuft wurden. Dies bedeutet, dass sich die Staaten nicht an diese Prinzipien bei der Umsetzung der Ziele halten müssen, sondern Punkte wie die Rechte der Indigenen in Erwägung ziehen können – oder halt auch nicht. Das hat mich wirklich aufgeregt. Zumindest die EU hätte Widerstand leisten müssen. Aber noch ist auch zu diesem Punkt das letzte Wort nicht gesprochen.
Gibt es trotzdem etwas, was dich inhaltlich positiv überrascht hat?
Dass es doch voran geht. So hat zum Beispiel die Verhandlungsleitung, die für den Bereich Ressourcenmobilisierung zuständig ist, einen guten Vorschlag für den weiteren Prozess vorgelegt. So soll eine Strategie für 2023 und 2024 die Finanzierung und den Ressourcenaufbau für die schnelle Umsetzung der Ziele garantieren. Die Länder waren mit dem Vorschlag überwiegend zufrieden und ich hoffe, dieser Vorschlag führt dazu, dass einige Blockaden in den Verhandlungen aufgebrochen werden können.
Gibt es so etwas wie einen Weltnaturkonferenz-Spirit, der entstehen könnte?
Das hängt sehr von den nächsten Tagen ab. Da noch so viel zu tun ist, ist die Lage prekär und fordert die Länder heraus, Kompromisse zu machen. Wenn Länder sich nicht an dem orientieren, was hier erreicht werden soll, sich zu sehr auf die eigenen Interessen beziehen und blockieren, kann diese Verhandlung auch schnell eskalieren. Wir brauchen jetzt hier einen Deal-Macher-Spirit, der die Länder mitzieht, ohne die Ambition und Qualität im Prozess zu verlieren.
Worauf schaust Du besonders in den kommenden Tagen? Was ist spannend?
Ich werde weiter die Verhandlung der Ziele beobachten und die Verhandlungen zur Ressourcenmobilisierung. Täglich gibt es stundenlange Sitzungen, die bis spät in die Nacht gehen. Das klingt vielleicht langweilig, aber ich finde es super spannend, wenn sich die Länder der Welt über jedes Wort auseinandersetzen, um etwas gemeinsam zu erreichen. In diesem Fall muss es in einem ambitionierten Abkommen zum Schutz der Natur führen.
Was muss passieren, damit Du diese Konferenz am Ende mit einem positiven Gefühl verlassen kannst?
Die Rechte von indigenen Gemeinschaften, mit denen wir hier zusammenarbeiten, müssen zwingend gesichert werden. Außerdem braucht es einen guten Plan, wie die Finanzen und Kapazitäten für eine schnelle Umsetzung garantiert und langfristig abgesichert werden können. Die Fortschritte der Länder müssen vergleichbar bemessen werden können. Am Ende dieser Konferenz muss hier ein neuer Deal für die Natur beschlossen werden, der es ernst meint. Leere Worthülsen werden wir nicht akzeptieren.