Studie der Naturwald-Akademie: 90 Prozent des deutschen Waldes in schlechtem Zustand
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Zu jung, zu eintönig, zu wenig naturnah – der deutsche Wald ist buchstäblich nicht mehr er selbst. Mit Folgen für die biologische Vielfalt und das Klima, so eine aktuelle Studie.
Vielfalt tut gut. Das gilt auch für den deutschen Wald. Genauer gesagt: Sie täte ihm gut. Eine aktuelle Studie der Naturwald-Akademie zeigt, dass auf den meisten deutschen Waldflächen nur wenige unterschiedliche Baumarten wachsen. Mehr noch: Oft gehören die Bäume dort gar nicht hin, natürlicherweise kämen sie an der Stelle gar nicht vor. Heimische, naturnahe Waldökosysteme drohen darum auszusterben – unter dem Verlust leiden auch Tiere, Pilze und Pflanzen.
Doch Deutschland braucht naturnahen Wald, auch aus Klimaschutzgründen. Die im Februar dieses Jahres veröffentlichte Greenpeace-Waldvision zeigt, wie ökologisch bewirtschaftete Wälder in Zukunft weit mehr klimaschädliches Kohlenstoffdioxid binden können als es bislang der Fall ist. Die Schlüsse beider Untersuchungen ähneln sich: Mischwälder gehören unter besonderen Schutz, außerdem müssen Bäume alt werden dürfen – und gegebenenfalls als Totholz neuem Leben Schutz und Nahrung bieten.
Viel versprochen, wenig eingelöst
Doch danach handelt die Holzindustrie nicht. Knut Sturm ist Leiter des Stadtwaldes Lübeck und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Naturwald-Akademie. Er sagt: „Unsere Analysen zeigen eindeutig, dass die Nachhaltigkeitsversprechungen der deutschen Forstwirtschaft in Sachen Naturschutz weitestgehend unerfüllt bleiben.“ Die Lösung ist einfach, aber offenbar schwer politisch durchzusetzen: „Wir müssen die Wälder endlich so bewirtschaften, dass wir wieder über naturnahe, anpassungsfähige und mit ausreichend Altholz ausgestattet Wälder verfügen!“
Eine konkrete Empfehlung der Naturwald-Akademie-Studie ist das Abholzungsverbot für Bäume, die älter als 140 Jahre sind. Für zahlreiche Lebewesen sind diese Bäume unentbehrlich. Es sind sogenannte Starkbäume, mit einem großen Stammdurchmesser. Ihre Besonderheit ist die hohe Produktivität in Form von Blattmasse, Zweigen, Wurzeln und Borke. „Dadurch bilden sie ein besonderes Waldklima sowie Waldstrukturen und Wuchsbedingungen aus, die als Grundlage für viele Pflanzen- und Tierarten dienen“, erläutern die Verfasser der Studie.
In Deutschland dürfen jedoch nur wenige Bäume so alt werden. Nicht einmal dort, wo man sie vermutet: Lediglich auf 4,5 Prozent naturnaher Waldflächen wachsen Bäume, die älter als 140 Jahre sind. Und nur 0,2 Prozent dieser ökologisch besonders wertvollen Waldflächen mit altem Baumbestand sind dauerhaft geschützt.
Riesiges Potenzial für den Klimaschutz
Für ihre Untersuchung verglichen die Wissenschaftler zwei Datensätze: Den Waldbericht des staatlichen Thünen-Institutes und Daten des Bundesamtes für Naturschutz, die Auskunft über die potenzielle natürliche Vegetation geben. Das heißt: Wie würde der Baumbestand hier ausfallen ohne menschliche Eingriffe? Daraus lässt sich ableiten, wie ein naturnaher Wald an einer bestimmten Stelle aussehen würde.
Der Alternative Waldzustandsbericht der Naturwald-Akademie kommt nach der Auswertung zu dem Schluss: Den deutschen Wäldern geht es schlecht, unter Naturschutz-Gesichtspunkten sind 90 Prozent in einem miserablen Zustand. Die Verantwortung dafür trägt eine Forstwirtschaft, die naturnahe Waldökosysteme zurückdrängt. „Dadurch bedroht sie nicht nur die Biodiversität in unseren Wäldern, sondern vernichtet auch ein riesiges Potenzial für den Klimaschutz“, sagt Dr. Torsten Welle, Wissenschaftlicher Leiter der Naturwald-Akademie. „Zum Beispiel können junge Wälder nicht annähernd so viel klimaschädliches Kohlendioxid langfristig binden, wie naturnah bewirtschaftete Wälder mit einem höheren Anteil an Altholz.“
Will Deutschland seine Klimaziele einhalten, geht das nicht nur über die Reduzierung seiner CO2-Emissionen – es braucht auch gesunde Wälder, die Kohlenstoffdioxid aufnehmen, das bereits in die Atmosphäre gelangt ist.