Das schmutzige Plastik-Geheimnis der EU
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Kurz vor Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen enthüllt Greenpeace in einer neuen Analyse: EU-Mercosur-Deal würde den Handel mit verbotenem Einwegplastik fördern.
Die letzte Stunde der Einweg-Plastikgabel schlug in Deutschland am Freitag, den 2. Juli 2021. Mit ihr zu Grabe getragen wurden auch das restliche Einweg-Plastik-Besteck, Einweg-Plastik-Wattestäbchen, Einweg-Plastik-Teller, Einweg-Plastik-Strohhalme. Damit setzte Deutschland eine EU-Richtlinie zur dringend benötigten Reduzierung von Einweg-Plastik um.
War das der Anfang vom Ende für die Einweg-Plastikindustrie? Pustekuchen. Denn obwohl diese Wegwerfprodukte in Deutschland und der EU nun nicht mehr verkauft werden dürfen, können europäische Chemie- und Verpackungskonzerne sie munter weiter produzieren – und mit viel Profit ins nicht-europäische Ausland verkaufen. Auch die klimaschädlichen Öl- und Gasindustrien profitiert weiter, denn die Kunststoffproduktion verbraucht bei weitem mehr Industrieöl, -gas und -elektrizität als andere energieintensive Industrien.
Und als wäre das nicht schon Skandal genug, will die EU jetzt einen Deal abschließen, der den Handel mit dem hier verbotenen Einweg-Plastik noch massiv verstärken wird: das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen.
EU-Mercosur-Freihandelsabkommen fördert Einwegplastik
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay), wird von unter anderem Umweltverbänden, Politiker:innen und Indigenen scharf kritisiert, weil es den Handel mit umweltschädlichen Produkten wie Rindfleisch, Soja, Pestiziden und Autos mit Verbrennungsmotoren fördern soll. Jetzt hat Greenpeace den 122-seitigen Anhang des Abkommens durchkämmen lassen. Die Analyse zeigt, dass der Deal auch die Zölle für eine weitere Art schädlicher Produkten absenken wird: Einweg Plastik und Plastik-Grundstoffe.
Konkret wird der Deal schrittweise die Zölle für die folgenden EU-Exporte abschaffen:
1. Einweggeschirr, Küchenutensilien und weitere Haushaltsgegenstände aus Plastik
Derzeit erheben die Mercosur-Länder Einfuhrzölle von bis zu 18 % auf diese Waren. Insbesondere Einweg-Plastikbesteck gehört zu dem am häufigsten in der Umwelt gefundenen Plastikmüll. Es wird in der Natur zu Makro- und Mikroplastik zersetzt, das häufig im Magen von Seevögeln gefunden wurde - und auch in unserer Nahrung. Die EU hat Einweg-Plastikbesteck für den eigenen Markt verboten, um die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu schützen.
2. Kunststoffabfälle aus PET (Polyethylenterephthalat), PVC (Polyvinylchlorid) und anderen Polymeren
Derzeit unterliegen EU-Exporte solcher Abfälle in die Mercosur-Staaten einem Zoll von 14 %. Wegen der unausgereiften und ineffizienten Recyclingsysteme in den Mercosur-Ländern ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieser Abfall in der Umwelt landet. Hier schadet er der Tierwelt, vor allem Vögeln, Amphibien und Fischen. Plastik wird mangels anderer Abfallentsorgung häufig einfach verbrannt. Es entstehen giftige Gase, die Menschen auf den Verbrennungsanlagen und in der Umgebung einatmen müssen.
3. Kleidungsstücken und Accessoires aus Kunststoff
Derzeit erheben Mercosur-Länder Einfuhrzölle von bis zu 35 % auf Importe von Kunststoffbekleidung. Diese Kleidungsstücke werden zunehmend zu Wegwerfprodukten (sogenannter Fast Fashion). Da sie aus synthetischem Mischgewebe bestehen, sind sie meistens nicht recycelfähig und werden mitsamt der enthaltenen Chemikalien oft verbrannt. Weniger als 1 % der neuen Kleidung weltweit enthält recycelte Textilfasern, stattdessen wird weltweit jede Sekunde eine Wagenladung voller Textilien verbrannt oder landet auf Deponien, der Umwelt und im Meer.
4. Expandierbares Polystyrol (im Handel meist als Styropor bezeichnet) in Primärformen
Derzeit unterliegt Polystyrol in Rohform Importzöllen von bis zu 14 % in Mercosur. Polystyrol wird beispielsweise in Lebensmittelverpackungen und Schutzverpackungen für den Einzelversand von Konsumgütern weit verbreitet eingesetzt. Es ist schwer zu recyceln, zerfällt schnell zu Mikro- und Nanoplastik und landet irreversibel in der Natur und in Gewässern. Deshalb handelt es sich bei diesem Kunststoff um eine der häufigsten Arten von Plastikverschmutzung in der Umwelt. Außerdem ist es für viele Tiere giftig und kann bei der Verbrennung gefährliche Rauchverbindungen erzeugen. Artikel wie Lebensmittelbehälter, Getränkebehälter und Becher aus expandiertem Polystyrol sind in der EU seit 2021 verboten.
5. Polyvinylchlorid (PVC) in Emulsionsform
Derzeit unterliegen PVC-Rohformen in der Mercosur-Region Zöllen von bis zu 14 %. PVC wird in verschiedenen Produkten verwendet, wie Spielzeug oder Lebensmittelverpackungen, und wird aus Gesundheitsgründen in verschiedenen Ländern zunehmend verboten. Die Europäische Kommission prüft derzeit mögliche Beschränkung von PVC und seinen Zusatzstoffen in der EU. PVC gelangt leicht in die Umwelt und kann hier zu erheblichen Schäden führen. Insbesondere bei Kindern kann PVC Leber- und Nierenschäden hervorrufen.
Die Plastikflut
Doppelmoral der EU: Weniger Plastik bei uns, dafür aber mehr in den Mercosur-Ländern?
“Dieser Deal in seiner jetzigen Form zeigt die himmelschreiende Doppelmoral der EU”, sagt Greenpeace-Handelsexpertin Lis Cunha. “Einweg-Plastikbesteck etwa ist in der EU verboten, weil es der Umwelt schadet, trotzdem soll der Export dieses zukünftigen Plastikmülls durch das Abkommen gefördert werden. Wenn sich die Bundesregierung um die Natur und die Gesundheit der Menschen außerhalb der EU-Grenzen schert, muss sie sich dafür einsetzen, dass der EU-Mercosur-Vertrag komplett neu verhandelt wird.”
Denn eigentlich haben die EU-Politiker:innen begriffen, dass sie die Menge an neuem Plastik dringend reduzieren müssen. Der EU-Green Deal etwa ist die Strategie, mit der die EU bis 2050 klimaneutral sein will, und dort steht: Plastik soll generell reduziert werden, und bis 2030 sollen 55 Prozent des Verpackungsabfalls aus Plastik recycelt werden. Die 2021 in Kraft getretene Richtlinie, dass bestimmte Einweg-Plastik-Produkte innerhalb der EU nicht mehr verkauft werden dürfen, zeigt die Bemühung, die Ziele des Green Deals umzusetzen. Zumindest innerhalb der eigenen Grenzen.
Unternehmen in der EU dürfen diese schädlichen Kunststoffe weiterhin für den Export in Drittländer herstellen. So werden die negativen Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen der europäischen Produktion auf den globalen Süden übertragen. “Das ist gleichzeitig Skandal und zu kurz gesprungen, denn Plastik ist mitsamt aller Klima- und Umweltschäden ein globales Problem”, sagt Viola Wohlgemuth, Greenpeace-Expertin für Kreislaufwirtschaft. “Die Welt ertrinkt geradezu im Plastik. Mikroplastik wurde in der Luft, die wir atmen, in der Nahrung, die wir essen, dem Wasser, das wir trinken und sogar in unseren Organen und unserem Blut gefunden.“
Die meisten heutzutage verwendeten Plastikverpackungen sind nicht darauf ausgelegt, leicht recycelbar zu sein, weil es sich für die Unternehmen einfach nicht rentiert und die Anreize fehlen. Der Großteil der Plastikprodukte landet deshalb auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen, Flüssen und den Ozeanen.
Ein Globales Plastik-Abkommen gegen die Plastikflut
Ab mitte November beginnt die nächste Runde der Verhandlungen zu einem UN-Plastikabkommen. Regierungen der ganzen Welt fahren nach Nairobi, Kenia, um eine rechtlich bindende Vereinbarung zu finden, um die weltweite Plastikverschmutzung zu beenden. Dieser Vertrag könnte die Plastikproduktion begrenzen, schrittweise reduzieren und letztendlich Einwegplastik vollständig abschaffen.
“Die EU muss sich für ein ambitioniertes Plastik-Abkommen stark machen und dabei konsequent den eigenen Handel mit Einwegplastik untersagen”, sagt Cunha. “Die EU steht an einer (Plastik-)Weggabelung: Der eine Weg führt zu einer untragbaren, verschmutzten Zukunft, die großen Industrien zugutekommt und die Bedürfnisse dieses Planeten vernachlässigt. Der andere Weg wird uns von schädlichen Handelsabkommen wegführen und Mensch und Natur an die erste Stelle setzen.”
Greenpeace fordert, dass …
- die Bundesregierung sich gegen den Giftvertrag EU-Mercosur ausspricht und sich für Neuverhandlungen einsetzt.
- das UN-Plastikabkommen zum Ziel hat, die Plastikproduktion um mindestens 75% zu reduzieren, damit wir das 1,5° C-Ziel erreichen.
- das Abkommen dem Schutz der biologischen Vielfalt und des Klimas sowie einem gerechten Übergang zu einer abfallfreien und kreislauffähigen Wirtschaft Vorrang einräumt.
- das Abkommen sicherstellt, dass Öl und Gas, die zur Herstellung von Plastik verwendet werden, im Boden bleiben und die großen Verschmutzer für ihre Plastikproduktion und Produkte weltweit zur Verantwortung gezogen werden.