Fragen und Antworten zum Brexit
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Am 1. Februar 2020 ist Großbritannien aus der Europäischen Union ausgetreten – aber es scheint, als hätten die Probleme damit erst so richtig angefangen. Bis Ende dieses Jahres war mit der EU eine Übergangsphase vereinbart; in den vergangenen Monaten blieb also erst einmal alles wie es ist. Doch die Uhr tickt – während Deadlines und Stichtage verstreichen, sind immer noch viele Fragen zum Prozedere offen.
Caroline Binkowski studiert Politikwissenschaft an der Universität Potsdam und beobachtet für Greenpeace die Brexit-Verhandlungen und andere Handelsabkommen. Wir sprachen mit ihr darüber, an welchem Punkt die Gespräche stehen und wo die Streitpunkte liegen.
Greenpeace: Aufgrund des Brexit ist die britische Regierung gezwungen, neue Handelsabkommen mit Ländern zu schließen, mit denen sie zuvor als Teil der EU Handel betrieben hat. Dass es Schwierigkeiten mit dem Rest der EU gibt, ist bekannt, aber wie kommt Großbritannien bei seinen anderen Baustellen weltweit voran?
Caroline Binkowski: Großbritannien hat bislang 24 verschiedene Handelsabkommen mit insgesamt 54 verschiedenen Ländern ausgehandelt und unterzeichnet. Das klingt erstmal nach einer ganzen Menge. Es fehlen aber auch noch für Großbritannien wichtige Abkommen, wie zum Beispiel mit Singapur. Die meisten der bereits unterzeichneten Freihandelsabkommen sind allerdings sogenannte “roll-over”-Abkommen, die ohne viel Verhandlungszeit abgeschlossen werden können. Mit Japan aber hat Großbritannien beispielsweise ein Abkommen ausgehandelt, das auf neuen Grundlagen beruht, die vor allem weniger Beschränkungen für den Marktzugang und weniger regulierten Datenaustausch bedeuten.
Was bedeutet “roll-over” in diesem Zusammenhang?
Das ist eine Verlängerung der ursprünglichen Handelsabkommen der EU mit den jeweiligen Vertragspartnern – im Grunde eine Fortführung der Handelsverträge, die die EU ausgehandelt hat. Eigentlich also das, was Großbritannien ja gerade nicht will – sonst hätten sie ja nicht aus der EU austreten müssen. In Anbetracht des enormen Zeitdrucks und einer immer noch nicht verabschiedeten “Trade Bill” – das ist ein Gesetz, das den einheitlichen Handel von Großbritannien regelt – ist ein roll-over in den meisten Fällen aber doch die beste Lösung für das Vereinigte Königreich, um nicht sich und andere Länder mit enormen Zöllen zu konfrontieren.
Umweltschützer*innen sind besorgt, dass der Brexit Auswirkungen auf Großbritanniens Umweltschutzstandards hat. Worauf gründet diese Sorge?
Das Abkommen mit der USA hatte die Sorge vor sinkenden Lebensmittelstandards und dem bei CETA bereits kritisierten “Chlorhühnchen” entfacht – denn Großbritannien hat in seinem neuen Agrargesetz keine Klausel, die so einen Import grundsätzlich verbietet. Die Regierung hatte argumentiert, dass ein solcher Import sich mit britischer Gesetzeslage beißen würde. Das ist allerdings nicht ganz korrekt, denn es handelt sich dabei um ein EU-Gesetz. Bislang ist noch nicht klar, welche Umweltgesetze Großbritannien nach der Übergangszeit adaptieren wird. Fakt ist aber, dass über 80 Prozent der Umweltgesetze, die in Großbritannien gelten, auf EU-Gesetze zurückzuführen sind.
Für die EU ist möglicherweise mit einem Überangebot von Fleisch zu rechnen, weil weniger nach Großbritannien exportiert werden könnte, wenn die Handelsbarrieren nach dem Brexit höher werden. Dieses Überangebot träfe auf einen Markt, der schon jetzt infolge der Afrikanischen Schweinepest und Corona schwer unter Druck ist. Der Brexit könnte somit zur Folge haben, dass die Erzeugerpreise weiter sinken und Supermärkte Fleisch und Milch noch billiger anbieten. Das würde kurzfristig den Preisunterschied zu Fleisch aus besserer Haltung noch größer werden lassen – könnte aber langfristig dazu führen, das “Schweinesystem” grundsätzlich in Frage zu stellen, weil es nicht nur Umwelt und Klima schadet, sondern sich erneut als nicht krisenfest erweist.
Wie sind deutsche Verbraucher*innen noch betroffen?
Unabhängig von Umweltstandards und ob es ein Abkommen geben wird, werden Verbraucher*innen in Deutschland wegen der erhöhten Transport- und Bürokratiekosten von steigenden Lebensmittelpreisen für Markenprodukte aus Großbritannien betroffen sein.
Gibt es irgendein Beispiel, in dem es durch Neuverhandlungen sogar zu Anhebungen der Umweltschutzstandards kommen könnte – in Großbritannien oder bei einem der Handelspartner?
Großbritannien will ab 2030 die Neuzulassung von Verbrennern verbieten. Auch in der EU ist eine Verschärfung der Abgaswerte im Gespräch. Der Druck der Lobby, insbesondere aus Deutschland, ist aber enorm und bislang ist unklar, ob die EU nachziehen wird oder Großbritannien uns bei der Verkehrswende ganz schön alt aussehen lässt.
Ist eine umweltpolitische Zusammenarbeit zwischen EU und Großbritannien auch über den Brexit hinaus geplant?
Darin besteht eines der ewigen Streitthemen bei den Verhandlungen. Bislang hat Großbritannien es abgelehnt eine Klausel einzuführen, die gewährleistet, dass man zum Beispiel in Bezug auf Umweltstandards weiterhin zusammenarbeitet. Die EU hingegen hält an einer gemeinsamen Entwicklung von Umweltstandards weiter fest.
Mit dem Brexit verabschiedet sich Großbritannien auch aus der GAP, der gemeinsamen Agrarpolitik der EU-Länder. Die wird ja innerhalb der EU auch nicht unkritisch gesehen – ist der britische Alleingang besser oder schlechter für die Umwelt?
Großbritannien steht vor einer der größten Agrarreformen, die durch den Austritt aus der katastrophalen GAP möglich ist. Bis 2038 sollen die von der Regierung an Landwirt*innen gezahlten Subventionen in Höhe von 1,6 Milliarden britischen Pfund, die lediglich an die Größe der Agrarfläche gebunden sind, umverteilt werden. Das neue Fördersystem “Environmental Land Management” soll anhand von Umweltschutzzielen, wie die Wiederherstellung wilder Lebensräume, Schaffung neuer Wälder, Förderung von Böden und die Reduzierung des Pestizideinsatzes, Gelder vergeben. Für Umweltschützer*innen ein super Erfolg. Es wird aber auch davor gewarnt, dass die Umgestaltung keinen nennenswerten Effekt auf die Umwelt haben wird. Dies gilt es also weiter streng zu beobachten, nichtsdestotrotz ein super Schritt der britischen Regierung, der die EU nun zum Handeln drängt.
Ein großer Streitpunkt zwischen EU und Großbritannien betrifft Fischereirechte. Worum geht es dabei?
Die EU will weiterhin die aktuellen Fischfangquoten für britische Gewässer aufrechterhalten. Großbritannien müsste nach dem Brexit Fischereibetrieben aus EU-Ländern allerdings überhaupt keinen Zugang zu ihren Gewässern gewähren. Das wäre vor allem für Regionen in Frankreich, die fast ausschließlich vom Fischfang leben, existenzbedrohend. Das Thema ist vor allem politisch, denn an sich ist der Anteil der Fischerei am Bruttoinlandsprodukt minimal – jedenfalls im Vergleich zu den Ausmaßen, die das Thema in den Verhandlungen einnimmt. Nachdem nun wieder eine Deadline überschritten wurde, scheint alles am Fisch zu hängen.
Nicht zu vernachlässigen ist aber auch, dass – falls Großbritannien den alleinigen Zugang bekäme – der Hauptabnehmer für den Großteil des Fischs die EU wäre. Es entstünde zwar kein Mangel an Fisch in Supermärkten, aber die Existenzgrundlage vieler der europäischen Fischer wäre enorm bedroht. Großbritannien wäre außerdem nicht mehr an die Einhaltung von Fischfangquoten der EU gebunden. Bislang können wir nur also hoffen, dass es nicht zu noch mehr Überfischung dort kommen wird.
Irland ist Teil der EU, aber Nordirland gehört zu Großbritannien, auf einmal gäbe es eine innerirische Zollgrenze. Was hat das für Folgen?
Nach dem bereits verhandelten Austrittsabkommen würde Nordirland zum Binnenmarkt der EU zählen, was eine Grenze zwischen den Ländern verhindern würde. Gegen Ende der Verhandlungsrunden stellte die britische Regierung jedoch ein neues Binnenmarktgesetz vor, das Nordirland zum britischen Binnenmarkt zählt. Damit würde es dann eine Grenze geben. Das verstößt gegen internationales Recht, gefährdet die fragile Beziehung zwischen Nordirland und Irland und unterbindet die Einhaltung des Austrittsabkommens. Die EU hat bereits ein Verfahren eingeleitet, bislang gibt es aber keine Stellungnahme Großbritanniens. Verabschieden konnte die britische Regierung ihr Gesetz auch noch nicht, weil das Oberhaus im Parlament ein Veto einlegte. Sie versucht es aber weiter. Der Warenhandel, insbesondere für Lebensmittel, wird ohne Abkommen nach aktuellen Einschätzungen enorme bürokratische Kosten mit sich bringen und im schlechtesten Fall erst einmal zum Erliegen kommen: Über das Grenzverfahren gibt es schlicht noch keine Einigung.