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Welt am Sonntag: E.ON ist einer der größten Investoren im Bereich erneuerbarer Energie geworden. Nähert sich der Streit über die Zukunft der Energieversorgung damit einem guten Ende?

Roland Hipp: Nein, denn was E.ON tut, ist viel zu wenig. Nach dem Klimabericht der UN müssen wir die Kohlendioxid-Emissionen bis 2050 halbieren, um die Klimakatastrophe zu vermeiden. Bis 2015 brauchen wir eine Trendwende auf unserem Energiemarkt. Das ist sehr wenig Zeit. Deshalb ist es schlimm, dass ein Marktführer wie E.ON nur Getriebener der Entwicklung ist und lediglich zehn Prozent seines Budgets in regenerative Energiequellen investiert. Wenn E.ON im Klimaschutz vorangehen möchte, müssten die Investitionen ganz andere Größenordnungen annehmen.

Wulf H. Bernotat: Die globale Energiewelt wird und muss sich verändern, E.ON will dabei Schrittmacher sein. Die entscheidende Frage ist aber: Wie schnell können wir diesen ökologischen Wandel realistischerweise vorantreiben, ohne dabei die Versorgungssicherheit und damit die wirtschaftliche und soziale Grundlage unserer Gesellschaft zu gefährden.

Hipp: Sie könnten mehr tun. Nach Ihrer eigenen Vorausplanung wird E.ON 2030 nur einen Anteil von 24 Prozent aus erneuerbaren Quellen produzieren. Das bleibt weit hinter den Zielen der Bundesregierung zurück, die bereits im Jahre 2020 einen Ökostrom-Anteil von 30 Prozent erreichen möchte.

Bernotat: Erstens sind wir in 30 Ländern und nicht nur in Deutschland aktiv. Zweitens sind Wunschvorstellungen das eine, die Wirklichkeit das andere. Selbst wenn wir wollten: Wir könnten heute gar nicht mehr in erneuerbare Energien investieren. Die Nachfrage nach Komponenten, etwa Windkraftanlagen, ist so hoch, dass die Hersteller über Jahre hinaus ausgelastet sind.

Welt am Sonntag: Mehr Ökostrom ist für E.ON keine Frage des Willens oder des Geldes, sondern nur eine Frage der industriellen Kapazität aufseiten der Anlagenbauer?

Bernotat: Das ist ein Aspekt. Entscheidender aber ist: Wir müssen das Gesamtsystem der Energieversorgung stabil halten im Sinne des Dreiklangs: sichere, klimafreundliche und bezahlbare Energie. Den erneuerbaren Energien gehört zweifellos langfristig die Zukunft, und deshalb investiert E.ON ja auch so viel wie kaum ein anderes Energieunternehmen. Aber sie können noch keine Grundlast im Stromnetz bereitstellen. Deshalb sind wir noch für lange Zeit auf grundlastfähige Kohle- und Kernkraftwerke angewiesen.

Hipp: Augenblick: Wir würden die Grundlast ja auch nicht nur aus erneuerbaren Energien holen. Greenpeace hat ein Konzept zur deutschen Energieversorgung im Jahre 2020 erstellt, den Plan B. Und darin gehen auch wir nur von einem Anteil von 33 Prozent Ökostrom aus. Das ist nicht wesentlich mehr als die 30 Prozent, die sich die Bundesregierung selbst zum Ziel gesetzt hat. Die Grundlast würde auch nach unserem Konzept zum Teil noch aus Kohle- und Gaskraftwerken kommen, aber aus hocheffizienten Kraftwerken, die mit Wärmeauskopplung arbeiten.

Welt am Sonntag: Das hört sich fast so an, als lägen zwischen Greenpeace und der etablierten Energiepolitik nicht mehr Welten, sondern nur noch Prozentpunkte.

Hipp: E.ON setzt auf 20 bis 25 Großkraftwerke. Wir aber wollen Hunderte kleine, dezentrale und effiziente Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung und deutliche Effizienzsteigerungen im Verbrauch und damit eine Wende auf dem Energiemarkt. Unsere heutigen Kraftwerke haben Wirkungsgrade von 40 Prozent, dabei verfügen wir über die Technik, 80 bis 90 Prozent des Brennstoffs in Energie umzuwandeln.

Bernotat: Der Unterschied ist vielleicht gar nicht so groß. Effizienz hat für uns hohe Priorität. Wir forschen intensiv an neuen dezentralen Technologien. Und die neuen Kohlekraftwerke, die wir bauen, haben Kraft-Wärme-Kopplung und hohe Wirkungsgrade mit geringeren CO2-Emissionen. Und schließlich setzen wir ja nicht nur auf Kohle, sondern auf einen breiten Energiemix: Von den Erneuerbaren, über Kohle und Gas bis zur Kernkraft, die ja ebenfalls CO2-frei ist und zum Klimaschutz beiträgt.

Hipp: Das heißt ja, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben ...

Bernotat: Es ist ideologisch, wenn ich etwas für das Klima tun will, aber eine extrem klimafreundliche Stromerzeugungsart ausklammere. Die deutschen Atomkraftwerke vermeiden den Ausstoß von 150 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Das ist so viel, wie der deutsche Straßenverkehr emittiert.

Hipp: Nach dem Greenpeace-Konzept würden wir die AKW durch emissionsfreie Erzeugungsarten und Energieeinsparung ersetzen. Und das bedeutet, dass wir den Atomausstieg eben nicht mit Mehremissionen von 150 Millionen Tonnen CO2 bezahlen müssen.

Welt am Sonntag: Was bringt eigentlich noch der Atomausstieg? Überall werden doch neue Atomkraftwerke gebaut.

Hipp: Atomkraft bleibt eine hochgefährliche Technologie. Bis heute ist die Gefahr eines großen Unfalls nicht auszuschließen, die Entsorgung des Atommülls ist ungeklärt, die Gefahr durch Terrorismus ist groß, und das Risiko der Weiterverbreitung von Atomwaffen steigt mit jedem Neubau weltweit. In Europa gibt es momentan gerade einmal zwei Neubauten. Ob all die anderen Projekte wirklich realisiert werden, sehe ich noch sehr skeptisch.

Bernotat: Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, die Zukunft liegt allein in der Kernkraft. Ich bin aber für eine sachliche und ideologiefreie Diskussion und Abwägung der Chancen und Risiken. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wenn man dieses Thema fast schon religiös behandelt.

Hipp: Tschernobyl ist ein Fakt, das hat nichts mit Religion zu tun.

Welt am Sonntag: Greenpeace setzt auf Kraftwerke, die auch die Abwärme der Stromproduktion verwerten, sogenannte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Ist das realistisch?

Bernotat: Unbestritten sind Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sehr effizient. Voraussetzung ist aber immer, dass es in der Nähe auch Abnehmer für die Abwärme gibt, zum Beispiel in Form eines Fernwärmenetzes. Das ist aber vor allem in den alten Bundesländern kaum der Fall. Man müsste die Nachfrage nach KWK hier erst künstlich schaffen, indem man Hunderte Millionen in den Bau von neuen Fernwärmenetzen investiert - und die Kosten dafür auf den Strompreis draufschlägt. Deshalb arbeiten wir an Alternativen, zum Beispiel Mikro-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen für einzelne Häuser.

Hipp: Laut Bundeswirtschaftsministerium ist das Potenzial für Kraft-Wärme-Kopplung aber gewaltig. Und wenn wir nicht genug Fernwärmenetze haben, muss eben in jeder Straße, die aufgemacht wird, automatisch eine Fernwärmeleitung gelegt werden.

Welt am Sonntag: Der Klimaschutz zieht offenbar immer mehr Pflichten und Zwänge nach sich. Gelegentlich macht schon das Wort von der Ökodiktatur die Runde. Geht es nicht mit mehr Markt?

Hipp: Staatliche Vorgaben, die dem Allgemeinwohl dienen, sind etwas völlig Normales. Solange es sich um demokratische Beschlüsse handelt, ist die Sorge vor einer Ökodiktatur unbegründet. Selbstverpflichtungen der Industrie wurden bislang nie eingehalten. Da wir auf diesem Weg offensichtlich nicht weiterkommen, liegt es in der Verantwortung des Staates, tätig zu werden.

Bernotat: Soll der nächste Schritt sein, dass das Drei-Liter-Auto von der Politik vorgeschrieben wird? Nach dem Motto: Wenn der Verbraucher nicht gleich das tut, was man von ihm will, muss man ihn dazu zwingen?

Hipp: Nicht das Drei-Liter-Auto - aber die CO2-Emissionen der Autos sollten vorgeschrieben werden. Wie sollen wir denn von diesen hohen Emissionen im Straßenverkehr sonst runterkommen?

Welt am Sonntag: Die hohen Benzinpreise haben doch schon bewirkt, dass mehr Menschen auf Bahn und Busse umsteigen. Der Markt hilft dem Klimaschutz offenbar auch.

Hipp: Wir haben nicht die Zeit, alles dem Markt zu überlassen. Wie realistisch wäre das denn? Wenn ich abends Fernsehen gucke, sehe ich nie Werbung für einen Drei-Liter-Polo, sondern immer nur für große Limousinen.

Bernotat: Die Industrie wird immer nur herstellen, was die Kunden nachfragen. Wir leben ja nicht ständig nur nach ökologischen Überlegungen, sondern haben auch andere Bedürfnisse. Beim jetzigen Benzinpreis überlegen sich schon viele, welches Auto mit welchem Verbrauch sie anschaffen. Und die Industrie wird darauf reagieren.

Hipp: Das Angebot der Industrie kommt zehn Jahre zu spät.

Bernotat: Das sehe ich nicht so. Die Gefahr ist, dass der Staat bestimmt, welche Energie der Bürger einzusetzen hat, welches Auto er zu fahren und wie er sich zu verhalten hat. Der Staat greift immer mehr in die individuelle Entscheidungsfreiheit ein. Dabei hat in unserer Wirtschaftsverfassung der Markt immer die Leistungen hervorgebracht, die sinnvoll waren.

Hipp: Der Klimawandel ist der größte Fall von Marktversagen überhaupt. Und dieser Satz stammt nicht von mir, sondern vom ehemaligen Chefökonomen der Weltbank, Nicolas Stern.

Welt am Sonntag: Schlägt Klimaschutz wegen seiner hohen Kosten für den Verbraucher aber nicht irgendwann in eine soziale Frage um?

Hipp: Der Verbraucher wird ja auch die Klimaschäden bezahlen müssen. Und das wird um ein Vielfaches teurer, wie der Stern-Report aufzeigt. Ein Blick in die Krisenregionen Afrikas zeigt uns, welche Konflikte Klimaveränderungen schon heute verursachen. Wir können uns gar nicht ausmalen, welche sozialen Folgen auf uns zukommen werden, wenn die Klimaveränderungen zunehmen.

Bernotat: Sie können den Verbrauchern lange volkswirtschaftliche Langzeiteffekte vorrechnen und UN-Klimaberichte vorhalten - für den Betroffenen ist es zunächst ein persönliches finanzielles Opfer, von dem es zunehmend fraglicher wird, ob er es überhaupt tragen kann. Meine Sorge ist: Können wir das System unserer Energieversorgung so leistungsfähig weiterentwickeln, dass wir das Klima schützen und gleichzeitig die Belastungen für den Verbraucher und die Volkswirtschaft zu verkraften sind.

Hipp: Solange wir auf endliche Ressourcen setzen, wird es Preissteigerungen geben. Deshalb muss der Staat mehr fördern, mehr für die Gebäudesanierung tun, mehr Druck machen auf Energiewirtschaft und Industrie - und auch mehr in der Sozialpolitik tun.

Bernotat: Wir unterscheiden uns vor allem in der Zeitfrage. Sie sagen, der Umbau der Energiewirtschaft geht schneller, ich bin realistischer und sage, es wird länger dauern, wenn wir keine ökonomischen und sozialen Erschütterungen riskieren wollen.

Hipp: Die Zeitfrage ist aber die alles entscheidende: Wenn wir die Wende auf dem Energiemarkt nicht bis 2015 schaffen, weiß keiner, ob wir die Katastrophe noch abwenden können.

Bernotat: Dann müssen Sie dem Verbraucher aber auch deutlich sagen, dass er für den schnellen Umbau sehr viel mehr bezahlen muss.

Hipp: Der Verbraucher wird die Rechnung in jedem Fall bezahlen müssen. Entweder jetzt, oder in viel größerem Umfang in der Zukunft, wenn die Klimaschäden eintreten.

Welt am Sonntag: Könnten Sie sich vorstellen, dass Greenpeace Energy und E.ON gemeinsam ein Biomasse-Kraftwerk bauen. Das könnte doch helfen, das gegenseitige Verständnis zu verbessern?

Bernotat: Wir hätten damit kein Problem. Wir können Greenpeace Energy auch beliefern - mit hundert Prozent reinem Ökostrom, wenn gewünscht.

Hipp (lacht): Ich glaube nicht, dass E.ON so klamm ist, dass wir beim Aufbau von regenerativen Erzeugungsarten helfen müssen. Fragen zu Biomasse-Kraftwerken im künftigen Energiemix erklären wir E.ON natürlich gerne.

Das Gespräch führte Daniel Wetzel
Quelle: Welt am Sonntag, 29. Juni 2008

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