Shell stört mit Ölbohrungen tausende Wale und Robben in der Arktis
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Noch in diesem Sommer will Shell die Ölsuche in der Tschuktschensee vor der Küste Alaskas fortsetzen. Und gefährdet damit tausende Wale und Robben. Denn die enorme Lärmbelastung unter Wasser durch seismische Tests, Bohrungen und Eisbrecher kann zur tödlichen Gefahr werden für die zum Teil eh bereits gefährdeten Arten.
Doch Shell ist das egal: Der Konzern hat offiziell beantragt, Wale und Robben bei seinen Erkundungsbohrungen stören zu dürfen. Diesen Antrag hat der US-amerikanische National Marine Fisheries Service (NMFS) vergangene Woche genehmigt. „Es ist unfassbar, dass Shell so skrupellos das Leben der Wale und anderer bedrohter Meeressäuger aufs Spiel setzt – und dafür auch noch die offizielle Genehmigung der US-Behörden bekommt“, sagt Larissa Beumer, Arktis-Expertin von Greenpeace.
Laut der Genehmigung des NMFS darf Shell in diesem Sommer beispielsweise 1662 Belugawale, 1038 Grönlandwale und 834 Grauwale stören sowie mehr als 25.000 Ringel- und 1722 Bartrobben, außerdem geringere Zahlen weiterer Arten (siehe Tabelle unten). Nach Shells eigener Analyse werden etwa 13 Prozent der Grönland- und Grauwale in der Region betroffen sein und 17 Prozent der Ringelrobben-Population. Eine Genehmigung des Fisch & Wildlife Service, dass Shell auch andere Säugetiere wie Eisbären und Walrosse belästigen darf, steht noch aus.
Aufgrund des Ausmaßes der geplanten Beeinträchtigungen sprechen Forschungs- und Umweltorganisationen davon, dass der NMFS mit der erteilten Erlaubnis gegen den US Marine Mammal Protection Act verstoßen würde: das Gesetz zum Schutz von Säugetieren. In diesem Erlass werden nur geringfügige Störungen für wenige Tiere als akzeptabel bezeichnet. Grönland-, Buckel- und Finnwale sind in den USA als gefährdete Arten gelistet, Ringelrobben gelten als bedroht.
Unterwasserlärm kann tödliche Folgen für Wale haben
Shell selbst behauptet, dass die Geräusche durch Bohren und seismische Tests zwar von tausenden Tieren gehört würden, dies aber keinen „biologisch signifikanten“ Einfluss auf sie haben würde. So könnte der Lärm zwar zu temporären Verhaltensänderungen führen, es wäre aber „extrem unwahrscheinlich“ dass die vorgesehenen Aktivitäten Strandungen oder Todesfälle verursachen.
Allerdings beruht die von Shell vorgelegte Analyse auf einem veralteten Verständnis vom Einfluss von Geräuschen auf Meeressäuger. Neuere Forschungsergebnisse gehen von einer starken Beeinträchtigung des Verhaltens der Tiere aus. So könnte etwa das empfindliche Gehör von Walkälbern beschädigt werden – die Folgen könnten tödlich sein. Außerdem stört der Unterwasserlärm Kommunikation und Orientierung der Wale; er könnte die Tiere aus ihren bevorzugten Futtergebieten vertreiben. Im Extremfall könnte es sogar zu Todesfällen oder Massenstrandungen kommen.
Geräuschpegel wie von Presslufthammern stören Meeressäuger
In seinem Antrag auf „Stör-Genehmigung“ nimmt der Shell-Konzern an, dass Bohrungen oder Eisbrecher die Tiere mit einem anhaltenden Lärmpegel von mehr als 120 Dezibel belästigen. Das entspricht etwa dem Geräuschpegel eines Presslufthammers. Für Menschen liegt die Schmerzgrenze bei etwa 130 Dezibel, wobei eine Zunahme von 10 Dezibel die Lautstärke verdoppelt. An- und abschwellende Geräusche, wie sie etwa bei seismischen Tests entstehen, stören mit mehr als 160 Dezibel.
Auch hier zeigen jedoch neuere Forschungsergebnisse, dass einige Meeressäuger bereits von Geräuschpegeln unter diesen Werten stark beeinträchtigt werden: Schon weniger als 120 Dezibel reichen aus. Das belegte eine 2007 im Fachmagazin Aquatic Mammals veröffentlichte Studie über migrierende Grönlandwale. Und auch ein Bericht des US Geological Survey stellt dar, dass Grönland- und Belugawale auf Lärm von Bohrschiffen weit unter der 120-Dezibel-Grenze reagiert hätten.
Auswirkungen von Krach nicht erforscht
Auch wenn Shell nur von geringfügigen und kurzzeitigen Beeinträchtigungen für Meeressäuger ausgeht, weisen Wissenschaftler darauf hin, dass die Folgen einer dauerhaften Geräuschkulisse noch gar nicht erforscht seien. Ebenso wenig sei genug Wissen über die Folgen der an- und abschwellenden Geräusche bekannt. Befürchtete negative Effekte auf die Tiere würden sich erst in vielen Jahren zeigen.
Shells Bohrgebiet grenzt an ein Grauwal-Revier und liegt in der Nähe der Wanderrouten von Grönland- und Belugawalen. Außerdem befindet sich direkt nebenan Hanna Shoal, ein ausgesprochen artenreiches Meeresgebiet und wichtiger Lebensraum von Walrossen. Auch Schweinswale und verschiedene Robbenarten sind in der Nähe der Bohrstelle beheimatet.
Shells Schutzmaßnahmen – in der Praxis schwer umsetzbar
Vorsorglich kündigte Shell deshalb Schutzmaßnahmen an. Dazu gehört das Überwachen des Meeres in der Nähe der eigenen Schiffe. Beim Auftauchen von Walen sollen die Geschwindigkeit der Schiffe verringert oder der Kurs geändert, seismische Tests sogar angehalten werden. Zudem sollen Mindestüberflughöhen festgesetzt sowie Experten für Beluga-Wanderrouten konsultiert werden. Shell will außerdem bei „unfreundlichen Wetterbedingungen“ die Geschwindigkeit eigener Schiffe drosseln, um Kollisionen mit Walen zu vermeiden.
Das Problem liegt jedoch in der Umsetzung dieser Maßnahmen. So sind beispielsweise Walbeobachtungen von einem sich bewegenden Boot aus unter extremen Bedingungen – etwa bei schlechten Sichtverhältnissen durch Nebel oder in eisbedeckten Gewässern – extrem schwierig.
Der NMFS ist derzeit dabei, die aktuellen Lärm-Grenzwerte anlässlich der neuen Forschungsergebnisse zu überarbeiten. Zur diesjährigen Bohrsaison, in der Shell mit der Ölsuche beginnt, hat er das allerdings nicht mehr geschafft.
Die Anzahl von Tieren, für deren „Störung“ Shell für die diesjährige Bohrsaison die Erlaubnis hat:
- Belugawale (Beaufortsee-Population) 1.318
- Belugawale (Östliche Tschuktschensee-Population) 344
- Schwertwale 14
- Schweinswale 294
- Grönlandwale 1.038
- Finnwale 14
- Grauwale 834
- Buckelwale 14
- Minkewale 41
- Bartrobben 1.722
- Bandrobben 96
- Ringelrobben 25.217
- Largha-Robben 1.007