Verkehrspolitik entscheidet über Klimaerfolg der neuen Bundesregierung
- Im Gespräch
Ampeln regeln den Verkehr. Ob aber die neue Regierung das Selbstverständliche tut, muss sie noch zeigen. Ein Interview mit Tobias Austrup, Experte für Mobilität bei Greenpeace.
Greenpeace: Die Besetzung des Verkehrsministeriums mit dem FDP-Politiker Volker Wissing war für die meisten eine Überraschung und für viele ein Aufreger. Warum ist das Verkehrsministerium so wichtig?
Tobias Austrup: Weil kein Ministerium mehr Geld investieren kann. Und der Verkehrsminister oder die -ministerin kann großen Einfluss darauf nehmen, wohin diese Investitionen fließen. Das macht den Posten so attraktiv. Und natürlich ist der Verkehr zentral für den Klimaschutz: Er verursacht ein Fünftel der deutschen CO2-Emissionen – und dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Volker Wissing steht also vor enormen Herausforderungen – die Transformation des Verkehrs ist vielleicht die spannendste Aufgabe am Kabinettstisch.
Herr Wissing war noch gar nicht im Amt, da gab es schon Streit über die Kfz-Steuer für Diesel-Autos. Wird der Verkehr zum Zankapfel der Ampel?
Ehrlich gesagt wurden die Aussagen von Volker Wissing überdramatisiert. Unter Experten ist unstrittig, dass die Begründung einer höheren Kfz-Steuer für Diesel-Autos wegfällt, wenn die Energiesteuer auf Diesel an das Niveau von Benzin angepasst wird – das steht in praktisch allen Studien, auch in denen von Greenpeace. Aber hinter der aufgeregten Diskussion steht eine grundsätzliche Sorge: nämlich dass es die FDP mit dem Klimaschutz nicht so ernst nimmt und im Zweifelsfall eher pro Auto und contra Klimaschutz entscheidet. Diese Sorge hege ich mitunter auch – und hoffe, dass Volker Wissing mich und andere Skeptiker eines besseren belehrt.
Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP bleibt an vielen Stellen unkonkret, doch das Verkehrskapitel hat nahezu alle Kommentator:innen enttäuscht. Zu recht?
Ja, das Kapitel ist klimapolitisch das schwächste. Offensichtlich haben sich die Ampel-Parteien nicht auf eine gemeinsame und wirksame Klimaschutzstrategie einigen können. Das Kapitel beinhaltet viel Stückwerk und auch Widersprüchlichkeiten. Jede Partei hat ein paar Sätze bekommen, die ihr wichtig waren, ein Gesamtkonzept ist daraus nicht entstanden.
Gleichzeitig benennt der Vertrag indirekt den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, legt ehrgeizige Ziele für den Bahnausbau fest. Gibt es nicht auch Fortschritte?
Fortschritte gemessen am Status quo durchaus, Fortschritte gemessen am Notwendigen leider zu wenig. Ja, es ist gut, dass die neue Bundesregierung mehr Geld in die Schiene als die Straße investieren will, dass der Verbrenner-Ausstieg nicht mehr bekämpft werden soll und Städte mehr Freiheiten bei der Umsetzung der Verkehrswende erhalten. Aber an zentralen Stellen fehlen eben konkrete Weichenstellungen und wirksame Instrumente für den Weg zu einem klimaneutralen Verkehr.
In diesem Jahr dürften die Emissionen im Verkehr wieder deutlich steigen, dabei sollen sie laut Klimaschutzgesetz bis zum Jahr 2030 annähernd halbiert werden. Ist der Koalitionsvertrag eine gute Basis für diese Aufgabe?
Leider nein. Für diese Aufgabe müsste die Regierung eigentlich nach jeder Maßnahme greifen, die sich schnell umsetzen lässt. Aber schon bevor wirklich verhandelt wurde, war ein leicht umsetzbares allgemeines Tempolimit vom Tisch. Entsprechend müssen jetzt andere Instrumente umso mehr dafür leisten, dass die Emissionen schnell sinken. Aber diese dringend nötigen anderen Maßnahmen tauchen überhaupt nicht auf im Koalitionsvertrag. Es bräuchte eine Neuzulassungssteuer, eine echte Reform der Dienstwagenbesteuerung, einen höheren CO2-Preis um schnell auf einen Pfad zu kommen, der die Einhaltung der Klimaziele sichert. All dies fehlt – und darum wird der Koalitionsvertrag nicht ausreichen, um die Ziele im Verkehr zu erreichen.
Bis 2030 sollen in Deutschland 15 Millionen E-Autos unterwegs sein. Reicht das, damit der Verkehr seinen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel leistet?
Nein, diese Zahl zielt eher auf 2 Grad. Und auch dafür nennt der Koalitionsvertrag kaum ein Instrument. Detailliert wird der Ausbau der Ladeinfrastruktur festgehalten. Der ist auch nötig, aber alleine wird das nicht reichen. Die Politik muss Kaufentscheidungen jetzt gezielt lenken. Und das geht nur mit einer Zulassungssteuer und einer völlig anderen Dienstwagenbesteuerung.
Wie erzielt man einen “Infrastrukturkonsens”?
Ja, ein interessanter Begriff, der da im Koalitionsvertrag mit Blick auf den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur auftaucht. Aber viel interessanter ist eigentlich, dass dieser andere, viel wichtigere Konsens nicht genannt wird: der Klimaschutzkonsens. Dem hat Deutschland zugestimmt, indem es das völkerrechtlich bindende und von praktisch allen Staaten der Welt unterzeichnete Pariser Klimaabkommen ratifiziert hat. Wer dieses Abkommen ernst nimmt, kommt an weniger Fernstraßenbau nicht vorbei. Neue Autobahnen verursachen schon durch ihren Bau große Mengen CO2, und sie führen zu mehr Autoverkehr, der wiederum mehr CO2 verursacht. Klar ist, ein Infrastrukturkonsens kann in Zeiten des Pariser Abkommens nur bedeuten, dass man sehr weitgehend auf den Bau weiterer Autobahnen verzichtet.
Dem Radverkehr widmet der Koalitionsvertrag ganze vier Zeilen. Ein Skandal?
Kein Skandal, aber enttäuschend. Der Bund hat beim Radverkehr nur wenig eigene Kompetenzen, etwa an den Bundesstraßen. Die allermeisten neuen Radwege werden aber in den Kommunen entstehen. Weil diese ohnehin finanziell geschwächt aus der Coronakrise kommen, hätte ich mir gewünscht, dass die Ampel mehr macht als nur die bisherigen Gelder zu verstetigen.
Teile der Bahn sollen künftig gemeinwohlorientiert arbeiten. Was bedeutet das?
Die Koalitionäre erwarten nun für den Bundeshaushalt keine Gewinne mehr aus der Schieneninfrastruktur. Das ist ein sinnvoller Schritt, denn er sorgt dafür, dass Einnahmen vollständig in diese Infrastruktur reinvestiert werden können. Die Bahn muss als Daseinsvorsorge verstanden werden und sollte sich auf die Verbesserung des Mobilitätsangebot in und nach Deutschland konzentrieren – im Dienste der Menschen, nicht des Finanzministers. Da bewegt sich was in die richtige Richtung.
Die breite Enttäuschung über die Verkehrspläne der Ampel liegt auch daran, dass Veränderungen im Verkehr träge sind. Gibt es dennoch Hoffnung, dass die kommenden vier Jahre die Mobilitätswende voranbringen?
Die Richtung ist auch in der Politik nicht mehr strittig. Die Entwicklung geht weg von klimaschädlichen fossilen Energien wie Öl. Die eigentliche Frage für den Verkehr lautet: Läuft der Abschied vom Verbrennungsmotor schnell genug und wird eine echte Verkehrswende in Angriff genommen? Und dabei ist der Koalitionsvertrag leider kein Booster. Beschleunigend wirken eher andere Entwicklungen. Zum einen die EU, die gerade dabei ist, einen klaren Rahmen auch für den Verkehr zu setzen. Wenn ab 2035 in Europa nur noch CO2-freie Autos zugelassen werden dürfen, dann heißt das für ein wirtschaftlich und technologisch starkes Land wie Deutschland ein entsprechend deutlich früheres Aus für Verbrenner, nämlich vor 2030. Allerdings fehlen im Koalitionsvertrag die Instrumente, die dies auch sicherstellen. Diese Lücke muss durch das geplante Klimaschutz-Sofortprogramm geschlossen werden. Zum anderen ist da die Klimabewegung die sehr deutlich sieht, dass der Verkehr nach der Kohle jetzt zum zentralen Thema beim Klimaschutz wird. Nicht ohne Grund häufen sich Klimaklagen gegen Ölkonzerne und die Autobauer. Wenn diese Klagen das regeln, was die Politik bislang versäumt hat, dann kann die Verkehrswende sehr bald richtig Fahrt aufnehmen.