Umweltpolitischer Rückblick
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Es hilft nichts: umweltpolitisch war 2010 ein Jahr der Enttäuschungen, mit nur sehr wenigen Lichtblicken. Auf fast allen Gebieten der Umweltpolitik herrscht in Deutschland derzeit Stillstand oder Rückschritt, und international sieht es bis auf wenige Ausnahmen nicht besser aus.
2010 war das Jahr der größten Ölkatastrophe der Geschichte, doch die Förderung von Erdöl aus der Tiefsee geht in rasendem Tempo weiter. 2010 war auch das Jahr der größten energiepolitischen Fehlentscheidung der schwarz-gelben Bundesregierung: die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke. Und es war ein weiteres verlorenes Jahr für den internationalen Klimaschutz, trotz eines Achtungserfolges der Klimakonferenz von Cancun.
Klimawandel, Artensterben, Waldverlust, Überfischung, industrielle Landwirtschaft, Verkehrslawine: nirgendwo konnte 2010 ein echter Durchbruch erzielt werden, stattdessen wächst der Problemberg immer weiter.
Atomkraft
Das dominierende Thema aus deutscher Sicht war sicher die Atomkraft, geprägt durch die Fehlentscheidung der Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP, die Laufzeiten der 17 deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre zu verlängern.
Ohne Not, auf Druck der vier großen Energiekonzerne, beendete die Bundesregierung den Atomausstieg, für den Deutschland weltweit respektiert wurde. Die Laufzeitverlängerung bildete den Kern des im Herbst mit viel Rhethorik verabschiedeten neuen Energiekonzeptes der schwarz-gelben Bundesregierung. Und dieser Kern ist so faul, dass er das ganze Konzept diskreditiert.
Denn längere Laufzeiten gefährden nicht nur die Sicherheit der Bevölkerung durch den Weiterbetrieb alter, unsicherer Atommeiler und den fehlenden Schutz gegenüber Terrorangriffen. Sie vergrößern nicht nur die Menge an Atommüll, von dem niemand weiß, wo und wie er sicher für Jahrtausende gelagert werden kann.
Längere Laufzeiten diskreditieren das Energiekonzept der Bundesregierung vor allem, weil sie den Ausbau von erneuerbaren Energien und hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen behindern, denn unflexible Großkraftwerke und flexible Erneuerbare stehen in einem Systemkonflikt. Für beide Stromquellen ist zudem nicht ausreichend Platz im Stromnetz.
Doch die Ratschläge der eigenen Studien und Fachleute wurden von Bundeskanzlerin Merkel in den Wind geschlagen, weil dieses Milliardengeschenk an die Energiekonzerne von der Bundesregierung politisch gewollt und längst verabredet war. Die Mehrheit der Bundesbürger war und ist gegen diese Laufzeitverlängerung. Doch auch das interessierte Bundeskanzlerin Merkel und ihren Umweltminister nicht.
Die Art und Weise, in der die Kanzlerin einseitig Politik für die Energiekonzerne machte, war beschämend. Vor allem aber enttäuschte Umweltminister Röttgen, der wider besseren Wissens handelte und beim Showdown im Herbst nicht den Mut hatte, die unbequeme Wahrheit offensiv zu verteidigen. Wer wie diese Bundesregierung den Aufbruch in ein neues Zeitalter dadurch angeht, dass er alte, hoch gefährliche Techniken verlängert und Monopole großer Konzerne verfestigt, ist einfach nur unglaubwürdig.
Damit aber nicht genug: im Oktober 2010 nahm die Bundesregierung die Erkundung des Salzstocks Gorleben wieder auf, obwohl seine Nichteignung als Endlager offenkundig ist. Tausende von Gorleben-Akten hatte Greenpeace 2010 prüfen lassen, und die Aktenbelege zusammen mit neuen Studien zeigten, dass die Wahl des Standortes Gorleben von Anfang an politisch motiviert war und Gorleben als Endlager geologisch ungeeignet ist.
Statt diese Einwände ernst zu nehmen und neue Transporte mit Atommüll bei denjenigen Kraftwerken zu lagern, die den Müll erzeugt haben, boxte die Bundesregierung im November einen weiteren Castor-Transport nach Gorleben durch. Statt einer ergebnisoffenen, bundesweiten Standortprüfung werden so in Gorleben weiter Fakten geschaffen.
Klimaschutz
Wer hoffte, energiepolitisch wenigstens auf dem Gebiet des Klimaschutzes Fortschritte zu sehen, auf dem sich Angela Merkel so gerne als Klimakanzlerin präsentiert, wurde enttäuscht: für die Kanzlerin hatte das Thema nach dem Debakel bei der Klimakonferenz von Kopenhagen Ende 2009 keine Priorität mehr. Die Bundesregierung schrieb das ehrgeizige deutsche Klimaziel (40 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990) zwar im Energiekonzept fest, aber was nutzen die schönsten Ziele, wenn nicht danach gehandelt wird?
Auch 2010 gruben in Ostdeutschland die Schaufelradbagger ganze Landschaften von unten nach oben um für die Gewinnung von Braunkohle, dem klimaschädlichsten Energieträger überhaupt. Ohne eine grundlegende Änderung ihrer Kohlepolitik wird die Bundesregierung das 40-Prozent-Ziel nicht erreichen. Daran können auch die wenigen guten, wenn auch unausgereiften Maßnahmen des Energiekonzeptes etwa zur Gebäudesanierung oder Energieeffizienz nichts ändern.
Auch auf internationaler Ebene war beim Klimaschutz 2010 von einer Führungsrolle Deutschlands nichts zu sehen. Während die EU-Kommission vorrechnete, dass ein höheres Klimaziel für die EU - 30 Prozent weniger CO2 bis 2020 gegenüber 1990 - nicht nur leichter erreichbar, sondern auch deutlich billiger ist als geplant, zeigte sich die Bundesregierung das ganze Jahr über zerstritten.
Während Umweltminister Röttgen (CDU) schon im Frühjahr öffentlich für das höhere Ziel eintrat, tat Wirtschaftsminister Brüderle von der FDP das Gegenteil und forderte allen Ernstes eine Pause beim Klimaschutz. Dabei wurde er kräftig unterstützt von Hardlinern innerhalb der deutschen Industrie, die kein Interesse an teureren Emissionszertifikaten haben.
De facto würgten die Deutschen so in Brüssel die 30-Prozent-Diskussion ab, nachdem ohnehin schon Länder wie Polen und Italien ein höheres Klimaziel ablehnen. So bot die EU am Jahresende bei der Klimakonferenz im mexikanischen Cancun ein ähnlich zerstrittenes und blasses Bild wie ein Jahr zuvor beim Debakel von Kopenhagen.
Erdöl
Ähnlich entäuschend sieht das Bild in anderen Bereichen der Umweltpolitik aus. Nach der Explosion der Ölbohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko forderte EU-Kommissar Oettinger ein Moratorium für Ölbohrungen in der Tiefsee für EU-Gewässer, bis sicher gestellt sei, dass solche Unglücke im EU-Raum ausgeschlossen werden können. Später und zögerlicher schloß sich der deutsche Umweltminister dieser Forderung an.
Greenpeace machte durch Aktionen in Berlin und Brüssel Druck auf die Politik. Doch der Antrag, der dann von Deutschland bei der Konferenz der Anrainerstaaten von Nordsee und Nordostatlantik (OSPAR) im Herbst eingebracht wurde, sah kein Moratorium mehr vor. Wieder hatte das Bundeswirtschaftsministerium auf Drängen der Industrie die Position der Bundesregierung verwässert.
Bis Mitte 2011 müssen nun die vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen von Ölbohrungen in der Tiefsee zumindest überprüft und dokumentiert werden, bevor die nächste OSPAR-Konferenz über weitere Maßnahmen entscheidet.
Agrarpolitik
Atomkraftwerke, Klimawandel und Ölkatastrophen - die Energie- und Klimapolitik dominierte auch 2010 die Umweltpolitik, und andere, nicht weniger wichtige Bereiche fanden zu wenig Beachtung. So setzte die Bundesregierung In der Agrarpolitik ihren industriefreundlichen Kurs unbeirrt fort.
Vergebens sucht man 2010 Maßnahmen gegen die umweltschädigenden Folgen der industriellen Landwirtschaft, ihre hohen Treibhausgasemissionen, die Belastung der Böden und Gewässer mit Chemikalien, das fortgesetzte Artensterben auf dem Lande, den Umbruch von Grünland, die Eröffnung immer größerer Tiermastfabriken oder gegen den massenhaften Anbau von Mais zur Energieerzeugung.
Stattdessen wurden die Mittel für das Bundesprogramm Ökolandbau nicht nur weiter auf einem lächerlich geringen Niveau gehalten, sondern auch für nicht-ökologische, umweltschädliche Maßnahmen geöffnet. Und es wurde weiter versucht, den Anbau genmanipulierter Pflanzen zu fördern. Im August eilte Wirtschaftsminister Brüderle persönlich zur Ernte der ersten genmanipulierten Kartoffel der Firma BASF, der Amflora.
Doch kurz nach dem schönen Fototermin musste BASF einräumen, dass sie die Gen-Knolle nicht im Griff haben: in Schweden wurden konventionelle und genmanipulierte Kartoffelernten vermischt. Zumindest ließ der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern daraufhin die Ernte beschlagnahmen. Greenpeace hatte zuvor die Kartoffelsorten Henriette und Eliane präsentiert, die nicht genmanipuliert sind, aber genauso soviel Stärke produzieren wie die Amflora.
Bisher sind die Gentechnik-Konzerne jeden Beweis schuldig geblieben, dass genmanipulierte Pflanzen ungefährlich sind, dass sie kontrolliert werden können oder dass sie auch nur das Geringste zur Minderung des Welthungers beitragen können. Trotzdem wird diese Propaganda von der Bundesregierung hartnäckig mitgetragen, zuletzt in einer Rede der Kanzlerin im Dezember 2010.
Auch 2010 wurde das mangelhafte Zulassungsverfahren für Genpflanzen auf EU-Ebene nicht reformiert, wie es der EU-Umweltrat schon 2008 gefordert hatte. Stattdessen will die EU es nun den Mitgliedsstaaten überlassen, nationale Anbauverbote zu erlassen, was jedoch die Mängel bei der Sicherheitsprüfung auf EU-Ebene nicht löst.
Ermutigend war, dass das Bundesverfassungsgericht im November eindeutig urteilte, dass die strengen deutschen Regeln zum Anbau von genveränderten Pflanzen verfassungskonform und gerechtfertigt sind.
Verkehrspolitik
Fehlanzeige auch im Verkehrsbereich: alles, was der Bundesregierung beim Thema Auto zum Umweltschutz einfiel, ist und bleibt das Elektroauto. Eine Million Strom-Fahrzeuge sollen bis 2020 auf deutschen Straßen rollen - von dann insgesamt rund 50 Millionen Autos. Für die Erreichung des Klimaziels 2020 werden diese Autos also schon rein zahlenmäßig keine Rolle spielen. Vor allem aber bringen Elektro-Autos dem Klimaschutz nichts, wenn sie mit klimaschädlichem Kohlestrom aus dem Netz betankt werden.
Andere, weniger attraktive, dafür aber umso wirkungsvollere Maßnahmen ignorierte die Regierung, etwa den Abbau der Subventionierung von PS-starken Dienstwagen mit hohem Verbrauch. Auch in diesem Jahr dürften wieder rund 70 Prozent der Neufahrzeuge als Dienstwagen zugelassen worden sein, unabhängig wieviel CO2 sie in die Luft blasen.
Und dies ist nur eine der rund 50 Milliarden Euro teuren umweltschädlichen Subventionen, die in Deutschland jährlich vom Steuerzahler finanziert werden.
Einziger Lichtblick: im Herbst beschloss die Bundesregierung, die klimaschädlichste Art der Fortbewegung, das Fliegen, mit einer - leider zu geringen - Ticketsteuer zu belegen.
Die Umweltbilanz des Jahres 2010 fällt also mehr als bescheiden aus. Und gering ist bisher auch die Hoffnung, dass sich der industrielastige, umweltschädliche Kurs der Bundesregierung in 2011 spürbar ändert.
(Autor: Stefan Krug)