Gorleben und das Endlagersuchgesetz
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Online-Redaktion: Welche weiteren Kritikpunkte gibt es am Verfahren der Endlagersuche?
Mathias Edler: Man könnte sie unter der Überschrift Schein und Sein zusammenfassen. Bisher ist lediglich von mindestens einem Standort die Rede, der untertägig erkundet werden soll. Es könnte dann also am Ende bei einem einzigen bleiben und wir haben ja schon einen, der zu 90 Prozent ausgebaut ist: Gorleben. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.
Die Suche nach dem im Vergleich bestmöglichen Endlagerstandort als Ziel der ganzen Veranstaltung ist in dem derzeitigen Gesetzentwurf nicht einmal rechtssicher formuliert. Stattdessen ist von der Berücksichtigung öffentlicher Belange bei der endgültigen Abwägungsentscheidung über einen Standort die Rede.
Öffentliche Belange wären beispielsweise die 1,6 Milliarden Euro, die im Gorlebener Salz schon vergraben wurden. Oder das Zwischenlager mit seinen 113 Castorbehältern, das direkt über dem als Endlager auserkorenen Salzstock liegt. Oder die Atommüllverpackungsanlage, die natürlich auch nur rein zufällig über dem Salzstock Gorleben steht. Mit solchen öffentlichen Belangen vermag kein Vergleichsstandort aufzuwarten.
Überhaupt wäre der Ausschluss Gorlebens vom Verfahren die Voraussetzung für Ergebnisoffenheit gewesen. Die Geschichte von der weißen Landkarte ohne Vorfestlegungen klingt zwar beim ersten Hören wieder gut, aber entpuppt sich als genaues Gegenteil. Erstens kontaminieren die schon bekannten Mängel des Salzstocks Gorleben das gesamte Verfahren. Jede Entscheidung, vor allen Dingen über die Sicherheitskriterien, ist damit zugleich immer auch eine Entscheidung über den Standort Gorleben.
Dies verhindert die Formulierung der höchstmöglichen Sicherheitskriterien. Und zweitens kann Gorleben frühestens in einem Vergleich auf Augenhöhe mit einem anderen Standort ausscheiden. Ansonsten zählt der sogenannte Erkundungsvorsprung, herausgefahren in 35 Jahren Endlagerbau in Niedersachsen. Das Mehr an Wissen gibt dann den Ausschlag. Gorleben kann also vor einem Vergleich mit einem anderen Standort, der genauso weit untertägig erkundet ist, gar nicht aus dem Verfahren heraus fallen. Und so, wie es jetzt formuliert ist, käme es ja nicht einmal zu diesem Vergleich.
Online-Redaktion: Das klingt ja nicht gerade nach der immer wieder zitierten Ergebnisoffenheit.
Mathias Edler: Es kommt noch schlimmer: Wenn man am Schluss noch zur Kenntnis nimmt, dass viele der alten Gorleben-Anhänger in Wissenschaft, Behörden und Politik auch heute noch innerhalb des Verfahrens ihre Strippen ziehen, während wir draußen vor der Tür warten müssen: Dann wird klar, dass dieses Endlagersuchverfahren weder fair und ergebnisoffen, noch ein Neuanfang ist.
Online-Redaktion: Aber zumindest der Stopp der Bauarbeiten und der laufenden Eignungsüberprüfung in Gorleben sind doch ein erster Erfolg der neuen Endlagersuche, oder nicht?
Mathias Edler: Die Einstellung der Arbeiten in Gorleben macht die schwerwiegenden Mängel des aktuellen Gesetzentwurfes nicht besser. In Gorleben aufzuhören, um den Weg für einen echten Neustart bei der Endlagersuche frei zu machen, ist nach 35 Jahren Geschichte von Lug und Trug gegenüber den Bürgern eine Selbstverständlichkeit.
Bisher ist nur von einem vorübergehenden Erkundungsstopp die Rede. Der Standort soll trotz aller bekannten Mängel nicht aufgegeben werden. Weiterhin rollt hochradioaktiver Müll mit Castortransporten in das Zwischenlager genau über dem Salzstock Gorleben. Wie wäre es denn, als erste vertrauensbildende Maßnahme erst einmal die Atomtransporte nach Gorleben einzustellen?
Die Eignungsüberprüfung, die sogenannte Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben, wurde von jener verschworenen Wissenschaftsgemeinschaft konzipiert, die seit jeher unbeirrt auf Salz als Endlagermedium und Gorleben als Standort setzt. Viele dieser Wissenschaftler und Institutionen haben sich schon im Fall Asse nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Diese tendenziöse Veranstaltung in Gorleben zu beenden, ist ebenfalls eine Selbstverständlichkeit, wenn man überhaupt an einen Neuanfang bei der Endlagersuche denkt.
{image_r}Online-Redaktion: Als größter Streitpunkt unter den Parteien wird immer die Behördenorganisation genannt. Wer führt die Endlagersuche durch, wer schlägt Standorte vor, wer trifft Entscheidungen?
Mathias Edler: Ein wichtiger Punkt, aber im Großen und Ganzen eine zweitrangige Frage. Erstmal muss doch das Suchverfahren entwickelt werden, danach kommt die Frage, wer an welcher Stelle was macht. Das genau diese Frage die höchsten Wellen in Berlin schlägt, lässt tief blicken worum es einigen Politikern eigentlich geht: Über einflussreiche Posten die Entscheidungen im Endlagersuchprozess beeinflussen zu können.
Vorgeschoben wurde die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Entflechtung der Zuständigkeiten von Behörden in der Atommüllproblematik. Erstmal ein guter Ansatz, denn wer Betreiber eines Atommülllagers ist, sollte sich nicht gleichzeitig selbst beaufsichtigen. Nur: Die geplante Neukonstruktion sieht ein Bundesinstitut bzw. ein neues Bundesamt für kerntechnische Sicherheit vor, das mit noch weit mehr Machtbefugnissen ausgestattet werden soll, als das bisher zuständige BfS je hatte.
Die neue Superbehörde soll die Endlagerstandortregionen aussuchen, Standorte zur Erkundung vorschlagen, die Erkundungsergebnisse auswerten, Eignungsaussagen machen und die Bürgerbeteiligung mit Informationsveranstaltungen durchführen. Der besondere Clou: Die neue Superbehörde soll der parlamentarischen Kontrolle entzogen werden.
Online-Redaktion: Das klingt alles verheerend. Was wäre denn jetzt aus Sicht von Greenpeace der nächste Schritt, um aus diesem Dilemma rauszukommen?
Mathias Edler: Die erste Aufgabe des Bundesumweltministers wäre es, eine nationale Endlagerdebatte zu initiieren. Nicht nur in Gorleben, sondern in allen potentiellen Standortregionen und zwar bevor Entscheidungen in Gesetzesform getroffen werden. Wer nur in Gorleben reden will, der will Gorleben als Endlager. So einfach ist das.
Jede Frage, die für Politiker und Wissenschaftler vielleicht schon geklärt erscheint, gehört auf den Prüfstand und muss mit den Bürgern diskutiert werden: Das fängt bei der Entscheidung für eine tiefengeologische Lagerung an und hört bei der Rückholbarkeit auf. Nur wenn bei den Bürgern Vertrauen in ein wirklich ergebnisoffenes und faires Suchverfahren wächst, kann die Politik am Ende, also in vielleicht 20 oder 30 Jahren, auf Akzeptanz für einen ausgesuchten Standort bei den Bürgern hoffen.
Online-Redaktion: Sowohl der Bundesumweltminister als auch der grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin sprechen aber von einem Zeitfenster, das sich langsam schließe und einen Neuanfang in der Endlagerfrage zunehmend unmöglich macht.
Mathias Edler: Das habe ich von Anfang an nicht verstanden. Beide verweisen auf den beginnenden Wahlkampf in Niedersachsen im kommenden Herbst und die nächste Bundestagswahl im September 2013. Wenn die von allen politischen Parteien geäußerte Beteuerung in Bezug auf ein ergebnisoffenes Endlagersuchverfahren wirklich ernst gemeint wäre, dann müsste jener Parteienkonsens doch auch nach einer Landtags- oder Bundestagswahl in dieser Frage bestehen bleiben. Egal, wer dann in der Regierung ist, oder?
Historische Behördenakten beweisen, dass die Benennung Gorlebens als einziger zu untersuchender Endlagerstandort im Winter 1976/77 einem immensen Zeitdruck geschuldet war. Vom Auftauchen Gorlebens im Verfahren bis zur Entscheidung vergingen nur wenige Wochen. Zeitdruck ist auch heute der schlechteste Ratgeber, um diese falsche Entscheidung zu korrigieren. Wenn wir jetzt unter Zeitdruck ein mangelhaftes Suchverfahren beginnen, dann wird dieses Verfahren am Ende scheitern. Und dann wurde keine Zeit gespart, sondern weitere Zeit bei der Suche nach einem Atommüllendlager mutwillig vergeudet.
Den ersten Teil des Interviews finden Sie unter Endlagersuche: Zahlreiche Mängel in Verfahren und Gesetzentwurf.