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Greenpeace-Aktive stemmen sich gegen Dominosteine mit Arten drauf, die umzukippen drohen
© Markus J. Feger / Greenpeace

Artenkrise – wenn die Ökosysteme kollabieren

Was der Welt droht, wenn wir die Artenkrise ignorieren

Die Artenkrise bedroht unmittelbar unsere Lebensgrundlagen, denn sie schädigt die Ökosysteme, von denen wir über Luft, Wasser und Nahrung abhängen. 

Sie findet leise statt und beinahe unbemerkt – ohne großen Medienrummel: die Artenkrise. Alle zehn Minuten stirbt Schätzungen zufolge eine Art aus, wenn es so weitergeht, werden wir laut internationalem Biodiversitätsrat IPBES bis 2030 von den geschätzten acht Millionen Pflanzen-, Tier- und Pilzarten fast eine Million verloren haben.

Doch eine artenarme Erde ist für uns Menschen gefährlich: Ökosysteme mit geringer Artenvielfalt sind instabiler als solche mit hoher. Und wir sind auf heile Ökosysteme angewiesen. Sie liefern uns Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Nahrung zum Essen und vieles mehr.

All dies mag uns selbstverständlich erscheinen, doch das ist es nicht. Mit der Artenvielfalt verschwinden auch unsere eigenen Lebensgrundlagen.

 

Doppelkrise: Arten- und Klimakrise hängen zusammen

Die Artenkrise ist so dramatisch wie die Klimakrise. Der Weltklimarat (IPCC) prognostiziert, dass die negative Wirkung der einen Krise auf die andere bis zum Jahr 2100 noch drastisch zunehmen wird. Deshalb müssen die beiden Krisen zusammengedacht werden

Laut IPCC hat die Klimaerhitzung die Ökosysteme an Land, im Meer und Süßgewässern auf der ganzen Welt verändert. Die Folgen sind Artensterben und Zunahme von Krankheiten. Ökosysteme werden dadurch umstrukturiert, Brandflächen ausgeweitet, wichtige Ökosystemleistungen gehen verloren. Auf allen Kontinenten zeigen sich klimabedingte Extremwetter, an die viele Arten nicht angepasst sind, sie können mit der rasanten Geschwindigkeit der Veränderung nicht mithalten. Klimaempfindliche Ökosysteme sind von der Artenkrise am stärksten betroffen.

Mit jedem Zehntelgrad Erwärmung nimmt die Bedrohung von Arten und Ökosystemen in Ozeanen, Küstenregionen und an Land zu. Zugleich wird die Artenkrise durch Umweltverschmutzung, Lebensraumfragmentierung und Landnutzungsänderungen noch verschärft. In einem Factsheet geht der IPCC davon aus, dass, wenn wir den Ausstoß klimaschädlicher Gase nicht reduzieren werden, vor allem die Ökosysteme in kalten und bereits warmen Gebieten in den nächsten Jahrzehnten Temperaturen erleben werden, die über historische Bedingungen hinausgehen, die Artenvielfalt dort wird sich nicht anpassen können. Der IPCC schätzt außerdem, dass schon bei einer globalen Erwärmung von 1,5 °C in tropischen Landschaften und Küstengebieten mit einem Verlust von 20 Prozent der Arten zu rechnen ist.

Umgekehrt tragen Artensterben und Biodiversitätsverlust zur Klimakrise bei. Zum Beispiel speichern Monokulturen weniger Kohlenstoff als hochdiverse Lebensräume. Die Zunahme von Waldbränden schädigt Ökosysteme und setzt Klimagase frei.

Artenkrise sichtbar machen

Toucan in Brazilian Rainforest

Mit dem Projekt grad.jetzt machen Naturfotograf Markus Mauthe und Journalistin Louisa Schneider globale Kipppunkte und deren Auswirkungen sichtbar.

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Markus Mauthe und Louisa Schneider in Brasilien

Naturfotograf Markus Mauthe und Journalistin Louisa Schneider ergründen gemeinsam die globalen Auswirkungen der Klimakrise – mit dem Ziel, Zusammenhänge von Biodiversität und Klimakipppunkten sichtbar zu machen.

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Die Artenkrise gefährdet die Menschheit

In einem Ökosystem interagieren die Arten und weben ein dichtes Netz des Lebens. In gesunden, stabilen Ökosystemen stellt das Zerreißen einzelner Fäden dieses Netzes kein Problem dar, doch je geringer die Biodiversität in einem Ökosystem ist, desto instabiler wird es.

Die Artenkrise gefährdet daher die sogenannten Ökosystemdienstleistungen, auf die wir für unser Überleben angewiesen sind – und bedroht uns damit unmittelbar selbst. 

Ökosystemdienstleistungen sind all jene Ökosystemfunktionen, von denen wir direkt profitieren:

  • Unsere Obst- und Gemüsesorten, Getreidearten und Nutzpflanzen sind von Bestäubern wie Bienen, Wespen, Schmetterlingen, Fliegen, Motten und anderen Insekten abhängig.
  • Die Gesundheitsversorgung von vier Milliarden Menschen basiert hauptsächlich auf natürlichen Medikamenten wie Heilpflanzen.
  • Fast zwei Milliarden Menschen decken ihren primären Energiebedarf mit Brennholz.
  • Etwa 70 Prozent der gegen Krebs eingesetzten Medikamente sind natürliche oder synthetisierte Produkte aus der Natur.
  • Meeres- und Festlandökosysteme binden bis zu 60 Prozent der globalen, von Menschen verursachten Emissionen.

Es gibt auch zahlreiche andere Ökosystemfunktionen, die auf den ersten Blick scheinbar keinen Nutzen für Menschen haben. Sie sind deswegen aber nicht weniger wichtig: Weil sie für den Erhalt des Ökosystems notwendig sind, hängen auch ihre für uns wichtige Dienstleistungen davon ab.

Größerer Artenverlust ist selten umkehrbar: Sind bestimmte Kipppunkte erst einmal überschritten, führt kein Weg zu einem funktionierenden Ökosystem zurück. Da auch räumlich getrennte Ökosysteme über Artenwechselbeziehungen miteinander verbunden sind, schwächt der Ausfall einzelner Systeme irgendwann das gesamte Gefüge. Lebensraumschutz und Erhalt der Artenvielfalt sind daher das Gebot der Stunde.

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) kämpft für Artenschutz

Die Convention on Biological Diversity (CBD) wurde 1992 im Rahmen der Rio-Konferenz verabschiedet, bei der auch das Übereinkommen zu Klimaveränderungen (UNFCCC) beschlossen wurde. Beide Konventionen sind völkerrechtlich bindend und wichtige Instrumente für die Entwicklung internationaler politischer Prozesse gegen die Artenkrise. 198 Staaten der Erde haben diesen gemeinsamen Vertrag inzwischen unterzeichnet, er gilt als eines der Schlüsseldokumente für den internationalen Artenschutz.

Die CBD nennt drei wesentliche Ziele:

  • Die Biodiversität soll erhalten bleiben,
  • die biologische Vielfalt soll nachhaltig genutzt werden und
  • es soll einen gerechten Vorteilsausgleich aus der Nutzung der genetischen Vielfalt geben (wichtig zum Beispiel für Indigene).
Datum

Die Biodiversitätskonferenz COP16 braucht mehr Beachtung

Die Klimakonferenz COP29, die Mitte November 2024 im aserbaidschanischen Baku stattfindet, beschäftigt sich vor allem mit der Klimakrise. Sie erzeugt inzwischen immerhin ein mediales Echo, das aber leider größer ist als die realen Veränderungen, die die mühsam auf den Weg gebrachte Abschlusserklärung haben werden.

Im Schatten der COP29 findet die Weltnaturschutzkonferenz COP16 statt. Weder medial noch von den Teilnehmenden her, spiegelt sie die Gleichwertigkeit der Arten- und der Klimakrise wider. Dabei hat die COP16 den Schutz der globalen Biodiversität zum Ziel – was mindestens ebenso wichtig wie Maßnahmen gegen die Klimakrise ist. Ziel der Weltnaturschutzkonferenz ist es, einen globalen Rahmen und neue Ziele für die biologische Vielfalt nach 2020 festzulegen, etwa durch Schutzgebiete und einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. 

Warum nach 2020? Weil es zuvor einen „Strategischen Plan 2011 - 2020“ gab. Dieser Plan mit den so genannten Aichi-Zielen scheiterte, da die 20 festgelegten Ziele verfehlt wurden. Die internationale Politik benötigte einen neuen Plan, wenn die Artenkrise realistisch entschärft werden soll. Der Bericht des Weltbiodiversitätsrats nannte konkrete Handlungsfelder und Maßnahmen, die endlich ergriffen werden müssen. Bei der COP15 in Montreal, Kanada beschlossen die Teilnehmenden das so genannte Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework. Es umfasst Maßnahmen und Ziele für den Erhalt der Biodiversität. Nun soll es 2024 bei der  COP16 darum gehen, die bisherige Umsetzung der dort festgeschriebenen Ziele zu überprüfen.

Zu der Weltnaturkonferenz COP16 läd Kolumbien vom 21. Oktober bis 1. November 2024 nach Cali ein. „Das zukünftige Abkommen muss bis spätestens 2030 zu mindestens 30 Prozent Schutzgebieten an Land und im Meer führen und dabei die Rechte Indigener Gruppen und lokaler Gemeinschaften berücksichtigen“, fordert Greenpeace-Experte Thilo Maack. „Außerdem muss es mit einer soliden Finanzierung und verpflichtenden Aktionsplänen unterlegt sein. Deutschland hat seiner internationalen Verantwortung gerecht zu werden und muss sich für ein robustes Abkommen mit klaren Zielen und Aktionsplänen zur Rettung der Natur einsetzen.“

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Die EU und Deutschland sind nicht die Treiber des Artenschutzes

Die Europäische Union inszeniert sich gern als weltweit treibende Kraft im Kampf gegen Artenkrise und Erderhitzung. Probleme werden diskutiert und Ziele formuliert. Allerdings schafft die EU es bislang nicht, die definierten Ziele selbst zu erreichen. 

Ein Beispiel aus Deutschland: Der Schweinswal in der Nord- und Ostsee ist die einzige heimische Walart. Allerdings sind einige seiner Bestände extrem bedroht. Die Gründe dafür liegen unter anderem in rücksichtsloser Fischerei, Unfällen mit Schiffen, Lärm- und Meeresverschmutzung und der Nichtumsetzung von Meeresschutzgebieten. 

Statt aus den existierenden Meeresschutzgebieten echte Schutzgebiete zu machen, sollen nun bei Wilhelmshaven LNG-Terminals gebaut und nahe Borkum ein Gasfeld erschlossen werden. Beides bedroht die Schweinswal-Populationen in direkter Weise, auch zeigt sich hier einmal mehr, dass man weiterhin an fossilen Energieträgern wie Erdgas festklammert.

Einige Zahlen, um diese fatale Entwicklung ins richtige Licht zu rücken: 9,7 Milliarden Euro sollen allein die schwimmenden LNG-Terminals kosten (NDR) – der Erhalt der globalen Biodiversität ist der Bundesregierung hingegen nur 1,5 Milliarden Euro wert. Der Greenpeace-Report „Failing Nature“ zeigt weitere Fehlentwicklungen in über einem Dutzend EU-Ländern auf.

Gegen die Artenkrise helfen mehr echte Schutzgebiete

Schutzgebiete sind ein Schlüsselbaustein in der Erhaltung der Artenvielfalt. Denn Phänomene der Artenkrise zeigen sich vor allem dort, wo natürliche Habitate stark verändert und denaturiert werden. Je mehr unveränderte Natur die Nationen also global bereitstellen, desto größer ist die Chance, dass diese Ökosysteme nicht durch menschlichen Einfluss geschwächt werden.

Allerdings reicht es nicht, Schutzgebiete nur vage zu definieren, sodass diese am Ende gar nichts schützen und gegen die Artenkrise nichts bewirken. Doch genau das passiert täglich.

Greenpeace hat sich einmal ganz speziell den Schutz der Wälder angeschaut und dabei in einer Studie festgestellt: Schutzgebiete schützen nicht.

Ein Beispiel für ein Nichtschutzgebiet ist der alte Buchenwald im thüringischen Hainich. Der ist ein sogenanntes FFH-Gebiet, ein Fauna-Flora-Habitat und gehört damit offiziell zu einem EU-Schutzgebiet. Das bedeutet aber keineswegs, dass er geschützt ist: Während für menschliche Besucher:innen strenge Regeln gelten, dürfen weiterhin Bäume gefällt werden. 

Es ist absurd: Während der Mensch den Weg nicht verlassen und den Wald nicht betreten darf, dürfen es aber die schweren Maschinen, mit denen Bäume umgesägt und abtransportiert werden. Die Wälder der Forstwirtschaft sind Plantagen – und sie helfen nicht gegen die Artenkrise, sie sind im Gegenteil eine ihrer Ursachen. 

So hat sich Deutschland verpflichtet, fünf Prozent der Waldfläche seiner natürlichen Entwicklung zu überlassen – ohnehin ein viel zu geringes Ziel. Doch selbst dieses hat Deutschland bislang verfehlt.

Das Weltartenschutzabkommen CITES behandelt gezielt den Tierhandel

2025 wird zum zwanzigsten Mal die Weltartenkonferenz CITES stattfinden. Das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES (Convention on International Trade of Endangered Species of wild Fauna and Flora) ist ein Übereinkommen über den Handel mit in bestimmten Listen aufgeführten Tier- und Pflanzenarten. CITES gilt als wichtiges Instrument für den Schutz bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Bei Verstößen können Handelsbeschränkungen und Sanktionen gegen Vertragsstaaten ausgesprochen werden. Die Konferenz kann einige Erfolge vorweisen und ruft zum Beispiel in Erinnerung, dass die Artenkrise nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen betrifft. So finden sich inzwischen fast zweihundert Baumarten auf der Liste bedrohter und damit zu schützender Pflanzen, darunter Mahagoni und afrikanisches Teak, die durch Übernutzung vom Aussterben bedroht waren.

2022 landeten fast 60 Hai-Arten auf der CITES-Liste II, so dass sie nur noch sehr eingeschränkt gehandelt werden dürfen. Die Haie werden vor allem wegen ihrer Flossen und ihres Fleisches gejagt, fast 20 Arten sind vom Aussterben bedroht. Haie bilden die Spitze der Nahrungskette im Meer.

Mehr dazu auch im Shark-Report von 2022.

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