Ikea: Kahlschlag statt Nachhaltigkeit
Das dunkle Geheimnis hinter den Ikea-Möbeln
Es gibt mehr und mehr Risse in der Fassade vom günstigen und nachhaltigen Wohnen made by Ikea. Das zeigt eine neue Greenpeace-Recherche. Im Fokus: die Karpaten.
- Nachricht
Ein Duft von frischem Holz und schwedischen Fleischbällchen liegt in der Luft. Eine voll ausgestattete Küche, ein “hygges” Schlafzimmer, alles perfekt aufeinander abgestimmt. Ikea ist ein schwedischer Konsum-Traum, der längst Teil der Realität vieler Menschen in Deutschland und der ganzen Welt geworden ist. Und dann auch noch dieser vermeintlich günstige Preis. Doch die Zeche für Ikeas “fast furniture” – zu deutsch in Masse produzierte günstige Möbel – zahlt die Natur. Genauer gesagt: Europas älteste, artenreichste Wälder.
Die Karpaten sind eine 1.500 km lange Gebirgskette, die sich von Polen über die Slowakei, die Ukraine und Rumänien bis nach Tschechien, Ungarn, Serbien und Österreich erstreckt. Tief in ihren Wäldern leben die größten europäischen Populationen von Braunbären, Wölfen, Gemsen und Luchsen sowie mehr als ein Drittel aller europäischen Pflanzenarten. Hier, in der letzten Wildnis Europas, spielt sich eine Tragödie ab: In riesigen Mengen werden alte Bäume gefällt, die alten Wälder und Urwälder der Karpaten schwinden.
Aber wofür werden diese alten Wälder zerstört? Für die vorliegende Recherche haben sich Greenpeace-Teams aus 13 verschiedenen Ländern auf die Spur des Holzes begeben. Mithilfe von Satellitenbildern, Abholz-Genehmigungen, Holzlagern und Handelsregistern konnten wir den Weg des Holzes aus den Wäldern Rumäniens verfolgen – bis in die Regale der Ikea-Filialen. Auch bis nach Deutschland.
Ikea lässt die ältesten Wälder Europas für Ingolf und Proppmätt vernichten
Diese Lieferketten nachzuverfolgen, war nicht leicht, denn Ikea produziert nicht alle seine Möbel selbst, sondern beschäftigt zusätzlich externe Hersteller. Aber nach monatelanger Recherche können wir nachweisen: Sieben dieser externen Unternehmen, die Ikea-Möbel herstellen, nutzen Holz aus alten, artenreichen Wäldern. In Ikea-Filialen in 13 Ländern, darunter auch Deutschland, fanden sich 30 verschiedene Produkte dieser Hersteller. Dazu gehören eine Vielzahl von Ikea-Klassikern, vom Kinderbett und Bettgestell Sniglar über die Stühle Ingolf, den Tritthocker Bekväm, die Sofas Kivik bis hin zu kleineren Haushaltsgegenständen wie dem Schneidebrett Proppmätt. Vielleicht sitzen Sie, liebe Lesende, gerade auf einem dieser Produkte oder haben es in der Küche – wie die meisten von uns.
“Wir dürfen die biologisch vielfältigsten und ältesten Wälder Europas nicht für Möbel opfern”, sagt Greenpeace-Waldexpertin Gesche Jürgens. “Alte Wälder sind für die Gesundheit des Planeten unverzichtbar und gehören umfassend geschützt. Ohne sie können wir die Arten- und Klimakrise nicht in den Griff bekommen.”
EU und Ikea in der Verantwortung
Dass die Karpaten-Wälder nicht ausreichend geschützt sind, dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen sträuben sich Unternehmen und Behörden seit Jahren dagegen, dass wertvolle Wälder in Rumänien als Urwälder ausgewiesen werden, weil dann dort kein Holz mehr geerntet werden dürfte. Zum anderen liegen alte, artenreiche Wälder oft bereits in Schutzgebieten, aber dort (wie im europäischen Natura 2000 Netzwerk) dürfen trotzdem Bäume gefällt werden.
Die Europäische Union (EU) hat sich zwar Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt gesteckt und in diesen ist vorhergesehen, mehr Wälder besser zu schützen. Viele EU-Länder wie auch Rumänien setzen dies jedoch nicht um. Über 40 Prozent der Karpatenwälder befinden sich in Rumänien, davon sind nur 2,4 % (1700 km²) derzeit streng, d.h. vor Einschlag, geschützt.
Und was sagt Ikea?
Ikea poliert seit Jahren an seinem Image herum und hat sich “Nachhaltigkeit” prominent auf die Fahne geschrieben. Auf der Webseite verspricht ein Zitat von Ikeas Globalem Forstwirtschaft-Manager Mikhail Tarasov: "Wir fördern verantwortungsvolle Forstwirtschafts-Methoden. Wir tun dies, um die Branche zu beeinflussen und auch einen Beitrag zur wichtigen Arbeit zur Beendigung der Entwaldung zu leisten." Klingt vielversprechend, aber: In den Karpaten wird jede Stunde eine Fläche von fünf Fußballfeldern abgeholzt.
Ikea nutzt außerdem gezielt seine Mitgliedschaft im Forest Stewardship Council (FSC). Das FSC-Siegel kennzeichnet Waldprodukte als Erzeugnisse von Forstbetrieben, die nachhaltig arbeiten. Laut Ikea stammen fast 98% des von ihnen verwendeten Holzes aus FSC-zertifizierten Quellen. Allerdings erkennt das FSC-Zertifizierungssystem nicht immer die wahren Werte alter Wälder für die Artenvielfalt an. Dadurch können unter FSC-Zertifizierung sogar industrielle Forstwirtschaft und Holzeinschlagspraktiken in Wäldern stattfinden, die eigentlich streng geschützt sein sollten. Deshalb verließ Greenpeace das Siegel 2018.
Greenpeace Ost- und Zentraleuropa hat Ikea und seinen externen Möbelherstellern die Möglichkeit gegeben, zu den Ergebnissen der Recherche Stellung zu nehmen. Ikea hat die Aussagen der Recherche nicht bestritten. Die meisten Möbelhersteller haben nicht geantwortet. Einer der Hersteller bestätigte den Bezug von Holz aus einem Natura 2000-Gebiet und erklärte, dass eine solche Zerstörung nicht illegal sei.
“Es ist Aufgabe der EU, die eigenen Wälder stärker zu schützen, das heißt, Einschlag in artenreichen Wäldern zu verbieten”, sagt Jürgens. “Aber auch Unternehmen haben eine Verantwortung. Ikea behauptet, nachhaltig zu sein, profitiert aber im Moment immens vom schwachen Naturschutz in den Karpaten. Ikea muss seinen eigenen Nachhaltigkeitsversprechen gerecht werden und seine Lieferketten von der Zerstörung alter Wälder säubern.”
“Dunkle Fakten zur Waldzerstörung in den Karpaten”
- Schätzungen zufolge wird weltweit alle zwei Sekunden ein Baum für die Produktion von Ikea-Möbeln gefällt.
- Nur noch rund 7% der rumänischen Wälder sind älter als 120 Jahre.
- Schätzungen zufolge hat Rumänien in den letzten 20 Jahren mehr als 50% seiner Urwälder durch Abholzung verloren.