Greenpeace unterstützt indigenes Volk beim Kampf um Kanadas Wälder
- Nachricht
Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert
Gerodet und zerstört – so hinterlässt die Holz- und Papierindustrie Kanadas Urwälder. Gemeinsam mit Greenpeace kämpfen Indigene für eines der letzten intakten Gebiete der Region.
„Wie ein Märchenwald“, so beschreibt Sandra Hieke das Herzstück des Broadback Valley Forest, eines der wenigen noch intakten Urwaldgebiete Kanadas. Die Greenpeace-Expertin für Wälder schwärmt von eindrucksvollen Nadelbäumen, gigantischen Mooskissen und mehr Grüntönen als auf der Farbpalette eines Malers. Ende August flog sie in die Provinz Quebec, um sich diesen märchenhaften Urwald anzusehen – nicht aus touristischem Interesse, allerdings. Seit Jahren beobachtet das indigene Volk der Cree aus Waswanipi dort, wie immer mehr Flächen der Holz- und Papierindustrie zum Opfer fallen. Nun fürchten sie wegen eines fraglichen Waldschutzvertrages auch um die letzten intakten Teile des Broadback Valley Forest, die zu ihrem Territorium gehören. Die Cree organisierten deshalb eine Journalistenreise in den Urwald und luden dazu Greenpeace und internationale Medienvertreter ein. „So viele Menschen wie möglich sollen die Bedrohung des Waldes an die Öffentlichkeit tragen“, erklärt Hieke. „Je mehr über die Situation vor Ort berichtet wird, desto höher stehen auch die Chancen für den Schutz des Waldes“.
Papierfabriken statt Bäume
„Es war alleine schon beindruckend zu erleben, wie lange man braucht, um in einen der letzten unberührten Wälder der Erde zu kommen“, erzählt Hieke. Aus Deutschland flog sie zehn Stunden nach Montreal, fuhr dann rund 20 Stunden über Autobahnen und staubige Forst-Straßen in Kanada. Denn die Gemeinde der Cree von Waswanipi liegt mitten in Quebec, zwischen Hudson Bay und Atlantik.
Je näher die Gruppe ihrem Ziel kam, desto präsenter wurde auch die Holz- und Papierindustrie und ihr Einfluss auf die Region. Mit Holz beladene Trucks kamen ihnen oft im Fünf-Minuten-Takt entgegen und verschwanden dann in gigantischen Staubwolken. Ziel der Trucks: Die zahlreichen Holz- und Papierfabriken in der Region, vor deren Toren sich Berge gestapelter Stämme türmten. „Es ist unglaublich traurig, dass dort die letzten intakten Urwälder Kanadas begraben werden“, sagt Hieke.
Keine Cree-Kultur ohne Wälder
Rund acht Autostunden nördlich von Montreal machte die Gruppe den ersten Zwischenstopp;. von dort aus ging es weiter in die Gemeinde der Cree von Waswanipi. Die ist von den intakten Urwäldern des Broadback Valley noch immer mehrere Auto- und Motorboot- Stunden entfernt; die Cree selbst fahren deshalb meist auch bloß am Wochenende in das Gebiet, um dort zu jagen und zu fischen.
Wie kontrastreich die Cree-Kultur ist, stellte Sandra Hieke schon kurz nach ihrer Ankunft in der Gemeinde Waswanipi fest. Das Leben in dem 1400-Seelen-Ort unterscheidet sich im Alltag kaum von dem der Menschen in Europa. Läden, Baufirmen, eine Verwaltung und eine Bank – dort gibt es alles, was man auch in anderen kanadischen Gemeinden findet. Aber Institutionen wie der Rat der Ältesten und der Rat für die Jungen zeigen: Die alten Traditionen spielen noch immer eine wichtige Rolle.
Noch deutlicher wurde das bei einer Walking-Out-Ceremony. Dabei werden die Kleinkinder, die gerade erst laufen gelernt haben, in die Gemeinschaft eingeführt. Die Zeremonie, bei der sie symbolisch Bäume fällen und Tiere jagen, versinnbildlicht die Verbundenheit der Cree mit ihrem Land. Bis dahin dürfen die Kleinen außerhalb des Hauses den Boden nicht mit ihren Füßen berühren. „Bei der Zeremonie geht es den Cree nicht darum, die Natur zu zerstören“, erklärt Hieke. „Sie zeigen damit, dass der Wald und die Tiere ein wichtiger Teil ihres Lebens sind.“
„Nicht verkäuflich“
Den letzten intakten Urwald der Region erreicht man nur über den Broadback River, ein für Motorboote gefährliches Gewässer voller Stromschnellen und spitzer Felsen. Keine Straße, kein Forstweg führt in den Wald hinein.
Bei der Fahrt durch die Gewässer des Broadback River navigierten Mitglieder der Cree die Gruppe, unter ihnen auch Don Saganash. Er hat im Broadback Valley Forest die traditionellen Rechte zum Jagen und Fischen von seinem Vater geerbt; an diesen lässt er die gesamte Gemeinde teilhaben. Seit Jahren kämpft er für den Schutz des Waldes – dabei unterstützen ihn seine Gemeinde und Greenpeace mit öffentlichen Aktionen. „Dieses Land steht nicht zum Verkauf“, erklärt Don Saganash. „All meine Vorfahren haben hier gelebt, und ich möchte, dass das auch meine Enkelkinder noch tun.“
Von Zerstörung umgeben
Doch der Urwald im Boradback Valley ist inzwischen umgeben von forstwirtschaftlich genutzten Flächen, die bereits von Straßen zerschnitten oder sogar völlig abgeerntet sind. Deshalb ist das intakte Waldgebiet der Waswanipi-Cree auch ein besonders wichtiger Lebensraum der bedrohten Waldkaribus, die in der Region heimisch sind.
Auch in den Nachbargebieten im Broadback Valley Forest sind die Folgen des Kahlschlags deutlich sichtbar: Die Böden sind von riesigen Forstmaschinen aufgerissen, in den entstandenen Gräben staut sich das Wasser. „Man kann dort kaum mehr laufen, weil man an jeder Ecke in irgendein Loch absinkt“, beschreibt Hieke. „Außerdem stinkt das Wasser, das in den Gräben und Furchen fault, unerträglich.“
Waldschutz durch Kaufentscheidungen
Der zerstörerische Umgang mit den besonders schützenswerten Wäldern hatte jüngst auch für die Industrie Konsequenzen. So verlor die Firma Resolute Forest Products mehrere FSC-Zertifikate für nachhaltige Forstwirtschaft für Teile von Quebec. Davor hatte Greenpeace wiederholt öffentlich auf Missstände bei der Waldbewirtschaftung durch Resolute aufmerksam gemacht – die Firma versuchte diese Kritik mit einer Diffamierungsklage zu unterdrücken.
Der deutsche Medienkonzern Axel Springer, der seit Jahren Papier von Resolute bezieht, hat gerade die Zusammenarbeit aufgekündigt. Er will dort nicht mehr kaufen, bis sich die Situation zwischen der Firma und den relevanten Interessengruppen geändert hat. „Es ist in jedem Fall ein gutes Signal in Richtung Kanada, zu zeigen, dass man kein Papier aus kontroverser Waldbewirtschaftung verarbeiten will“, erklärt Hieke.
Auch Verbraucher können zum Waldschutz beitragen: Indem sie hauptsächlich Recycling-Papier verwenden und bei allen anderen Holzprodukten auf eine FSC-Zertifizierung achten. Das FSC-Siegel ist nämlich bislang das einzige, das nicht nur ökologische Kriterien ernsthaft berücksichtigt, sondern auch die Einbeziehung von Indigenen in Entscheidungsprozesse, die ihre Gebiete betreffen.
Die Zukunft der Cree von Waswanipi hängt nun davon ab, ob das Herzstück des Broadback Valley Forest zum Schutzgebiet wird – eine Entscheidung die letztlich bei der Regierung von Quebec liegt. Trotz dieser Ungewissheit ist das indigene Volk aber voller Optimismus. „Ich habe bei den Cree eine unglaublich positive Grundeinstellung wahrgenommen, aber auch eine tiefe Entschlossenheit, für ihr Gebiet zu kämpfen“, sagt Sandra Hieke. Greenpeace will die Öffentlichkeit weiterhin über die Lage vor Ort informieren und die Cree in ihrem Kampf unterstützen. Und auch Don Saganash wird weitermachen. Denn er weiß um den Wert seines Waldes und ist fest entschlossen, ihn zu schützen. „Wir halten unsere Stellung bis zum letzten Baum. Denn wir sind die Menschen des Waldes – wir wollen nicht die Menschen der Baumstümpfe werden.“