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Freiwillige von Greenpeace vor einem Banner fordern Dow Chemicals auf, den Ort des weltweit schlimmsten Industrieunfalls in Bhopal in Indien aufzuräumen.
© Greenpeace / Tim Cole

19 Jahre Bhopal-Katastrophe

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Weltweit haben Menschen am 19. Jahrestag der Chemiekatastrophe in Bhopal ihrer Opfer gedacht. Über die indische Stadt brach am 3. Dezember 1984 die schlimmste Chemiekatastrophe aller Zeiten herein.

Mit Aktionen in 16 Ländern unterstützten Greenpeace und die Internationale Kampagne für Gerechtigkeit in Bhopal (ICJB) den Kampf der Überlebenden um Wiedergutmachung. In Mumbai, früher Bombay, legten sich mehr als 100 Menschen auf dem Bürgersteig des Marine Drive nieder. Der Teppich aus Menschenleibern soll an die Tage nach dem Unheil erinnern, als die Körper der Getöteten die Straßen von Bhopal bedeckten.

Damals, in der Nacht zum 3. Dezember 1984, waren in einer Pestizidfabrik des US-amerikanischen Chemieunternehmens Union Carbide, mittlerweile von Dow Chemical übernommen, 80 Tonnen eines tödlichen Gasgemischs ausgetreten. Ursache: Einsparungen bei den Sicherheitsvorkehrungen.

Das Gas tötete 2.000 Menschen auf der Stelle, mindestens 8.000 starben innerhalb der ersten drei Tage. Insgesamt sind seit jenem Tag rund 20.000 Menschen an den Folgen des Desasters gestorben. Mehr als 150.000 Menschen wurden dauerhaft schwer geschädigt. Eltern, die dem Gas ausgesetzt waren, bekamen Kinder mit Missbildungen.

"Wir hörten Lärm von draußen und jemand öffnete die Tür. Eine giftige Windböe traf uns. Ich sagte zu meiner Familie, dass wir weglaufen müssten, denn draußen rannten alle weg. So merkten wir, dass in der Union Carbide-Fabrik etwas passiert war. Unsere Augen waren entzündet, wir konnten sie nicht öffnen, wir liefen blind. Mein Vater, meine Schwester, jeder hatte Schaum vor dem Mund. Wir wussten nicht, was wir tun sollten, also liefen wir so weit wir konnten und saßen schließlich einfach nur da." So beschreibt Rasheeda Bee die Nacht zum 3. Dezember 1984.

Ein Jahr später wurde vor der verseuchten Pestizidfabrik das Bhopal-Memorial aufgestellt. Die holländische Künstlerin Ruth Watermann hatte es zusammen mit den Witwen von Bhopal erschaffen. Die Überlebenden kämpfen bis heute um Gerechtigkeit: um die Verurteilung der Verantwortlichen, um medizinische Langzeitbetreuung, finanzielle Wiedergutmachung und sauberes Trinkwasser.

Keine Entschädigung für die Opfer von Bhopal

Die Opfer kämpfen vergeblich für eine angemessene Entschädigung. Union Carbide hatte die indische Regierung 1989 mit rund 470 Millionen Dollar abgespeist, ohne Mitsprache der Betroffenen. Ein Betrag, der nur ein Sechstel dessen ausmacht, was gefordert wurde. Wenn überhaupt erhielten Überlebende zwischen 300 und 1000 Dollar. Davon sollten sie die dringend notwendige, lebenslange medizinische Hilfe bezahlen. Doch für viele reichte das Geld nicht einmal für das erste Jahr nach der Katastrophe. Der Betrag reichte für allerhöchstens fünf Jahre medizinischer Betreuung.

In 2001 wurde Union Carbide von Dow Chemical übernommen. Dow jedoch weigert sich, die Verantwortung für die Folgen der Katastrophe zu übernehmen. Durch ein raffiniertes markt- und betriebswirtschaftliches Konstrukt ist Dow der alleinige Anteilseigner an Union Carbide. Dadurch bleibt Union Carbide als eigenständige Firma bestehen, doch die Gewinne fließen in die Kassen von Dow. Aber für die Verbindlichkeiten der im Grunde übernommenen Firma muss der Chemie-Gigant nicht aufkommen.

Im April 2003 eröffneten die Opfer und Organisationen der Überlebenden erneut ein Gemeinschaftsverfahren vor dem zweiten Circuit Court of Appeals in New York, um die Reinigung und Entgiftung des Geländes in Bhopal sowie Entschädigungen für Schäden durch die Verseuchung zu erhalten. In Bhopal läuft ein Strafprozess gegen Union Carbide, in dem es auch um fahrlässige Tötung geht. Und die Staatsanwaltschaft prüft, ob auch Dow auf der Anklagebank Platz nehmen muss.

"Dows Widerstand gegen eine Sanierung und gegen die Übernahme ihrer Verantwortung in Bhopal bedeutet tagtägliche Vergiftung der Menschen und verschärft das Leiden der Überlebenden und deren Kinder", so Champa Devi, Überlebende und Leiterin der Gewerkschaft für betroffene Arbeiterinnen aus Bhopal, der Bhopal Gas Peedit Mahila Stationery Karmachari Sangh (BGPMSKS).

Rasheeda Bee und einige der anderen Überlebenden unterstreichen ihre Forderungen durch einen Hungerstreik. Seit dem ersten Mai fasten sie, als sie im New Yorker Finanzdistrikt an der Wallstreet demonstrierten. Inzwischen haben sich überall auf der Welt über 130 Menschen ihnen angeschlossen. "Wir fasten, um auf der Wahrheit zu bestehen", erklärt Champa Devi. "Die Welt soll wissen, dass das größte Chemieunternehmen der Welt nun beteiligt ist an den Verpflichtungen aus dem größten Industrieunfall der Welt."

Gedenken und Proteste am 19. Jahrestag der Katastrophe

Zum 19. Jahrestag der Katastrophe erinnern Greenpeace-Aktivist:innen den Chemiemulti erneut an seine Verantwortung. Sie stellen vor der europäischen Zentrale des Chemiemultis eine Kopie des Bhopal-Memorials auf: Eine sterbende Mutter versucht, mit ihren Kindern der tödlichen Gaswolke zu entfliehen.

Das Greenpeace-Schiff Rainbow-Warrior sollte eigentlich pünktlich zum Gedenken des 19. Jahrestags der Bhopal-Katastrophe in den Hafen von Mumbai einlaufen, doch die indischen Zollbehörden haben ihr die ursprünglich erteilte Genehmigung wieder entzogen. Es dürfte kaum Zufall sein, dass dieser Widerruf kurz nach einer Auseinandersetzung zwischen Greenpeace und den Behörden des indischen Bundesstaates Gujarat erfolgte. Dort hatte die Crew der Rainbow Warrior im November 2003  verhindert, dass indische Arbeiter:innen mit bloßen Händen das asbestverseuchte britische Schiff Genova Bridge auseinander nehmen mussten.

Am 1, Dezember, zwei Tage vor dem 19. Jahrestag der Katastrophe, haben in vier indischen Bundesstaaten Parlamentswahlen stattgefunden. Darunter der Bundesstaat Madhya Pradesh. Hauptstadt: Bhopal. Viele Menschen sind von der indischen Regierung wegen enttäuscht und schenken den Versprechungen der Politik keinen Glauben. Der Regierung war es jahrzehntelang wichtiger, die Industrie nicht zu verprellen, die sich weigert, Opfer zu entschädigen. "Immer zur Wahl kommen die Parteien und machen ein Wahlkampfthema daraus, aber keine hat es je ernst genommen", sagt Satinath Sarangi vom regierungsunabhängigen Sadhbhavna Trust, der sich um medizinische Betreuung für die Opfer bemüht. "Um jede Kleinigkeit müssen wir mit dem System kämpfen. Das System macht nur Versprechungen, sonst nichts."

Greenpeace ruft Dow zur Verantwortung auf

Nach 19 Jahren ist das Gelände der verseuchten Fabrik immer noch nicht dekontaminiert. Gift lagert in verrottenden Säcken und rostenden Fässern. Das Grundwasser ist verseucht. Tonnen von hochgiftigen Chemikalien verseuchen Boden und Wasser. Kinder spielen an Tümpeln, in denen kein Fisch mehr überleben könnte. Als 56 Freiwillige und Greenpeace-Aktivist:innen im November 2002 das Gelände zu sanieren versuchten, wurden sie von der Polizei unter Schlagstock-Einsatz gehindert und vorübergehend festgenommen.

Im Januar 2003 fordern Greenpeace-Aktivist:innen Dow Chemical mit 18 vor der europäischen Konzernzentrale in Horgen in der Schweiz abgeladenen Fässern mit Giftmüll aus Bhopal auf, seiner Verantwortung für die Entsorgung des gefährlichen Mülls und der Sanierung des verseuchten Geländes nachzukommen. Ein Heißluftballon mit der Aufschrift Clean up toxic mess! (Entsorgt das Gift!) wurde von der Polizei am Aufsteigen gehindert.

Im März 2003 laden Greenpeace-Aktivist:innen und die Internationale Kampagne für Gerechtigkeit in Bhopal (ICJB) knapp tausend Liter hochgradig verseuchten Trinkwassers aus Bhopal haben vor dem Hauptquartier von Dow Chemical in Houston/Texas ab und fordern den Konzern zum Handeln auf. "Unsere Botschaft ist einfach", erklärt Greenpeace-Chemieexpertin Casey Harrell. "Dow muss Bhopal jetzt endlich sanieren und die volle Verantwortung für die Gesundheits- und Umweltschäden in der Stadt übernehmen. Vorher kann das Unternehmen kein verantwortliches Mitglied der Gesellschaft sein."

Die Katastrophe von Bhopal ist eins der schlimmsten Beispiele für Unternehmenskriminalität, jedoch kein Einzelfall. Mit einer Pressekonferenz ist daher am 7. November 2003 in der indischen Hafenstadt Mumbai die Tour des Greenpeace-Flaggschiffs Rainbow Warrior gegen Unternehmenskriminalität eingeleitet worden. Ananthapadmanabhan, Geschäftsführer von Greenpeace Indien, erklärte, Unternehmen profitierten zwar von der Globalisierung, würden aber nicht global für ihre Aktivitäten verantwortlich gemacht.

Dow verklagt Opfer

Tatsächlich weigert sich Chemiekonzern Dow nicht nur, seiner Verantwortung nachzukommen und mit den Betroffenen zu sprechen. Sein Zynismus geht so weit, dass er Bhopal-Opfer, die anlässlich des 17. und 18. Jahrestages der Katastrophe auf Dow-Gelände friedlich demonstriert haben, vor Gericht zerrt. 10.000 US-Dollar Entschädigung für Verluste durch Betriebsausfall fordert Dow. Das Betreten des Dow-Geländes und die Kontaktaufnahme zu Dow-Angestellten sollen gerichtlich verboten werden. 

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Update vom 19.07.2004

Gericht entscheidet für Bhopal-Opfer

Der indische Oberste Gerichtshof hat am 19. Juli 2004 verfügt, dass 15 Milliarden Rupien an die Überlebenden der Chemiekatastrophe von Bhopal 1984 auszuzahlen seien. Die Summe entspricht rund 327 Millionen US-Dollar. Sie gehört zu jenen 470 Millionen, mit denen das verantwortliche US-Unternehmen Union Carbide sich 1989 freigekauft hatte. Die indischen Behörden haben das Geld bis heute nicht vollständig ausgezahlt.

Den Betrag müssen sich nach Rechnung von Greenpeace Indien etwa 567.000 Überlebende teilen. Das heißt, auf jede Person entfallen rund 570 US-Dollar Entschädigung. Mehr gibt es nicht für den Verlust der nächsten Angehörigen, der Gesundheit, des Lebenswillens. 570 US-Dollar für ständige ärztliche Behandlung und Medikamente. Für ein besseres Krankenhaus. Für das Überleben an einem Ort, der bis heute nicht dekontaminiert wurde. Inzwischen ist die dritte Generation betroffen.

Das Desaster ging auf mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen und kurzsichtige Einsparungen zurück. Der Hauptverantwortliche, Warren Anderson, wurde 2002 von Greenpeace in einem New Yorker Apartment aufgespürt. Erst als 36 der Überlebenden im Jahre 2002 vor Gericht gingen, kam langsam Bewegung in die Sache.

Datum
Müllhalde mit Kühen in Ghana

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