Gesetz zur Rüstungsexportkontrolle muss stark sein
- Meinung
Heute beginnen die Gespräche über das neue Rüstungsexportkontrollgesetz. Doch es muss stark sein. Denn wer will schon die Invasionsarmee von morgen ausrüsten?
Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag die Verabschiedung eines Rüstungsexportkontrollgesetzes vereinbart. Heute beginnt mit einem Fachgespräch des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft der fachliche Austausch der Regierung mit den gesellschaftlichen Akteur:innen. Der Austausch mit der Rüstungsindustrie folgt. Greenpeace Deutschland hat im April 2021 einen Gesetzesvorschlag für ein striktes Rüstungsexportkontrollgesetz vorgelegt und ist eingeladen, Stellung zu beziehen. Greenpeace-Abrüstungsexperte Alexander Lurz und Greenpeace Politikexpertin für Frieden und Abrüstung und Juristin Anna von Gall fordern vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine: Wir müssen deutsche Rüstungsexporte per Gesetz schärfer regeln.
Trainingsbasis in Nischni Nowgorod
30.000 Soldaten sollten zukünftig in der „weltweit modernste[n] Trainingsbasis“ jährlich ausgebildet werden. Garantiert wurde eine „realitätsnahe und effiziente Vorbereitung von Truppenteilen in unterschiedlichen Einsatzszenarien“. Das Übungszentrum, so heißt es in Medienberichten über den neuen Exporterfolg des Düsseldorfer Rheinmetall-Konzerns, sei dabei „für die Ausbildung von verstärkten mechanisierten Infanterie- und Panzerbrigaden konzipiert“, auch für den Kampf „im urbanen Umfeld“. Standort der Anlage? Mulino, Oblast Nischni Nowgorod, rund 300 Kilometer östlich von Moskau. Das Geschäft wurde im Jahr 2011 abgeschlossen und damit drei Jahre nach dem russisch-georgischen Krieg von 2008. Es wurde nach der Krim-Annexion im Jahr 2014 von der damaligen Bundesregierung (Regierung Merkel/Gabriel) gestoppt, und der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall hat umgehend staatliche Entschädigung gefordert. Für die ukrainischen Soldat:innen, die gegenwärtig gegen die russische Invasionsarmee kämpfen, ist es ein großes Glück, dass die Merkel-/Gabriel-Regierung die Lieferung des Trainingszentrums im Wert von über 100 Millionen Euro gestoppt hat. Sonst stünden sie wohl heute Zehntausenden deutlich besser trainierten russischen Soldat:innen gegenüber.
Das Beispiel zeigt, welche gravierenden humanitären und sicherheitspolitischen Folgen kommerzielle Waffenexporte als Ergebnis eines lückenhaften und schwachen Rüstungsexportkontrollregimes haben können. Heute beginnt der Konsultationsprozess des Wirtschaftsministeriums mit Akteur:innen aus Kirchen, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Industrie über die Ausgestaltung des im Koalitionsvertrages vereinbarten Rüstungsexportkontrollgesetzes. Seit Jahrzehnten wird in Deutschland der Export von Waffen heftig debattiert – befeuert von einem Stakkato von Skandalen. Dabei ist zwischen zwei Arten von Skandalen zu unterscheiden: Jene, bei denen Hersteller das bestehende deutsche Exportrecht brechen und illegal Rüstungsgüter ausführen, wie im Fall der illegalen Lieferung von G 36-Sturmgewehren durch Heckler & Koch nach Mexiko in den Jahren 2006 bis 2009. Und solchen, bei denen auf legalem Weg, also mit Genehmigung der Bundesregierung und unter Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen, Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter in autokratische Staaten, Krieg-führende Staaten oder solche mit systematischen Menschenrechtsverletzungen geliefert werden. Das eingangs erwähnte Gefechtsübungszentrum ist ein Musterbeispiel für die zweite Kategorie. Das Interesse eines anderen Staates an deutscher Rüstungstechnologie, gepaart mit der Profitgier eines Konzerns und einem viel zu laxen Regelungsregime hätten beinahe dieses Geschäft ermöglicht, das Jahre später mit großer Wahrscheinlichkeit die Todeszahlen in den Reihen der ukrainischen Verteidiger:innen von Mariupol, Charkiw und Kiew hätte in die Höhe schnellen lassen.
Aktuelle Waffenlieferungen an die Ukraine
Kommerzielle und profitorientierte Waffengeschäfte dürfen weder in der öffentlichen Debatte, noch im juristischen Entscheidungsprozess mit den aktuellen Rüstungslieferungen an die Ukraine zur Selbstverteidigung vermischt werden. Im Jahr 2021 wurden von der Bundesregierung kommerzielle Rüstungsexporte im Wert von über 9 Milliarden Euro genehmigt – mit Artikel 51 UN-Charta, dem Selbstverteidigungsrecht, wurde dabei keiner öffentlich begründet. Mit Sicherheit ist jedoch davon auszugehen, dass hinter dieser Rekordsumme wieder zahlreiche Lieferungen von Kriegswaffen stehen, bei denen wir in einigen Jahren fassungslos konstatieren müssen, dass man „so etwas“ nie hätte genehmigen dürfen.
Greenpeace hat bereits 2019 einen eigenen Entwurf für ein Rüstungsexportkontrollgesetz vorgelegt. Rüstungsexporte würden dabei auf Exporte in solche Staaten reduziert werden, die nicht in völkerrechtswidrige Kriege involviert sind, die stabile Demokratien und Rechtsstaaten sind und die die Menschenrechte einhalten. Diese Staaten würden auf eine vom Bundestag verabschiedete Liste aufgenommen werden, die dann EU-Staaten sowie EU-gleichgestellte Staaten umfassen würde. Diese Liste würde Klarheit schaffen: Für alle Staaten, die sich aus Deutschland mit Rüstungsgütern und Kriegsmaterial beliefern lassen wollen, sowie für die Industrie, die zweifelsfrei wüsste, welche Staaten nicht belieferbar wären. Und für die aktuelle und kommende Bundesregierungen, die gar nicht erst der Versuchung ausgesetzt wären, kurzfristige Zweckmäßigkeit über langfristig denkende und verantwortungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik zu stellen.
Die Profitinteressen von Konzernen wie Rheinmetall wären endlich konsequent eingehegt. Dies gebietet nicht nur eine werteorientierte, sondern sogar eine rein interessengeleitete Außenpolitik. Denn: Wer will schon die Invasionsarmee von morgen aufrüsten?