Adieu, Atomkraft
Roland Hipp, ehemaliger geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland, blickt zurück auf Jahrzehnte des Protests - und mit Freude in die Zukunft.
- Meinung
Auf diesen Tag haben wir lange hingearbeitet: Am 15. April 2023 ist das Kapitel Atomkraft in Deutschland zu Ende. Wir - das sind Millionen Menschen, die jahrzehntelang gegen Wiederaufbereitungsanlagen, Castor-Transporte, unsichere Atommüll-Lager und AKW-Neubauten protestiert haben. Es hat sich gelohnt. Der Atomausstieg ist ein Sieg der Vernunft über reines Profitdenken mächtiger Konzerne und ihnen gewogener Politiker, ein Erfolg gegen jede Wahrscheinlichkeit. Ich danke allen mutigen Menschen, die für ihre Überzeugungen Risiken eingegangen sind, allen Demo-Teilnehmenden, allen Unterzeichner:innen von Petitionen und Protestbriefen. Und ich bin stolz auf die Rolle, die Greenpeace im Widerstand gegen die Hochrisikotechnologie Atomkraft gespielt hat.
In der aktuellen Debatte um die letzten verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland wird häufig vergessen, wie groß die Bewegung gegen nukleare Anlagen hierzulande war, auch schon vor den den katastrophalen Unfällen in Tschornobyl und Fukushima. Der Bau der geplanten Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurde 1989 nach jahrelangen, massiven Protesten eingestellt, ein erster großer Erfolg der Anti-Atomkraft-Bewegung, mit der Greenpeace untrennbar verbunden ist.
Greenpeace: Protest und Recherche
Immer wieder hat Greenpeace gegen die Atommülltransporte aus den deutschen AKW zu den Wiederaufbereitungsanlagen in Sellafield und La Hague protestiert und konnte zudem nachweisen, dass diese Anlagen alles andere als ungefährlich sind: Greenpeace-Messungen von 1998 ergaben, dass Bodenproben aus der Umgebung der Atomanlage Sellafield vergleichbar radioaktiv verseucht sind wie Proben aus der 30-Kilometer-Sperrzone um den Katastrophenreaktor von Tschornobyl. In der Nordsee vor La Hague fanden wir im Jahr 2000 Strahlenbelastungen weit über den Grenzwerten, weil die Betreiber ihr radioaktives Abwasser illegal ins Meer ableiteten. 2005 wurden die Transporte in die Wiederaufbereitungsanlagen in England und Frankreich endlich verboten. Das ist auch ein Erfolg von Greenpeace - von Protest, der auf Fakten basiert.
Der letzte große Meilenstein der Anti-Atomkraft-Bewegung war die Entscheidung gegen das Endlager Gorleben. Auch hier hatte die Politik der Wissenschaft letztlich nichts mehr entgegenzusetzen: Der marode Salzstock ist nachweislich ungeeignet für die Lagerung von Strahlenmüll, der über Hunderttausende von Jahren sicher verwahrt werden muss. Ein Erfolg, der gleichzeitig auf das gewaltige Problem verweist, das die Befürworter:innen der Atomkraft auf die kommenden Generationen abwälzen wollen: Auf der ganzen Welt gibt es nicht ein einziges sicheres Endlager für Atommüll. Auch deswegen ist es gut, dass Deutschland ab dem 16. April keinen zusätzlichen Atommüll produzieren wird.
Der Super-GAU 1986 im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl erschüttert die Welt – Greenpeace verstärkt die Kampagnenarbeit gegen die gefährliche Atomkraft und für eine Wende hin zu Erneuerbaren Energien. Die Unfälle in Tschornobyl und Fukushima zeigen aufs Eindrücklichste , dass diese Technologie im Katastrophenfall vom Menschen nicht zu beherrschen ist.
Die Entscheidung der Bundesregierung von 2011, die Atomkraftwerke abzuschalten, war damals so richtig wie heute. Atomenergie ist teuer, riskant für alle und macht uns abhängig: Mehr als die Hälfte des weltweit gehandelten Urans stammen aus Russland, Kasachstan und Usbekistan. Ohne den Bremsklotz Atomenergie kann die Energiewende endlich Fahrt aufnehmen. Mit Freude schaue ich in eine versorgungssichere Zukunft mit Erneuerbaren Energien, ohne Angst vor dem nächsten Atomunfall und fehlgeleiteten Investitionen in eine fehleranfällige und überholte Technologie. Aber heute feiere ich den Atomausstieg und die Menschen, die ihn ermöglichten.