Russlands schwimmendes AKW: Interview mit Heinz Smital
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Schwimmender Atommeiler in der Ostsee: Russland schleppt derzeit ein AKW nach Sibirien. Klappt der Test, sollen zig weitere folgen. Irrsinn, weiß Atomenergie-Experte Heinz Smital.
Seit heute morgen begleitet das Greenpeace-Schiff Beluga das schwimmende russische Atomkraftwerk Akademik Lomonosov, das gerade zwischen Dänemark und Schweden durch die Ostsee geschleppt wird. Erstes Ziel des Schwimmmeilers ist der Hafen von Murmansk; dort soll der Reaktor mit Atombrennstäben beladen und im Testlauf angefahren werden. Für den Sommer 2019 ist der Weitertransport zum Einsatzort Pewek geplant, eine Stadt mit knapp 5000 Einwohnern im Nordosten Sibiriens, in der Arktis. Mit Bannern protestieren Greenpeace-Aktivisten an Bord der Beluga gegen das riskante Experiment. Denn Russland will den Atommeiler auf einem Ponton auf See betreiben.
Warum das schwimmende AKW und dessen Transport hochgefährlich sind, erklärt Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomenergie, im Interview.
Greenpeace: Ein Atomkraftwerk auf dem Wasser: Das klingt gespenstisch. Wie sicher oder gefährlich ist das neue Atomprojekt Russlands?
Heinz Smital: Es ist absoluter Irrsinn: Ein Atomkraftwerk ohne Betonschutzhülle, dazu auf einem schwimmenden Ponton im stürmischen arktischen Meer unter widrigsten Witterungsbedingen – das ist wirklich riskant.
Allein die Gefahr durch Terrorismus: Die Akademik Lomonosov ist nur gegen den Absturz eines Hubschraubers geschützt – und zwar gegen einen des Typs Ka-32s mit elf Tonnen Gewicht und einer Geschwindigkeit von 15 Metern pro Sekunde. Andere Angriffe müssten „organisatorisch verhindert werden“, vermeldet Russland. Im Klartext heißt das, von Land aus durch Militär, und eben nicht, weil das Gebilde baulich dagegen ausgerüstet wäre.
Brisant wird das Thema, da geplant ist, nach erfolgreichem Test der Akademik Lomonosov zig weitere schwimmende Atomkraftwerke zu bauen: nicht nur in Russland, sondern auch in China.
Schwimmende AKW sollen entlegene Regionen wie die Küste im fernen Sibirien oder einsame Inseln mit Strom versorgen, auch für Meerwasserentsalzungsanlagen. So lassen sich isolierte Gebiete für menschliche Besiedlung und Nutzung erschließen – so argumentieren China und Russland. Was ist der Haken daran?
Passiert in einer so entlegenen Region ein Atomunfall, wie soll man dort darauf reagieren, den Unfall in den Griff bekommen, Hilfe herbeiholen? Der Einsatzort der Akademik Lomonosov etwa liegt in Russlands nördlichster Stadt Pewek im äußersten Nordosten Sibiriens. Die Temperatur dort kann auf bis zu minus 50 Grad Celsius fallen. Bei einem Problem sind die Menschen vor Ort auf sich allein gestellt. Zudem handelt es sich um einen reinen Lastkahn ohne eigenen Antrieb. Reißt ein Sturm die Akademik Lomonosov los, ist sie sofort manövrierunfähig.
Wie sicher gegen hohen Wellengang, Sturm oder andere Naturgewalten ist denn so ein schwimmender Reaktor auf einem Lastkahn?
Atomenergie ist immer – auch an Land – mit hohem Risiko behaftet, weil so ein Reaktor unvorstellbare Mengen an Radioaktivität beherbergt, und auch im Krisenfall Steuer-, Kühl- und Barrierefunktionen unbedingt intakt bleiben müssen. Bei U-Booten, die mit kleinen Atomkraftwerken betriebenen werden, kommt es fast jedes Jahr zu Unfällen.
So kam zum Beispiel 1985 in der Chaschma-Bucht bei einem Unglück ein Dutzend Menschen ums Leben, etwa 300 wurden verstrahlt. Die Kontaminationsfahne war fünfeinhalb Kilometer lang, die radioaktiven Partikel gingen rund 30 Kilometer von der Unfallstelle entfernt nieder. Wie berichtet wurde, war der Unfall durch ein vorbeifahrendes Schiff verursacht worden: Dessen Welle führte zu einer ungeplanten Kettenreaktion im Reaktor und sofort zu einer Explosion.
Die Akademik Lomonosov soll 70 Megawatt Leistung bringen – ist die Anlage damit bezüglich Größenordnung und atomarem Inventar eher mit einem Atom-U-Boot oder mit einem AKW wie Tschernobyl zu vergleichen?
Sie liegt irgendwo dazwischen. Die Akademik Lomonosov hat zwei umgebaute Schiffsatomreaktoren vom Typ KLT-40S an Bord. Um den Reaktor an seinem entlegenen Zielhafen Pewek aber wie geplant zwölf Jahre betreiben zu können, ist auch ein atomares Zwischenlager für hochradioaktiven Atommüll mit auf dem Kahn. Etwa alle zwei Jahre werden die Brennstäbe komplett getauscht und die abgebrannten Brennelemente dort gelagert.
So ein gefährliches Vorgehen ist neu, das gibt es bei Atom-U-Booten nicht. Die kommen zum Brennstoffwechsel in die Werft. Dieses Hantieren mit dem abgebrannten Kernbrennstoff an Bord – und das auch noch unter den widrigen Wetterbedingungen in den arktischen Gewässern – widerspricht sämtlichen grundlegenden Sicherheitsanforderungen.
Die Akademik Lomonosov ist ein Prototyp. Sind weitere schwimmende AKW geplant?
Ich fürchte, wir stehen am Beginn einer sehr weitreichenden nuklearen Entwicklung; weitere schwimmende Atomkraftwerke sind schon klar geplant. Zum einen will Russland selbst zig solcher Schwimmmeiler einsetzten, um die Öl- und Gasvorkommen in der bisher unerschlossenen Arktis auszubeuten. Die Vorkommen, an die Russland heran will, werden in der Russischen Strategischen Energieplanung bis 2035 auf 90 Milliarden Tonnen Öl-Äquivalent geschätzt, fast 300-mal mehr als das Brent-Ölfeld in der Nordsee seit 1975 geliefert hat.
Außerdem will Russland die schwimmenden Atomkraftwerke zu einem Exportschlager machen. Rosatom, der Betreiber der Akademik Lomonosov, hat bereits Ländern wie Algerien, Indonesien, Malaysia und Argentinien derartige AKW angeboten, insgesamt 15 Nationen haben schon Interesse bekundet. Es ist zu erwarten, dass all diese AKW zum Entladen des Atommülls und zur Belieferung mit neuem Kernbrennstoff nach Russland beziehungsweise China transportiert werden. Denn auch China will diese Entwicklung voranbringen und hat 20 schwimmende Meiler geplant. Es ist also zukünftig weltweit mit vielen hochradioaktiven Atom-Schleppverbänden zu rechen.
Ist der Einsatz von schwimmenden Atomkraftwerken denn wirtschaftlich?
Nein, überhaupt nicht. Ein privates Unternehmen, das ökonomischen Erfolg erwirtschaften muss, könnte in so ein Projekt nicht einsteigen.
Es wäre viel billiger, entlegene Regionen mit den für den Landstrich passenden Erneuerbaren Energien zu versorgen als mit solchen Millionenprojekten – die Akademik Lomonosov hat bis jetzt 500 Millionen Euro gekostet. Auch in Pewek könnte eine Kombination aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft ein schwimmendes Atomproblem ersetzen. Dass diese Projekte überhaupt vorangetrieben werden, liegt daran, dass Russland und China damit weit mehr Interessen verbinden, als abgelegene Ortschaften mit Strom zu versorgen; hier geht es ganz klar auch um strategische Ziele.
Denn so können territoriale Ansprüche sichtbar gemacht werden. Das gilt sowohl für Russland, das mit seinem schwimmenden AKW als erstes die Hand auf dem Öl unter dem arktischen Meereis legen will. Denn schließlich haben auch die USA und andere Anrainerstaaten schon Interesse am Öl dort angemeldet. Und das gilt auch für China, das sein erstes schwimmendes AKW zu den südchinesischen Inseln und den dortigen Ölvorkommen schicken will, obwohl die territoriale Zugehörigkeit noch nicht geklärt ist.
Doch es geht Russland und China nicht allein darum, als erste Länder Versorgungszentren in den wirtschaftlich interessanten Regionen errichten können. Die schwimmenden Meiler sind auch militärische Signale. Denn ein Atomkraftwerk ist immer auch ein Statement.