Kommt Bewegung in die Endlagerfrage?
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Online-Redaktion: Regierungsberater Michael Sailer schlägt vor, bis 2015 bundesweit vier bis fünf weitere Endlagerstandorte zu erkunden. Könnte dieser Vorstoß die Wende im Streit um die Endlagerung bringen?
Tobias Münchmeyer: Der Vorschlag bringt eine neue Offenheit in die Debatte, ist aber für Greenpeace nicht ausreichend. Gorleben muss aus einer solchen Betrachtung von vornherein ausscheiden.
Aus zwei Gründen: Gorleben ist der bestuntersuchte Standort in ganz Deutschland. Aufgrund geologischer Befunde - dem fehlenden Deckgebirge, Gasvorkommen, ganz bestimmten Gegebenheiten - kann man sagen, dass dieser Standort auf jeden Fall ungeeignet ist.
Der zweite Grund ist die Vorgeschichte. Greenpeace konnte nachweisen, dass die Wahl von Gorleben politisch manipuliert war: mit falschen und gefälschten Unterlagen und unter den Tisch gekehrten wissenschaftlichen Bedenken. Das heißt, die Grundlage des Auswahlverfahrens war von Beginn an inakzeptabel und lässt den Standort Gorleben aus einem zukünftigen Verfahren von vornherein ausscheiden.
Online-Redaktion: Welche Anforderungen sind an einen Standort zu stellen? Müssten die nicht wesentlich schärfer sein als bei Gorleben, wo die Anforderungen an den Salzstock angepasst wurden?
{image_r}Tobias Münchmeyer: Ja, sie müssen vor allem neu definiert werden. Es muss jetzt erst einmal eine Diskussion darüber geben, wonach wir eigentlich genau suchen. Wir müssen anerkennen, dass die Bundesregierungen über Jahrzehnte in eine Sackgasse gelaufen sind. Wir müssen einen Schlussstrich ziehen und wirklich neu starten - mit einer gesamtgesellschaftlichen Debatte über die Notwendigkeiten und die Kriterien für eine Endlagerung. Erst dann kann ein Auswahlverfahren beginnen und können auch entsprechende Endlagersuchgesetze erlassen werden.
In den vergangenen Jahren sind viele Fragen aufgekommen, unter anderem die Frage nach den Vor- und Nachteilen der Rückholbarkeit. Die müssen neu bewertet werden. Es müssen die Erkenntnisse aus dem sehr interessanten Suchverfahren in der Schweiz berücksichtigt werden. Von daher wäre die Verabschiedung eines Endlagersuchgesetzes noch in diesem Winter verfrüht.
Online-Redaktion: Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister hat gerade erst gefordert, der Atommüll müsse rückholbar sein. Was würde das für die Suche bededeuten?
Tobias Münchmeyer: Das ist eine sehr schwerwiegende Entscheidung, die genau bedacht werden will. Für die Rückholbarkeit spricht, dass Fehler, die bei der Einlagerung gemacht werden, behoben werden können. Ein klassisches Beispiel dafür ist das Desaster in der Asse. Es sprechen aber auch Gründe dagegen, zum Beispiel die Proliferation. Wir wissen nicht, wie Gesellschaften und Regierungen in Hunderten von Jahren über Stoffe wie Plutonium denken und ob sie nicht versucht sein könnten, dieses Plutonium auch für militärische Zwecke zu nutzen.
Online-Redaktion: Im Salzstock Gorleben ist schon jahrelang erkundet worden. Ist eine Frist bis 2015 für Erkundungen an anderen Standorten realistisch?
Tobias Münchmeyer: Das scheint uns ein sehr früh gesetztes Datum zu sein.
Online-Redaktion: Wie soll es mit der Zwischenlagerung weitergehen, solange kein Endlager vorhanden ist?
{image_r}Tobias Münchmeyer: Auf keinen Fall darf weiterer Atommüll nach Gorleben. Zum einen würde jede weitere Anhäufung von Atommüll diesen Standort zusätzlich zementieren, nach dem Motto Na ja, der Müll ist jetzt schon mal hier, jetzt brauchen wir ihn nur noch unter Tage zu bringen. Um diese Zementierung aufzubrechen, muss der Müll, der jetzt noch aus Frankreich und Großbritannien kommt, getreu dem Verursacherprinzip in andere Bundesländer gehen als Niedersachsen. Auch andere Bundesländer, die AKW betrieben haben und betreiben, müssen Verantwortung übernehmen. Es kann nicht sein, dass immer nur Niedersachsen und das Wendland die Lasten und die Gefahr tragen müssen.
Zum anderen lassen sich durch eine Zwischenlagerung in Süddeutschland die Castor-Transportwege minimieren. Wir denken deshalb vor allem an Baden-Württemberg. Der Weg von Frankreich nach Baden-Württemberg ist deutlich kürzer, als wenn man den Müll durch das gesamte Bundesgebiet bis nach Gorleben transportiert. Hinzu kommt, dass Zwischenlager an allen Atomkraftstandorten vorhanden sind, man bräuchte "nur" - in Anführungsstrichen - eine Erweiterung der Zwischenlagerungsgenehmigung an diesen Standorten. Platz genug gibt es dort, weil es ja durch den Atomausstieg weniger Atommüll einzulagern gibt.
Als Greenpeace im Oktober 2010 vorschlug, Atommüll aus Frankreich in Baden-Württemberg zwischenzulagern, haben die baden-württembergischen Grünen sich zu unserer Freude dazu sehr positiv geäußert. Sie sagten, ja, das sei richtig, die Baden-Württemberger dürften nicht nach dem Sankt-Florians-Prinzip nur zusehen, dass ihre Belastung möglichst klein ist. Man müsse auch Verantwortung übernehmen können. Jetzt sind die Grünen in Baden-Württemberg in der Regierungsverantwortung und wir erwarten, dass sie auch zu ihren Worten stehen.
Online-Redaktion: Ab 2014 wird auch aus der britischen Wiederaufarbeitungsanlage in Sellafield deutscher Atommüll geliefert. Wo soll der zwischengelagert werden?
Tobias Münchmeyer: In diesem Fall müsste man sich noch einmal genau angucken, über welchen Weg die Transporte aus Sellafield kommen sollen. Sollte es der Landweg über Frankreich sein, dann wäre wiederum Süddeutschland, Baden-Württemberg, eine Option. Sollte es aber der Seeweg über die Nordsee sein, müsste man sich auch Standorte in Norddeutschland angucken.
Online-Redaktion: Auf den angekündigten Castortransport aus La Hague Ende November bezogen hieße das, dass die Genehmigung für eine Zwischenlagerung zum Beispiel in Philippsburg relativ schnell erteilt werden müsste. Hältst du das für möglich?
Tobias Münchmeyer: Nein, eine Genehmigung braucht erfahrungsgemäß mindestens einneinhalb Jahre und für diese Zeit müsste der Atommülltransport verschoben werden.
Online-Redaktion: Das heißt, der Atommüll muss in La Hague bleiben, bis die Genehmigung erteilt ist.
Tobias Münchmeyer: Richtig. Greenpeace fordert, den Castortransport 2011 abzusagen. Erstens, wie schon gesagt, um den Standort nicht zu zementieren, sondern die Verantwortung nach dem Verursacherprinzip zu verteilen, und um den Transportweg zu minimieren. Zweitens aber auch wegen der Grenzwertüberschreitungen am Zwischenlager Gorleben.
Online-Redaktion: Was können bzw. müssen die Verantwortlichen aus dem Desaster um Gorleben lernen?
Tobias Münchmeyer: Sie müssen lernen, dass sie Entscheidungen in einer Demokratie nur mit den Menschen zusammen fällen dürfen und dass Transparenz und Beteiligung die Schlüssel sind, um eine sehr schwere Verantwortung, die die Politik der Gesellschaft aufgebürdet hat, zu schultern.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch.
Seit Jahrzehnten wird der ungeeignete Salzstock Gorleben als Endlager gehandelt. Wie es dazu kam, ist eine lange und unerfreuliche Geschichte. Sie spiegelt sich in Originalakten der Niedersächsischen Staatskanzlei und des Niedersächsischen Umweltministeriums von 1974-76, die Greenpeace ins Netz gestellt hat: