Der GAU in Harrisburg
28. März 1979 - Atomkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg: Knapp am Super-GAU vorbei.
- Hintergrund
Am 28. März 1979 erschüttert die Nachricht vom Größten Anzunehmenden Unfall (GAU) die Öffentlichkeit. Im US-amerikanischen Atomkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg/Pennsylvania ist es zu einer Teil-Kernschmelze gekommen. Block 2 des AKW schrammt nur knapp an einem Super-GAU vorbei. Der Meiler ist bis heute nicht betretbar.
Der Unfall
In der Nacht zu jenem 28. März 1979, der TMI-2 ist gerade drei Monate in Betrieb, führen technische Fehler und menschliche Fehlreaktionen zu dramatischem Kühlmittelverlust und einer Wasserstoffexplosion im Reaktordruckbehälter. Um den Druck zu senken und eine drohende weitere Explosion zu verhindern, lassen die Reaktorfahrer radioaktive Gase, Dampf und Wasserstoff in die Umwelt ab. Radioaktiv verseuchtes Wasser fließt in den Susquehanna-Fluss.
Noch am Morgen des Unfalls versichert die Betriebsleitung, die Situation unter Kontrolle zu haben. 36 Stunden später fordert der Katastrophenschutz die Menschen innerhalb des 10-Meilen-Umkreises auf, ihre Häuser nicht zu verlassen. Am Nachmittag des 30. März wird die Evakuierung von 3.500 Kindern im Vorschulalter und aller schwangeren Frauen im Umkreis von fünf Meilen angeordnet. Weitere 200.000 Menschen im Gebiet um Harrisburg ergreifen die Flucht.
Folgen nicht untersucht
Die gesundheitlichen Folgen der teilweisen Kernschmelze wurden nur in geringem Maße untersucht. Die Kontrollbehörden fanden keine Erkrankungen, die nachweislich mit dem Unfall in Zusammenhang standen. Fast 20 Jahre später kam der Epidemiologe Dr. Steven Wing auf Grundlage der offiziellen Daten zu einem ganz anderen Ergebnis. Er stellte fest, dass in den damals vorherrschenden Windrichtungszonen des radioaktiven Fallouts die Leukämierate acht- bis zehnfach erhöht war. Die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs zu erkranken, lag vier- bis sechmal über dem Durchschnitt. Wing wies auch nach, dass die Atomindustrie alle offiziellen Studien zu den Auswirkungen des Unfalls auf die Bevölkerung bezahlt hatte.
Insgesamt liegen den Gerichten 2.200 Klagen betroffener Einwohner vor. Viele werden außergerichtlich beigelegt. Bis 1995 zahlte die Versicherung des Betreibers 55 Millionen US-Dollar an Entschädigungen aus.
Das große Erwachen aus der Atomeuphorie
Block 2 kann bis heute nicht betreten werden. Die Aufräumarbeiten wurden 1993 wegen der hohen Verstrahlung eingestellt und sollen erst nach Abschaltung von Block 1 fortgesetzt werden. Von 1979 bis 1993 haben die Arbeiten rund eine Milliarde US-Dollar gekostet. Für die Zukunft rechnen die Aufsichtsbehörden mit einer weiteren Milliarde Dollar an Kosten.
Der GAU im neuen Reaktor von Three Mile Island bedeutete eine erste Wende in der öffentlichen Wahrnehmung der Atomkraft. Er zeigte, dass es Sicherheit im Betrieb solcher Anlagen nicht gibt. Weder in neuen noch - erst recht - in alten. In den USA wurden seit dem Unfall keine AKW mehr gebaut.
Strahlenleck in TMI-1
Ungeachtet dieser Erfahrung genehmigte die US-Atombehörde im Oktober 2009 eine Laufzeitverlängerung von weiteren 20 Jahren für Block 1 des AKW. Der TMI-1 ist seit 1974 am Netz und sollte ursprünglich 2014 abgeschaltet werden. Mit der verlängerten Betriebserlaubnis darf er bis 2034 am Netz bleiben. Dann wäre der Meiler 60 Jahre alt, im weltweiten Durchschnitt werden AKW nach 32 Jahren stillgelegt.
Im November 2009, wenige Wochen nach der Laufzeitverlängerung, kam es zu einem neuen Zwischenfall in Three Mile Island: Aus Block 1 trat Radioaktivität aus. 150 Angestellte wurden mit leichten Verstrahlungen nach Hause geschickt. Die Betreiberfirma beteuerte, die Verstrahlung der Arbeiter sei geringfügig und keine Radioaktivität in die Umwelt gelangt.