Strahlendes Erbe für Generationen
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25 Jahre vor Fukushima ereignete sich in Tschornobyl der Super-GAU: Millionen Hektar Land sind bis heute verstrahlt, mit Milliardenaufwand wird eine neue Hülle um den Unglücksreaktor gebaut. Und um die Zahl der Todesopfer tobt weiter ein Streit zwischen Befürwortern und Gegnern der Atomkraft.
Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Beton zerbröselt, Stahl wird mürbe. In der Geisterstadt Pripjat, die kurz nach dem Reaktorunglück von Tschornobyl evakuiert wurde, sind längst Hausdächer eingebrochen, Gras und Buschwerk haben allerorts den Asphalt gesprengt. Turnhallen, Geschäfte, Cafés sind hinter hohen Birken verschwunden.
Fünfundzwanzig Jahre sind eine kurze Zeit. Noch nicht einmal die Hälfte des radioaktiven Strontium-90 und Cäsium-137, die bei dem Super-GAU 1986 frei wurden, ist bis heute zerfallen - ihre Halbwertszeit beträgt jeweils rund 30 Jahre. Der gefährliche Alpha-Strahler Americium-241 hat sogar eine Halbwertszeit von 432 Jahren, beim ebenfalls freigesetzten Plutonium-239 sind es unvorstellbare 24.110 Jahre.
Vor fünfundzwanzig Jahren, am 26. April 1986, ereignete sich im Atomkraftwerk Tschornobyl in der damaligen ukrainischen Teilrepublik der Sowjetunion der bislang schwerste Unfall in der Geschichte der Nuklearenergie. Block 4 war für routinemäßige Wartungsarbeiten heruntergefahren worden, dies wollte das Bedienpersonal für einen sicherheitstechnischen Versuch nutzen. Bei gedrosselter Leistung aber war der Meiler instabil geworden, die nukleare Kettenreaktion ließ sich nur noch schwer steuern, und als um 1 Uhr 23 das Experiment begann, schoss die Reaktorleistung plötzlich in die Höhe. Die Steuerstäbe, mit denen das Bedienpersonal die Kettenreaktion hektisch drosseln wollte, verkeilten sich, das Kühlmittel verdampfte in Sekundenbruchteilen, eine mächtige Wasserstoffexplosion zerriss den Reaktor. Dessen mehr als tausend Tonnen schwere Abdeckplatte flog in die Luft. Tagelang brannte der Grafitkern. Bis in mehrere Kilometer Höhe wurden radioaktive Stoffe geschleudert. Strahlende Wolken verseuchten nicht nur die Ukraine und das benachbarte Weißrussland, sondern zogen über Europa und bis nach Nordamerika und Asien. Auch heute noch ist etwa Wildschweinfleisch aus Bayern und Baden-Württemberg radioaktiv belastet. In Wales, 2000 Kilometer von Tschornobyl entfernt, werden nach wie vor hunderte Schaffarmen von den Strahlenschutzämtern überwacht.
Wie viele Tote und Verletzte das Reaktorunglück bislang forderte und künftig noch fordern wird, ist zwischen Atomkraftgegnern und -befürwortern heftig umstritten. Und für eine Stahlhalle, die den Austritt von Radioaktivität aus der Ruine endgültig stoppen soll, haben ein Vierteljahrhundert nach der Katastrophe gerade erst die Bauarbeiten begonnen. Das Erbe von Tschornobyl, sagte im Jahr 2001 der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, wird uns und unsere Nachkommen für Generationen beschäftigen.
Erschienen ursprünglich im Greenpeace Magazin 3/2011.