Interview mit Junichi Sato, Geschäftsführer von Greenpeace in Japan
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Zum vierten Jahrestag des gewaltigen Tsunamis und des Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ist Junichi Sato (38), Geschäftsführer von Greenpeace in Japan, nach Deutschland gereist. Als Redner nimmt er an einer Veranstaltung der Bertelsmann Stiftung zur Katastrophe am 11. März 2011 teil. Vorab gab er uns ein Interview.
Redaktion: Wo warst du als die Katastrophe am 11. März 2011 geschah?
Junichi Sato: Ich war im Regierungsgebäude der Präfektur Tokio als das Erdbeben passierte. Wir konnten uns kaum auf den Beinen halten, weil das Gebäude so stark wackelte. Ich ging raus auf die Straße und sah, wie die oberen Etagen vieler Hochhäuser in Tokio langsam nach rechts und links wankten. Es war beängstigend.
Ich lief zum Greenpeace-Büro, um von dort zu überprüfen, wo und wie stark das Erdbeben war. Dann wurde mir klar, dass das Zentrum des Bebens im Norden Japans lag, wo viele Atomkraftwerke stehen. Ab dem Moment blieb ich mit meinen internationalen Kollegen über Skype in Kontakt, um Informationen über den Tsunami und die Atomexplosionen in Fukushima Daiichi auszutauschen und unsere Einschätzung der Lage weltweit zu kommunizieren.
Was bedeutet Dir die Geschichte von Fukushima?
Die Katastrophe war ein Weckruf für die Menschen in Japan, dass die Risiken der Atomkraft zu gewaltig sind. Wir sollten nicht vergessen, was in Fukushima und im ganzen Land nach der Katastrophe passiert ist. Ich habe in Japan lange gegen die Atomkraft gekämpft und vor der Katastrophe immer wieder das Risiko eines Atomunfalls betont. Es macht mich dennoch traurig mitanzusehen, dass so ein Unfall nun tatsächlich eingetreten ist. Wir dürfen keine Technologien verwenden, die vollständig außer Kontrolle geraten können, wenn etwas schief geht. Ich setze mich für eine Zukunft mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien für unsere Kinder ein und hoffe wirklich, sie noch zu erleben.
Wie bewältigt die japanische Regierung die Folgen der Atomkatastrophe?
Während der Rückbau der Atomruine Fukushima Daiichi vorangeht, wird sich die Katastrophe in den kommenden Jahrzehnten weiter fortsetzen. Rund 300 Tonnen Wasser pro Tag sind erforderlich, um die weiter fortschreitenden Kernschmelzen in den zerstörten Reaktoren und die Brennstäbe zu kühlen.
Während TEPCO das Kühlwasser bearbeitet, um die Radionuklide daraus zu entfernen, sind ihre Techniker nach wie vor nicht in der Lage, radioaktives Tritium daraus zu entfernen. TEPCO schätzt, dass 300 bis 400 Tonnen Grundwasser, die jeden Tag auf das Gelände fließen, dort kontaminiert werden. Obwohl seine Wirkung noch ungewiss ist, wurde eine unterirdische Stahlrohr- und Blechwand konstruiert, um das kontaminierte Grundwasser am Austreten in den Pazifik zu hindern. Zudem ist der Bau einer Eiswand weiter in Planung.
Greenpeace hat zahlreiche Radioaktivitätsmessungen durchgeführt und festgestellt, dass das Strahlungsrisiko der Bevölkerung von den amtlichen Überwachungsstationen systematisch unterschätzt wird. 120.000 Einwohner der Präfektur leben immer noch in Notunterkünften oder anderswo in Japan. Auch gelingt es durch die Dekontaminationsmaßnahmen nicht, die Radioaktivität einfach „los zu werden“. Es fallen aber enorme Mengen radioaktiver Abfälle an, die an rund 54.000 Standorten in der ganzen Präfektur vorübergehend gelagert werden, z.B. in den Hinterhöfen der Häuser, auf Parkplätzen und in Parkanlagen.
Warum sollte Japan den gleichen Weg gehen wie Deutschland mit der Energiewende?
Es gibt für Japan keinen einzigen Grund, die Energiewende nicht zu vollziehen, sei es aus wirtschaftlicher, politischer oder aus ökologischer Sicht. Und Japan muss seine Energiewende konsequent verfolgen, um eine sichere und erfolgreiche Zukunft für die Menschen zu sichern. Das bedeutet, die Regierung muss ein 100 Prozent Erneuerbare Energien-Ziel für die Zukunft setzen. Deutschland ist ein eindrucksvolles Beispiel, dass die guten Argumente für eine Energiewende über kurzfristige Interessen der Energiekonzerne triumphieren und einen Wandel bringen konnten, unterstützt durch die deutsche Bevölkerung.
Das japanische Volk versteht die Riesenchancen noch nicht vollständig, die eine Energiewende ihnen und den kommenden Generationen bieten würde, zumal auch die Mainstream-Medien die Pro-Atom-Politik der Regierung unterstützen. Aber wenn die Menschen jetzt keine wirtschaftlichen oder politischen Maßnahmen ergreifen, um die Energiewende zu unterstützen, werden die monopolistischen Energieversorger Japans Energiepolitik weiter im Würgegriff halten, und im schlimmsten Fall könnte ein zweites Fukushima drohen.
Was denken die Menschen in Japan über das von der Regierung geplante Wiederanfahren der Atomkraftwerke?
Laut einer Umfrage der Zeitung Asahi Shimbun vom März 2014 sind 59 Prozent der Japaner gegen und 28 Prozent für den Neustart der Atomreaktoren.
Eine andere Umfrage der Central Research Services, die von Mai 2011 bis Mai 2014 durchgeführt wurde, verzeichnete in diesem Zeitraum keine größeren Meinungsänderungen zum Neustart der AKW. Mehr als 60 Prozent der Menschen meinen, dass Atomkraftwerke gefährlich sind. Diese Zahl ist geringfügig gesunken. Ebenfalls 60 Prozent befürworten einen Atomausstieg. Alles in allem überwiegt die Kritik an der Atomkraft und dem Neustart der Reaktoren. Immer noch sind mehr als 50 Prozent gegen das Wiederanfahren der AKW.
Was können die Deutschen tun, um die atomkritischen Menschen in Japan zu unterstützen?
Wir haben internationale Kampagnen von Greenpeace Japan, wie die derzeit aktuelle Arbeit zum vierten Fukushima Jahrestag, an denen die deutsche Öffentlichkeit teilhaben kann. Wir arbeiten zudem eng mit dem deutschen Greenpeace Büro zusammen, diese Zusammenarbeit können die Menschen mit ihrer Spende an Greenpeace unterstützen.