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Lisa Göldner, Greenpeace-Expertin für Kohle
Gordon Welters / Greenpeace

Bundesregierung bricht gesellschaftliche Vereinbarung zum Kohleausstieg

Grafik Kohleausstiegsgesetz: zusätzliche 180-200 Millionen Tonnen CO2

Tempo, bitte. Die Wissenschaft ist sich einig: Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, sonst wird die Klimakrise unbeherrschbar. Mit welchen Folgen, zeigen etwa brennende Wälder rund um den Globus seit 2019. Die Treibhausgas-Emissionen rasch zu senken, auch das ist klar, kann nur mit einem Ausstieg aus der Kohle gelingen.

Wie Deutschland Schluss mit der Kohle macht, soll ein Kohleausstiegsgesetz regeln. Den Rahmen dafür hatte bereits vor einem Jahr die Kohlekommission gesetzt, der auch Greenpeace angehörte. Vergangene Woche traf sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der vier Braunkohleländer sowie den großen Kraftwerkskonzernen. Das, was dort beschlossen wurde und nun im Gesetzesentwurf steckt, passt weder zu dem, worauf sich die Kohlekommission geeinigt hatte noch zu den Mahnungen aus der Wissenschaft. Lisa Göldner, Greenpeace-Energieexpertin, bewertet im Interview die heikle Lage.

Greenpeace: Anfang 2019 haben unterschiedliche Interessensgruppen wie Gewerkschaften, Wissenschaft und Umweltorganisationen wie Greenpeace, aber auch die Industrie den sogenannten Kohlekompromiss ausgehandelt, der Grundlage für das Kohleausstiegsgesetz sein sollte. Wie passt der jetzt vorliegende Gesetzesentwurf damit zusammen?  

Lisa Göldner: Die Bundesregierung hat die Kohlekommission damit beauftragt, einen Fahrplan für den Ausstieg aus der Kohle zu erarbeiten und zugesichert, dass sie den mühsam erarbeiteten Kompromiss am Ende auch eins zu eins umsetzen würde.

Jetzt liegt der finale Entwurf für das Kohleausstiegsgesetz vor, das den Kohleausstieg gesetzlich regelt. Und ich bin fassungslos! Anders als versprochen bricht die Bundesregierung den Kohlekompromiss an etlichen Stellen.

Der Klimaschutz, wichtigster Zweck des Kohleausstiegs, bleibt im Gesetzesentwurf und den Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und Kohlekonzernen auf der Strecke. Aus unserer Sicht hat die Bundesregierung damit den Kohlekompromiss aufgekündigt.

Wodurch hat die Bundesregierung den Kohlekompromiss gebrochen?

Der Kohlekompromiss sieht vor, erst im Jahr 2038 das letzte Kohlekraftwerk stillzulegen. Eine dicke Kröte für Organisationen wie Greenpeace. In unserem Sondervotum haben wir gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Kohlekommission klar gemacht, dass wir dieses Enddatum für die Kohle nicht mittragen. Für uns steht fest: Bis 2030 muss Schluss sein mit der Kohle!
Einer der Gründe, weshalb wir dem Kohlekompromiss dennoch zugestimmt haben, war, dass es rasch mit dem Kohleausstieg losgehen sollte. Und das ist wichtig: Die CO2-Emissionen müssen jetzt schnell sinken, damit die Erderhitzung möglichst unter 1,5 Grad bleibt.

Anders als vereinbart, sind die ersten Kraftwerksblöcke nicht schon 2019 vom Netz gegangen. Greenpeace hatte sich ganz klar dafür ausgesprochen, die ersten Blöcke noch im Jahr 2019 abzuschalten. Und zwar an den Standorten Niederaußem und Neurath. Sie gehören zu den fünf schmutzigsten Braunkohlekraftwerken in Europa. Stattdessen ging im vergangenen Jahr kein einziger zusätzlicher Block vom Netz. Nun soll 2020 nur ein Block, wahrscheinlich am Standort Niederaußem stillgelegt werden.   

Der spätere Einstieg in den Kohleausstieg ist sicherlich nicht der einzige Vorwurf …

Vereinbart war, bis 2022 Braunkohlekraftwerke mit einer elektrischen Leistung von 3,1 Gigawatt abzuschalten, im Gesetz festgelegt wurden aber nur 2,8 Gigawatt. Das heißt, dass bereits in der ersten Phase zu wenig Braunkohlekraftwerke vom Netz gehen. Anders als von der Kohlekommission festgelegt, ist auch kein stetiger Ausstieg vorgesehen, sondern einer in drei großen Sprüngen. Das heißt, statt kontinuierlich Blöcke vom Netz zu nehmen, sollen zum jeweils spätestmöglichen Zeitpunkt immer mehrere Kraftwerke auf einmal abgeschaltet werden.  Für den Klimaschutz ist aber notwendig, dass es jetzt und stetig passiert und nicht in Etappen etwa 2022 und 2030. 

Ein weiterer Punkt, an dem die Bundesregierung die Empfehlungen der Kohlekommission missachtet, ist das Steinkohlekraftwerk Datteln 4. Es war klar vereinbart, dass kein neues Kraftwerk mehr ans Netz gehen soll. Trotzdem soll dieses Kraftwerk jetzt noch in Betrieb gehen. 

Welche Folgen haben die jüngsten Beschlüsse für die Einhaltung des UN-Klimaschutzziels, die Erderhitzung möglichst bei 1,5 Grad zu stabilisieren?

Um die Erderhitzung in beherrschbaren Bahnen halten zu können, sollte sich die Erde nicht um mehr als 1,5 Grad erwärmen – verglichen mit vorindustriellen Zeiten. Damit Deutschland einen fairen Beitrag zum Erreichen dieses Ziels leistet, muss bis spätestens 2030 Schluss sein mit der Kohleverstromung. Das Entscheidende ist allerdings nicht, wann das letzte Kraftwerk vom Netz geht, sondern dass man jetzt die ersten Kraftwerke abschaltet. Mit den Beschlüssen der vergangenen Woche leistet Deutschland diesen Beitrag nicht!

Insgesamt sollen rund 50 Milliarden Euro Steuergelder in den Kohleausstieg fließen. Ist das angemessen?

Der Kohleausstieg in Deutschland ist teuer. Die Braunkohleregionen erhalten 40 Milliarden Euro als Strukturhilfe und weitere 4,8 Milliarden werden für Vorruhestandsregelungen für ältere Beschäftigte ausgezahlt. Und das ist richtig so, ein Strukturwandel kostet Geld und ist ein riesiger Kraftakt. Der Kohleausstieg muss von der gesamten Gesellschaft unterstützt und getragen werden.

Auch die Betreiber der Kraftwerke erhalten 4,35 Milliarden Euro als Entschädigung, obwohl viele der Kraftwerke schon 40 oder 50 Jahre laufen und längst abgeschrieben sind. Was dabei auf der Strecke bleibt: der Klimaschutz. Geld gegen Klimaschutz: Das war der Kompromiss, auf den sich alle geeinigt haben – nach mühsamen Verhandlungen in der Kohlekommission. Diese Vereinbarung haben Kanzlerin Merkel und ihre Bundesregierung nun aufgekündigt. Eine bittere Enttäuschung.

Noch einmal zurück zu den Beschäftigten. Gegner des Kohleausstiegs führen die drohende Arbeitslosigkeit ins Feld. Ist denn eine soziale Abfederung so schwierig?

Im Braunkohlesektor arbeiten etwa 19.000 Menschen, im Steinkohlesektor 6.500. Das sind viele Menschen, die sich jetzt um ihre Arbeitsplätze sorgen. Allerdings werden zwei Drittel der Beschäftigten ohnehin bis zum Jahr 2030 in Rente gehen. In Kombination mit den Strukturhilfen lässt sich der Ausstieg aus der Kohle also sozial gut abfedern.

Und ich finde, auch die Konzerne sind in der Pflicht, Verantwortung für ihre Angestellten zu übernehmen. Beispielsweise durch Schulungen, die ihnen bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung helfen. Das finde ich nur fair – schließlich erhalten die Betreiber hohe Entschädigungssummen.

Was viele nicht wissen: In den vergangenen zwei Jahren haben in der Windindustrie doppelt so viele Menschen ihren Job verloren, wie es Beschäftigte in der Kohle überhaupt gibt. Und zwar deshalb, weil der Ausbau der Erneuerbaren Energie fast zum Erliegen gekommen ist. Wenn wir diesen Trend aufhalten wollen und die Arbeitsplätze der rund 300.000 Beschäftigen in den Erneuerbaren Energien in Deutschland sichern wollen, muss die Energiewende endlich wieder an Fahrt aufnehmen. 

Mit Datteln 4 soll dieses Jahr noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen. Es würde pro Kilowattstunde Strom weniger CO2 produzieren als die älteren Kraftwerke, sagt etwa Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Für Datteln könnten also ältere Werke abgeschaltet werden. Stimmt das? 

Ich halte es für total irre, im Jahr 2020 noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz zu lassen. Das ist außerdem ein klarer Bruch mit den Empfehlungen der Kohlekommission.

Es steht im Entwurf für das Kohleausstiegsgesetz, dass die Mehremissionen, die durch die Inbetriebnahme von Datteln 4 entstehen werden, durch Abschaltungen anderer Steinkohlekraftwerke kompensiert werden. Wie das konkret aussehen soll, bleibt aber völlig offen. Solange es keinen konkreten Plan dafür gibt, welche Kraftwerke wann weichen, ist es nichts als Gerede. Außerdem gibt es sehr unterschiedliche Einschätzungen wie hoch die Mehremissionen tatsächlich sind, wenn Datteln 4 in Betrieb genommen wird.

So oder so ist es ein fatales Zeichen an die Welt, dass Deutschland in Zeiten einer immer dramatischeren Klimakrise ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb nimmt. Reiche und technologiestarke Länder wie Deutschland müssen bei der Energiewende vorangehen und zeigen, wie es gehen kann.

Kann der Kohleausstieg bis 2030 klappen im Hinblick auf die Versorgungssicherheit mit Energie?

Das klimapolitisch Notwendige ist auch technisch und wirtschaftlich möglich. Dass ein Kohleausstieg bis 2030 machbar ist, hat das Fraunhofer Institut in einer Studie im Auftrag von Greenpeace klar gezeigt.

Was wird aus dem Hambacher Wald, der laut Kohlekommission erhalten werden soll.

Der Hambacher Wald soll nicht abgebaggert werden. Ob er aber überlebt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Der Tagebau Hambach soll nämlich weiterlaufen und RWE plant, um den Wald herum zu baggern. Das heißt, dass der Wald, der derzeit nur an einer Seite auf den Tagebau stößt, künftig zu einer Halbinsel inmitten gigantischer Tagebaue werden soll. Eine von Greenpeace beauftrage Studie hat festgestellt, dass der Wald schon heute massiv unter der Abbaggerung leidet. Wenn Tagebaue ihn von drei Seiten einschließen, hat er keine Chance zu überleben.

Außerdem erschüttert mich, dass die Dörfer am Tagebau Garzweiler tatsächlich noch zerstört werden sollen. Ich finde es unfassbar und vollkommen unnötig, dass den Bewohnerinnen und Bewohnern das noch angetan werden soll.

Update: Eine Aussage im Interview wurde am 24.01.2020 korrigiert. In der ursprünglichen Version hieß es, dass 2020 ein kleiner Block der Nord-Süd-Bahn stillgelegt werden soll. Korrekt muss es heißen, dass 2020 nur ein Block, wahrscheinlich am Standort Niederaußem, stillgelegt wird. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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