Bundesverfassungsgericht entscheidet über Klage gegen Atomausstieg
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Update vom 6. Dezember:
Das Bundesverfassungsgericht hat heute sein Urteil zu den Verfassungsbeschwerden der Energiekonzerne RWE, Eon und Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg verkündet.
„Heute ist ein guter Tag für den Atomausstieg", kommentiert Heinz Smital, Kernphysiker und Atomexperte bei Greenpeace. "Die beschleunigte Abschaltung der Atomkraftwerke ist im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar. Das ist die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter billigen der Entscheidung aus dem März 2011 überragende Gemeinwohlgründe im Hinblick auf den Schutz der Bevölkerung zu.
Die Argumente der AKW-Betreiber wies das Gericht mehrheitlich als unberechtigt zurück. Die überzogenen Entschädigungsansprüche von RWE, Eon und Vattenfall wurden abgelehnt, die Laufzeitverlängerung spielt nach Ansicht der Richter für mögliche Entschädigungszahlungen keine Rolle. Eon geht weitgehend leer aus. Jetzt ist die Bundesregierung gefordert, eine Lösung für den geringfügigen Ausgleichsbedarf zu finden, den die Richter RWE und Vattenfall zugesprochen haben.“
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Die drei Großen im Atomgeschäft, RWE, Vattenfall und E.on, beklagen den Atomausstieg – auch juristisch. Sie sehen ihre Grundrechte verletzt: Das staatlich verordnete Aus für ihre Atommeiler würde in ihre Eigentumsrechte und Berufsfreiheit eingreifen. Deshalb fordern sie vom Bund Schadensersatz. Zimperlich sind sie dabei nicht: Es geht um eine Größenordnung von rund 20 Milliarden Euro, die Deutschland, also der Steuerzahler, berappen soll.
Denn unter den Eindrücken des verheerenden Reaktorunglücks in Fukushima beschloss die Bundesregierung 2011 den Atomausstieg, um die eigene Bevölkerung vor diesen Gefahren zu bewahren. Welches Recht wiegt mehr? Der Schutz von Geschäftsmodellen oder der Schutz des Lebens und der Gesundheit? Über diese Frage entscheidet morgen das Bundesverfassungsgericht.
„Das ist unternehmerisches Risiko“
Heinz Smital, Atomphysiker und Experte für Energie bei Greenpeace, geht davon aus, dass das Gericht den beschlossenen Atomausstieg bestätigen wird. So sei im Falle Vattenfalls unklar, ob das schwedische Unternehmen überhaupt beschwerdebefugt sei. Vattenfall verklagt Deutschland wegen der gleichen Sache parallel vor einem Handelsschiedsgericht in Washington.
E.on hätte nach Meinung Smitals gar keinen Anspruch auf Schadensersatz, da alle verbliebenen Reststrommengen noch in eigenen Anlagen erzeugt werden können. Der Atomkonsens von 2001 erlaubte den Stromversorgern, nicht erzeugte Strommengen von einem AKW auf ein anderes zu übertragen, auch konzernübergreifend. Veraltete unsichere Kraftwerke sollten auf diese Weise schneller aus dem Verkehr gezogen, der Strom dafür in neueren Anlagen erzeugt werden. Die Strommengenübertragung ist auch im Rahmen des nachgebesserten Gesetzes möglich, allerdings nur bis zum festgelegten Ausstiegsdatum.
Nur RWE könnte Ansprüche geltend machen – der bewilligte Reaktor Mülheim-Kährlich war nur kurz am Netz. „Doch auch hier ist fraglich, welcher Wert dem eingeräumt werden kann“, sagt Smital. „Ein Handel mit Strommengen war von den Betreibern grundsätzlich gewünscht. Bei der Verwertung von Reststrommengen gibt es ein unternehmerisches Risiko, welches prinzipiell von den Unternehmen zu tragen ist.“
Eine kleine Ausnahme könnten Investitionen sein, die getätigt worden sind, weil die Betreiber nicht mit dem vorgezogenen Atomausstieg rechnen konnten. Denn nur wenige Monate zuvor hatte die Bundesregierung eine Laufzeitverlängerung für AKW beschlossen. An den beiden Verhandlungstagen im vergangenen März war das Verfassungsgericht allerdings sehr am genauen Zeitpunkt der Investitionen interessiert. Ein Hinweis darauf, dass es nur die Schutzwürdigkeit von Investitionen anerkennt, die nach dem Beschluss der Laufzeitverlängerung vorgenommen wurden. Es geht also allenfalls um das Zeitfenster von drei Monaten vor der Atomkatastrophe von Fukushima.
„Die Verfassung soll Grundrechte sichern, den Schutz des Lebens und der Gesundheit, aber nicht optimistisch angesetzte Gewinnerwartungen oder Geschäftsmodelle“, so Smital.
„Atomausstieg ist aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten“
Sollte das Gericht jedoch den Atomausstieg grundsätzlich für verfassungswidrig erklären, würde formal sogar die Laufzeitverlängerung der Kraftwerke wieder rechtskräftig. Dann müssten sich die Richter in Karlsruhe aber schon bald mit einer anderen Verfassungsbeschwerde beschäftigen. Denn Greenpeace hatte im Februar 2011 gegen das Gesetz zur Laufzeitverlängerung Beschwerde eingelegt – kurz vor dem verheerenden Unglück in Fukushima, das auf zynische Art die Argumentation bestätigt.
So begründete Greenpeace die Beschwerde damit, dass ein Unfall das Leben, die Gesundheit, aber auch das Eigentum von Menschen gefährdet. Auch im Hinblick auf mögliche terroristische Angriffe kann ein Unfall nicht mehr als hinzunehmendes Restrisiko abgetan werden. „Damit ist ein Atomausstieg nicht nur verfassungsrechtlich möglich, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten“, so Smital.