Greenpeace-Aktivisten protestieren bei Verleihung des Karlspreises an Macron
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Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron gilt vielen als Politiker mit Weitsicht: Einer, der sich im Wahlkampf mit der Bereitschaft profiliert hat, das Land zu verändern; der sich sogar zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz einige Gedanken gemacht hat. In Aachen wird ihm heute der renommierte Karlspreis verlieren, „für seine Vision von einem neuen Europa und der Neugründung des europäischen Projektes“, wie es in der Begründung heißt. Eine verdiente Auszeichnung?
Eher nicht, finden Umweltaktivisten von Greenpeace und der Anti-Atom-Bewegung „Stop Tihange“. Sie begrüßten den frischgebackenen Preisträger vor dem Aachener Rathaus mit einem 40 Quadratmeter großen Banner, das von dem französischen Staatsoberhaupt fordert: „Build a nuclear free Europe! Stop Tihange & Cattenom“, auf Deutsch: Schaffen Sie ein atomfreies Europa. Denn in Energiefragen ist Macron erschreckend rückwärtsgewandt. Frankreich setzt für seine Energieversorgung nach wie vor auf hochriskante Atomkraft, insgesamt 58 Reaktoren sind im Nachbarland am Netz. Ihr Betreiber ist der Konzern Électricité de France (EDF), der zu 85 Prozent in staatlicher Hand ist. Und darum ist Macron sehr unmittelbar für eine handfeste Bedrohungslage im Aachener Raum verantwortlich.
Belgische Schrottmeiler in französischer Hand
EDF besitzt nämlich nicht bloß Atomkraftwerke in Frankreich, sondern ist auch in Belgien an Meilern beteiligt, unweit der Grenze zu Deutschland. Der Reaktor 1 des berüchtigten Schrottmeilers in Tihange, knapp 70 Kilometer von Aachen entfernt, gehört zur Hälfte Électricité de France. Die beiden anderen Reaktoren sind zu 90 Prozent im Besitz einer Firma mit französischer Staatsbeteiligung, dem belgischen Stromversorger Engie Electrabel.
Tihange, genau wie das Atomkraftwerk Doel, geriet in den vergangenen Jahren immer wieder wegen Sicherheitsmängeln in die Schlagzeilen, unter anderem weisen die Reaktordruckbehälter buchstäblich tausende Risse auf. Ein Versagen an dieser Stelle hätte katastrophale Folgen. Greenpeace wies wiederholt auf die Gefahren hin, die von den belgischen Pannenmeilern ausgehen.
Dass Macron ausgerechnet in Aachen eine Auszeichnung für seine Verdienste um das europäische Miteinander empfängt, besitzt einen unangenehmen Beigeschmack. Die Besorgnis in der Bevölkerung ist groß, bis in die Behörden: Die Bedrohung für den Aachener Raum ist so konkret, dass die Stadt vergangenes Jahr bereits kostenlos hochdosierte Jodtabletten ausgab. Im Falle eines Strahlungsaustritts sollen sie Schilddrüsenkrebs vorbeugen. Da wundert es nicht, dass die Initiative „Stop Tihange“ und Greenpeace die lobenden Worte für den französischen Regierungschef nicht unwidersprochen stehen lassen wollen.
Ein geeintes Europa mit Erneuerbaren Energien
„Der französische Präsident verantwortet mit seiner veralteten Energiepolitik die marodesten Atommeiler Europas – das verbindet Völker und Nationen nicht, sondern gefährdet sie“, sagt Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomkraft. Denn nicht nur im Aachener Raum sieht man Frankreichs Festhalten an der Atomkraft mit begründeter Sorge. Die grenznahen französischen Reaktoren in Cattenom und Fessenheim sind bei der Bevölkerung im Saarland und im Breisgau seit Langem Grund für Proteste. Auch Menschen in Luxemburg, der Schweiz und Belgien leben mit der Bedrohung durch schadhafte französische Atomreaktoren. „Rücksichtnahme auf die Nachbarstaaten sieht anders aus“, so Smital.
Viele der Meiler in Frankreich haben dasselbe Problem: Die Abklingbecken, die immerhin für die Kühlung der hochradioaktiven abgebrannten Brennelemente verantwortlich sind, befinden sich in dünnwandigen Lagerhallen – kaum geschützt gegen Angriffe von außen und damit ein gewaltiges Sicherheitsrisiko.
Von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bei der Verleihung die Laudatio auf Macron hielt, kann der französische Staatspräsident sich immerhin den Ausstieg aus der Atomkraft abschauen – selbst wenn die in Sachen Energiewende selbst sehr viel aufzuholen hat. „Unsere Vision eines neuen Europas heißt ‚erneuerbar‘“, sagt Smital. Wer das umsetzt, verdient dann auch tatsächlich den Karlspreis.