Greenpeace veröffentlicht Gutachten zum Klimaschutzplan 2050
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Update vom 14. November 2016
Die Bundesregierung hat die drohende Blamage für Deutschland noch abgewendet. In letzter Minute einigten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Umweltministerin Barbara Hendricks auf einen Klimaschutzplan 2050, der trotz vieler herausgestrichener Maßnahmen vorzeigbar ist. In einem schriftlichen sogenannten Umlaufverfahren segnete das Kabinett den Plan ab.
„Für die Verhandlungen in Marrakesch ist es ein wichtiges Signal, dass mit Deutschland ein großes Industrieland seinen Weg in eine klimafreundliche Zukunft beschreibt“, kommentiert Martin Kaiser, Greenpeace-Experte für Klimaschutz. „Auch wenn Kohle- und Autolobbyisten nötige Maßnahmen wieder herausgestrichen haben, bleibt das Herz des Plans unübersehbar: Nur mit einem sozial abgefederten Kohleausstieg kann die Energiebranche ihr nun festgelegtes Klimaziel für 2030 erreichen.“
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Update vom 11. November 2016, 12 Uhr:
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat dem unwürdigen Gerangel um den Klimaschutzplan 2050 die Krone aufgesetzt: Während in Marrakesch der Klimagipfel schon auf Touren läuft, verhindert er mit seinem Veto konkrete Maßnahmen zum Kohleausstieg.
Greenpeace-Aktivisten haben ihm für diese Glanzleistung heute die gebührende Ehre erwiesen – mit einem großen Plakat vor der SPD-Parteizentrale. Es zeigt Sigmar Gabriel als Sonnenkönig Ludwig XIV. mit dem Spruch „Klimaschutz? Nicht mit mir“ – und mit einem abgewandelten Zitat des historischen Regenten: „Die SPD bin ich“.
Es ist bereits die zweite Ehrung für die Bundesregierung: Zwei Tage zuvor hatte das Umweltbündnis Climate Action Network (CAN) Deutschland mit dem „Fossil des Tages“ ausgezeichnet. Der während der Klimakonferenz täglich verliehene Preis geht laut CAN an die Länder, die „am meisten tun, um am wenigsten zu machen" und „ihr Bestes geben, um am schlechtesten zu sein".
Ob Umweltministerin Barbara Hendricks doch noch einen Klimaschutzplan mit Substanz im Gepäck haben wird, wenn sie kommende Woche nach Marrakesch reist, ist nach wie vor offen.
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Update vom 27. September 2016
Anlässlich der Verbände-Anhörung am heutigen Dienstag hat sich Greenpeace gemeinsam mit BUND, NABU und WWF in einem offenen Brief (s. Anhang unten) an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel gewandt. Der Brief enthält sieben zentrale Weichenstellungen, die der Klimaschutzplan 2050 vorgeben muss, um seinem Namen gerecht zu werden. Die Verbände fordern Merkel und Gabriel auf, dies sicherzustellen. Die jetzt vorliegende Fassung stehe nicht im Einklang mit den Zielen des Klimaabkommens von Paris, das Deutschland in der vergangenen Woche ratifiziert hat.
Alle vier großen Verbände bleiben der Anhörung fern. In einer gemeinsamen Pressemitteilung erklären sie, der Entwurf des Klimaschutzplans „sei für sie weder zustimmungsfähig noch glaubwürdig“. Eine großformatige Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (s. Foto) unterstreicht diese Kritik.
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Artikel vom 23. September 2016
Bürgerbeteiligung als Feigenblatt: Ein Greenpeace-Gutachten über den Klimaschutzplan 2050 zeigt, wie in Berlin kurzfristiges Lobbydenken auch gute Ansätze zunichtemacht.
Es sollte ein Leuchtturm werden, ein Paradebeispiel an Transparenz und Bürgerbeteiligung: Das Bundesumweltministerium lud 2015 Vertreter aus Ländern und Kommunen, Wirtschafts- und Umweltverbänden und der bundesweiten Bürgerschaft ein, gemeinsam für Deutschland den Klimaschutzplan 2050 zu entwickeln. Dafür gab es im Juni 2015 mit einem ehrgeizigen Impulspapier die Richtung vor.
Der Klimaschutzplan ist gedacht als Fahrplan und Maßnahmenkatalog für die Klimapolitik der nächsten Jahrzehnte. Er soll den Weg zur Dekarbonisierung weisen, zu einem Lebensstil und einer Wirtschaftsweise, deren CO2-Ausstoß schrittweise gegen Null geht. Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, muss es bis 2050 mindestens 80 bis 95 Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen als im Vergleichsjahr 1990.
Offen, transparent, demokratisch …
In seinem Gutachten im Auftrag von Greenpeace bescheinigt Prof. Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) dem Umweltministerium: „Noch nie zuvor hat in Deutschland ein derart ehrgeiziger, breiter, komplexer und durchstrukturierter Beteiligungsprozess im Vorfeld eines Regierungsprogramms auf Bundesebene stattgefunden. Insofern hatten etliche Komponenten dieses Verfahrens einen innovativen und experimentellen Charakter“. Das Umweltministerium als federführende und politisch verantwortliche Instanz für den Beteiligungsprozess habe die vagen Vorgaben des Koalitionsvertrags und der nachfolgenden, etwas konkreteren Kabinettsentscheidung von 2014 mutig und extensiv ausgelegt. „Dabei hat es große Anstrengungen unternommen, um diesen Prozess offen, inklusiv, demokratisch und transparent zu gestalten“, so Rucht.
Ergebnis des aufwendigen Prozesses war ein Papier, das konkrete Schritte und Maßnahmen benannte. Es wurde dem Umweltministerium im März 2016 offiziell übergeben und diente als Basis für einen 62 Seiten starken Hausentwurf, veröffentlicht am 20. April 2016. Dieser wurde anschließend auf seinen Weg in die Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt und anderen Ministerien geschickt.
… und ausgehebelt
Das war der Anfang vom Ende. In den weiteren beteiligten Fachressorts und dem Kanzleramt magerte das ambitionierte Papier rapide ab und verlor seinen eigentlichen Daseinszweck.
Im Gutachten heißt es dazu: „Mit der Präsentation des Maßnahmenkatalogs hat das politische Ringen um die Festlegung von Eckwerten, Zwischenzielen und handlungsfeldspezifischen Maßnahmen begonnen. Im Zentrum dieses Ringens stehen die beteiligten Fachressorts auf Bundesebene, das Bundeskanzleramt und die Spitzen der Regierungskoalition. Auf diese Beteiligten zielen die Interventionen, Lobbying-Aktivitäten und öffentlichen Stellungsnahmen der am Klimaschutz interessierten und von Maßnahmen zum Klimaschutz betroffenen Stakeholder.“
Schon eine erste Abstimmung mit dem ebenfalls SPD-geführten Wirtschaftsministerium im Juni führte zu einem neuen, schwächeren Entwurf. Am 6. September folgte nach weiteren Interventionen des Wirtschaftsministeriums sowie des Bundeskanzleramts Entwurf Nummer drei, eine noch schwächere Fassung. Inzwischen sind konkrete Ziele und Wegmarken, zum Beispiel zum Kohleausstieg, zum Fleischkonsum und zur Mobilität, aus dem Papier verschwunden.
Die Stakeholder
In seinem Impulspapier hatte das Umweltministerium fünf große Wirtschaftsbereiche benannt, die den CO2-Ausstoß in Deutschland befeuern und entsprechendes Einsparpotenzial aufweisen: die Energiewirtschaft, der Sektor Industrie & Gewerbe / Handel / Dienstleistungen, der Verkehr, die Landwirtschaft, das Gebäudemanagement (Heizung, Warmwasser).
Es überrascht nicht, dass aus diesen Bereichen die größten Hindernisse für den Prozess kamen, laut Gutachten „allen voran die Vertreter des einflussreichen BDI und des DIHK, die kompromisslos an den schon zuvor feststehenden Standpunkten ihrer Organisation festhielten – Standpunkten, die trotz verbaler Bekenntnisse zum Klimaschutz praktisch auf eine weitgehende Blockade von durchgreifenden Maßnahmen hinausliefen“.
Auch der CDU-Wirtschaftsrat ist nicht zimperlich, wenn es um Klimaschutzmaßnahmen geht. Er veröffentlichte im Juni 2016 eine dreiseitige Stellungnahme zum – wohlgemerkt fast bis zur Unkenntlichkeit entschärften - Papier, in welcher er für den Fall einer Umsetzung „die schleichende Deindustrialisierung des Standortes Deutschland“ heraufbeschwört.
Affront der Zivilgesellschaft
Der Prozess spielt inzwischen in der Diskussion keine Rolle mehr. Es ist, als habe es das Papier vom März 2016 nicht gegeben - für die beteiligten Umweltverbände und Zivilpersonen ein Schlag ins Gesicht. Demokratie? Transparenz? Bürgerbeteiligung? Abgehakt.
Für die politische Kultur in Deutschland ist das ein Fiasko. Auch das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass ein Beteiligungsverfahren unter solchen Umständen eine destruktive Wirkung entfalten könne: Es frustriere die Beteiligten, es demotiviere im Hinblick auf künftige Beteiligungsangebote, und es untergrabe das ohnehin gestörte Vertrauen in die politischen Organe und in das politische Personal. Prof. Rucht: „Auch im vorliegenden Fall öffnet sich eine Kluft zwischen der Praxis eines ehrgeizigen, aufwendigen, komplexen und äußerst transparenten Verfahrens einerseits und der Missachtung oder gar Diskreditierung von dessen Ergebnissen durch die Politik unter dem Druck starker wirtschaftlicher Interessen.“
Debakel für den Klimaschutz
Für den Klimaschutz ist es ebenfalls ein Debakel. Mit medienwirksamen Lippenbekenntnissen ist die Klimaerwärmung nicht zu stoppen. Die Bundesregierung hat am 22. September den Pariser Klimavertrag ratifiziert. Doch wie glaubwürdig ist auch international eine Regierung, die ungeniert klimaschutzfreundliche Bekenntnisse produziert, während sie im selben Atemzug klimaschädliche Interessen vertritt?
Am 27. September wird in Berlin eine Anhörung der Verbände zur jetzigen Fassung des Klimaschutzplans stattfinden. Greenpeace hat sich entschlossen, nicht daran teilzunehmen. Tobias Münchmeyer, stellvertretender Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin, stellt klar: „Diese Anhörung ist eine Farce, an der wir uns nicht beteiligen werden.“
Gutachten: Der Beteiligungsprozess am Klimaschutzplan 2050
Anzahl Seiten: 26
Dateigröße: 876.95 KB
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