USA: Ein Prozess gegen Greenpeace und die Meinungsfreiheit
- Hintergrund
Dieser Text erschien zuerst auf Englisch auf der Website von Greenpeace International.
Große Ölkonzerne wie Energy Transfer und Umweltverschmutzer auf der ganzen Welt haben eine neue Waffe, mit der sie alle zum Schweigen bringen wollen, die sich für eine gerechte, grüne und friedliche Zukunft einsetzen: SLAPP-Suits. In den letzten Jahren wurden diese „Strategic Lawsuits Against Public Participation” (SLAPP; auf Deutsch: Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung) von Konzernen eingesetzt, um die freie Meinungsäußerung zu unterdrücken und die Macht der Menschen einzuschränken.
Greenpeace USA und Greenpeace International stehen kurz vor einem Prozess in North Dakota, USA. Sie werden von Energy Transfer – einem in den USA ansässigen Unternehmen für fossile Brennstoffe, das für die Dakota Access Pipeline verantwortlich ist – auf fast 300 Millionen US-Dollar verklagt. Die Klage gegen Greenpeace steht in Zusammenhang mit den im Jahr 2016 von Indigenen geführten Protesten gegen die geplante Pipeline in Standing Rock. Mit der Klage wird nicht nur versucht, die Geschichte der von den Standing Rock Sioux angeführten Bewegung umzuschreiben. Eine Niederlage vor Gericht wäre für Greenpeace USA existenzbedrohend und hätte weitreichende Auswirkungen auf die Umweltschutz- und Klimagerechtigkeits-Bewegung in der ganzen Welt.
Die SLAPP-Klage von Energy Transfer gegen Greenpeace ist ein entscheidender Test für diese gefährliche juristische Taktik. Wenn SLAPP-Klagen erfolgreich sind, können sie in großem Umfang gegen friedliche Demonstrant:innen und gegen alle angewandt werden, die ihre Stimme erheben oder ein umsatzstarkes Unternehmen kritisieren.
Globale Aktionswoche 2024
Im Rahmen einer Globalen Aktionswoche im September 2024 haben sich 19 Greenpeace-Büros gemeinsam solidarisch mit Greenpeace USA gezeigt, die von Energy Transfer in North Dakota ungerechtfertigterweise auf 300 Mio. US-Dollar Schadensersatz verklagt werden. Diese sogenannten SLAPP Klagen (Strategic Lawsuits Against Public Participation) sind missbräuchliche Klagen, die von Konzernen wie Energy Transfer gegen Umweltaktivist:innen, Journalist:innen und andere Akteur:innen der Zivilgesellschaft eingesetzt werden, um sie zum Schweigen zu bringen. Gemeinsam hat Greenpeace deshalb gezeigt: Wir sind lauter! Und das nicht nur in den USA sondern weltweit.
Greenpeace-Aktivist:innen rund um den Globus sprechen mit einer Stimme, wenn es darum geht, die Meinungsfreiheit zu verteidigen: Von Australien, Indonesien und Taiwan, über Slowenien, Rumänien und Ungarn bis nach Deutschland. Denn auch hier kommt es in den letzten Jahren immer häufiger zu Fällen, in denen Konzerne das Recht instrumentalisieren, um andere mundtot zu machen. Solche Mobbing-Klagen sind laut EU-Verordnung seit April dieses Jahres rechtlich nicht mehr möglich. Unterstütze uns dabei die Bundesregierung aufzufordern, auch auf nationaler Ebene eine Gesetzeslage zu schaffen, die zivilgesellschaftliches Engagement zum Wohle aller nicht bestraft, sondern beschützt.
Die Geschichte von Standing Rock
Im Jahr 2016 wurde die ganze Welt vom Widerstand des Standing Rock Sioux Stammes gegen die Dakota Access Pipeline (DAPL) in Atem gehalten. Zehntausende Menschen, darunter Angehörige von mehr als 300 Stammesnationen, kamen zusammen, um das Wasser vor Ort zu schützen und sich mit Standing Rock zu solidarisieren. Im Oktober 2016 haben Vertreter:innen der Vereinten Nationen Standing Rock besucht und Bedenken hinsichtlich der Selbstbestimmung der indigenen Völker geäußert.
Die 2014 von Energy Transfer und seinen Partnern vorgeschlagene Dakota Access Pipeline (DAPL) hätte Rohöl von den Bakken-Ölfeldern in North Dakota nach Illinois und von dort an die US-Golfküste transportiert. Die DAPL war Teil des Fracking-Booms, der 2008 in der Region begann und der auch den Bau von Ölexport-Terminals und anderen Infrastrukturen ankurbelte. All diese Entwicklungen führen zwangsläufig zu einer noch größeren Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, schaden den umliegenden Gemeinden und untergraben die langsamen Fortschritte bei der Erfüllung der Ziele des Pariser Abkommens.
Von Anfang an waren die Mitglieder des Standing Rock Sioux Stammes und anderer Sioux Nationen gegen die Pipeline. Der Stammesvorsitzende Dave Archambault II stellte die Pipeline in eine historische Perspektive: „Ob Gold aus den Black Hills oder Wasserkraft aus dem Missouri oder Ölpipelines, die unser angestammtes Erbe bedrohen, die Stämme haben immer den Preis für Amerikas Wohlstand bezahlt.”
Ab April 2016 errichteten Stammesmitglieder Gebetslager in der Nähe des geplanten Wasserübergangs, und junge Wasserschützer:innen organisierten einen 500-Meilen-Staffellauf, um einen Brief an das US Army Corps of Engineers (zuständig für die Bewertung und Erteilung von Genehmigungen für alle Wasserdurchquerungen der Pipeline) zu überbringen. Im Juli 2016 reichte Standing Rock eine Klage gegen das US Army Corps ein, um die Genehmigung der Pipeline zu verhindern. Als der Bau der „Schwarzen Schlange” im Sommer und Herbst 2016 immer näher an den Fluss heranrückte, erregten die wachsenden Proteste gegen die Pipeline zunächst nationale und dann weltweite Aufmerksamkeit.
Im November 2016 wurde dann Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt. Während die Vorgängerregierung von Barack Obama den Antrag von Energy Transfer auf Landzugang für die Pipeline im Dezember 2016 abgelehnt hatte, bestand eine der ersten Amtshandlungen von Trump darin, die Pipeline zu genehmigen. Der CEO von Energy Transfer, Kelcy Warren, hatte kurz zuvor 250’000 US-Dollar für Trumps Amtseinführung gespendet und später 10 Millionen US-Dollar für Trumps Bemühungen zur Wiederwahl 2020 bereitgestellt. Der Bau wurde abgeschlossen und die Pipeline im Juni 2017 in Betrieb genommen.
Obwohl nun Öl floss, war der Kampf des Standing Rock Sioux Stammes noch nicht beendet. Ihre Klage ging weiter, und im Jahr 2020 wies ein US-Bundesrichter das Armeekorps schließlich an, eine vollständige Umweltverträglichkeitsprüfung für die Pipeline-Querung durchzuführen. Die Anordnung, die Pipeline stillzulegen, wurde jedoch nicht aufrechterhalten. Heute fordert der Stamm der Standing Rock Sioux immer noch, dass „das Korps die Pipeline stilllegt und eine ordnungsgemässe Umweltverträglichkeitsprüfung durchführt, und nicht eine, die von der fossilen Brennstoffindustrie erstellt wurde”.
Energy Transfer will Rache, nicht Gerechtigkeit
Der Kampf gegen die Dakota Access Pipeline dauert noch an. Aber die Proteste von 2016 und 2017 in Standing Rock waren ein starkes Zeichen des Widerstands gegen die Macht der Konzerne und haben das Big Oil-Business eindeutig erschüttert. Seit 2016 sind in 18 US-Bundesstaaten weitreichende Gesetze gegen Proteste gegen fossile Brennstoffe erlassen worden. Überall auf der Welt haben enge Beziehungen zwischen Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft und Regierungsvertreter:innen zu zahlreichen Bemühungen geführt, die den Raum für zivilen Widerstand verkleinern und die Konsequenzen für die Beteiligung an friedlichen Protesten verschärfen.
In diesem Fall hat Energy Transfer den gerichtlichen Weg eingeschlagen.
Die ursprüngliche Klage von Energy Transfer aus dem Jahr 2017 – ein wahrhaft wildes Stück kreativen Schreibens, in dem unter anderem behauptet wurde, dass Greenpeace und nicht der Stamm der Standing Rock Sioux oder indigene Wasserschützer:innen die Proteste organisiert hätte – wurde 2019 von einem US-Bundesrichter abgewiesen. Energy Transfer reichte die Klage jedoch erneut vor einem Gericht des Bundesstaates North Dakota ein und brachte dabei viele der gleichen unlauteren Argumente vor.
In Medieninterviews aus dem Jahr 2017 sprach der CEO von Energy Transfer, Kelcy Warren, über die Beweggründe für die erste Klage. In einem dieser Interviews erklärte er, dass er „auf jeden Fall” versuche, die Finanzierung von Greenpeace „einzustellen”, und in einem anderen ließ er verlauten, dass sein „Hauptziel” nicht darin bestehe, Schadenersatz zu erhalten, sondern vielmehr darin, „eine Botschaft zu senden: Das könnt ihr nicht machen, das ist ungesetzlich und wird in den Vereinigten Staaten nicht toleriert”.
Die Klage von Energy Transfer könnte Teil einer koordinierten Anstrengung gewesen sein, um insbesondere gegen Greenpeace vorzugehen. Dieselbe Anwaltskanzlei, die die Klage für Energy Transfer eingereicht hat, hatte schon im Jahr zuvor im Namen von Resolute Forest Products eine ähnliche Klage gegen Greenpeace eingereicht. Greenpeace gewann diese Klage im Jahr 2023, endgültig beigelegt wurde der Fall im Jahr 2024 später nach fast einem Jahrzehnt Rechtsstreit. Die betreffende Kanzlei – Kasowitz Benson Torres, gegründet von einem von Trumps persönlichen Anwälten – erklärte gegenüber Bloomberg, dass sie „in Kontakt mit anderen Unternehmen” stünde, die Greenpeace verklagen wollten.
SLAPPs vs. People Power
Wie alle SLAPP-Klagen („Strategic Lawsuits Against Public Participation”) ist auch die aktuelle, unbegründete 300-Millionen-US-Dollar-Klage von Energy Transfer gegen Greenpeace ein Angriff auf zwei der Schlüsselelemente einer freien Zivilgesellschaft: Redefreiheit und friedlicher Protest. Ein schlechtes Urteil in diesem Fall könnte schwerwiegende Folgen für alle haben, die an einer Demonstration teilnehmen oder es wagen, ihre Stimme zu erheben, um ein mächtiges, hoch dotiertes Unternehmen zu kritisieren.
Der Bericht „SLAPPed but not silenced: Defending human rights in the face of legal risks” (Verteidigung der Menschenrechte angesichts rechtlicher Risiken), der 2021 vom Business & Human Rights Resource Center veröffentlicht wurde, dokumentiert 355 Rechtsfälle auf der ganzen Welt, die seit 2015 die Merkmale von SLAPP-Klagen aufweisen. Diese Mobbing-Prozesse wurden von Wirtschaftsakteuren gegen Organisationen oder Einzelpersonen und Gruppen angestrengt, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte oder den Schutz der Umwelt einsetzen.
Seit über 50 Jahren setzt sich Greenpeace für den Schutz der Menschen und unseres Planeten ein. Um sicherzustellen, dass wir diese Arbeit fortsetzen können, lassen Sie Energy Transfer wissen, dass wir uns im Kampf für eine lebenswerte Zukunft nicht einschüchtern lassen. #ImWithGreenpeace.
Anti-SLAPP-Richtlinie der Europäischen Union
Die EU wehrt sich gegen SLAPP-Klagen
Um Journalist:innen, Menschenrechtsaktivist:innen, Wissenschaftler:innen und ihre Organisationen künftig besser vor missbräuchlichen Klagen zu schützen, hat die Europäische Union im April 2024 eine Anti-SLAPP-Richtlinie beschlossen: Ein wichtiger Schritt, um der Praxis von Unternehmen ein Ende zu setzen, Gerichte dazu zu missbrauchen, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die sich zu Angelegenheiten von öffentlichem Interesse äußern. Somit gibt die Richtlinie den in der EU ansässigen Opfern von SLAPP-Klagen die Möglichkeit, sich zu wehren. Eine starke Koalition der Zivilgesellschaft hat die EU dahingehend zum Handeln bewegt.
Missbräuchliche Klagen, die als SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) eingeordnet werden, werden häufig von fossilen Brennstoffunternehmen gegen Umweltaktivist:en, Journalist:innen und indigene Völker eingereicht. Beklagte können aufgrund der EU-Richtlinie eine frühestmögliche Abweisung von offensichtlich unbegründeten Klagen und weitere Maßnahmen beantragen. Ein Bericht der Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE) dokumentiert 820 SLAPP-Klagen in Europa (Stand: August 2023), wobei 161 Klagen im Jahr 2022 eingereicht wurden, ein deutlicher Anstieg gegenüber den 135 Fällen, die 2021 eingereicht wurden.
Nur wenige Monate nach ihrer Verabschiedung ist die neue EU-Anti-SLAPP-Richtlinie bereits in den Kampf von Greenpeace International (GPI) gegen Energy Transfer eingeflossen: GPI, das seinen Sitz in den Niederlanden hat, informierte Energy Transfer in einer Haftungs-Mitteilung über seine Absicht, das Unternehmen vor einem niederländischen Gericht zu verklagen, um den gesamten Schaden und die Kosten, die ihm durch die SLAPP-Klage entstanden sind, ersetzt zu bekommen. Sofern Energy Transfer seine Klage gegen Greenpeace International nicht zurückzieht und die Verantwortung übernimmt. Es ist das erste Mal, dass die neue EU-Anti-SLAPP-Richtlinie in einem laufenden Rechtsstreit geltend gemacht wird. Obwohl die Frist für die Niederlande zur Umsetzung der Richtlinie erst 2026 abläuft, kann sie bei der Auslegung des bestehenden niederländischen Rechts eine Rolle spielen.
Insbesondere Kapitel V der Richtlinie schützt Organisationen mit Sitz in der EU vor SLAPP-Klagen von außerhalb der EU und gibt ihnen das Recht auf Entschädigung. Das bedeutet, dass Energy Transfer in den Niederlanden auf Schadenersatz verklagt werden kann, wenn es seine Ansprüche gegen GPI in North Dakota nicht aufgibt.