Ist Amazonien noch zu retten?
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Seit einigen Monaten tauchen immer wieder alarmierende Beiträge mit katastrophalen Zahlen über die Zerstörung des Regenwaldes im brasilianischen Amazonasgebietes auf. Martin Kaiser, Urwaldexperte bei Greenpeace in Deutschland, sprach mit Paulo Adario, dem Koordinator der Greenpeace Amazonas-Kampagne über die Situation vor Ort.
Martin: Hallo Paulo, und erstmal ein herzliches Willkommen. Ich habe ein paar Fragen an dich vorbereitet. Die erste: Warum bist du derzeit in Deutschland?
Paulo: Ja hallo, wir sitzen gerade im Zug und sind auf dem Weg nach Berlin. Dort wollen wir verschiedene wichtige Personen aus Regierung und Umweltschutz treffen. Ich stelle einen Rückblick über unsere Arbeit in Amazonien vor. Natürlich wollen wir auch über die Verhandlungen der nächsten Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) sprechen. Ich hoffe, damit einen guten Boden für die im Mai in Bonn stattfindende Konferenz bereiten zu können. Denn wir wollen dort gute Ergebnisse für den internationalen Urwaldschutz erreichen. Das sind die wichtigsten Gründe, warum ich nach Deutschland gekommen bin.
Martin: Paulo erzähl uns über die Situation in Amazonien. Was sind die Hintergründe für die Zerstörung der Urwaldes?
Paulo: Ihr müsst wissen, dass der Urwald in Amazonien der größte noch intakte tropische Urwald unseres Planeten ist. Das Gebiet ist größer als die gesamten USA und umfasst mehr als 25 Prozent des noch vorhandenen tropischen Regenwaldes weltweit. Allein der brasilianische Anteil ist größer als Westeuropa. Wir sprechen hier also über einen Kontinent, einen grünen Kontinent.
Dieser große, grüne Kontinent steht seit etwa 40 Jahren unter extremen Druck. Damals begann der Prozess der Kolonisation der Urwaldregion. Seit der Zeit haben wir mehr als 700.000 Quadratkilometer tropischen Regenwaldes verloren. Das ist ein Gebiet größer als Frankreich oder doppelt so groß wie Deutschland. Und das alles in einer Zeit von nur 40 Jahren.
Das bedeutet, dass wir jährlich zwischen 20.000 und 30.000 Quadratkilometer Urwald verlieren. Das entspricht etwa der Größe Belgiens. Diese riesigen Gebiete werden hauptsächlich durch die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzung, Ausweitung der Rinderhaltung und die massive Ausweitung der Holzwirtschaft, insbesondere durch die illegale Abholzung, zerstört.
Das Zusammenspiel von Abholzung und Erweiterung der Argarwirtschaft bring das größte noch vorhandene Urwaldgebiet der Erde in große Gefahr. Dieses Urwaldgebiet ist zudem noch die Heimat von Rund der Hälfte aller an Land vorkommenden Pflanzen- und Tierarten. Hier findet sich einen Artenvielfalt wie sonst nirgends auf der Welt.
Durch die Zerstörung des Urwaldes ist nicht nur der Wald selbst, die Artenvielfalt und die indigene Bevölkerung bedroht, sondern auch das globale Klima. Durch die Zerstörung des amazonischen Urwaldes gehört Brasilien zu den weltweit größten CO2-Emittenten. Rund 70 Prozent der brasilianischen Treibhausgase stammen aus Urwaldzerstörung.
Die Urwaldzerstörung ist einer der Hauptgründe des weltweiten Klimadramas. Ein Fünftel aller freigesetzten Treibhausgase stammt aus der Zerstörung der Urwälder. Deshalb ist Brasilien der viertgrößte Kohlendioxid-Emittent weltweit. Die Klimaerwärmung hängt unmittelbar mit der Urwaldzerstörung in Amazonien zusammen.
Martin: Paulo, ist nicht nur die Urwaldzerstörung ein Problem für die brasilianische Regierung, sondern auch dass nun alle Welt über die Situation in Amazonien mitreden will?
Paulo: Es ist schon wichtig, dass viele Menschen derzeit über die Zerstörung des Urwaldes in Amazonien diskutieren. Es ist einfach ein Fakt, den wir anerkennen müssen, dass der Urwald in Brasilien großflächig zerstört wird. Und es liegt nicht daran, dass in Amazonien böse Brasilianer leben, nein, sondern an der weltweit steigenden Nachfrage nach Agrotreibstoffen, Soja, Rinderfleisch und Tropenholz. Die Globalisierung der Ökonomie, auch der Ökonomie in Amazoien, ist der Hintergrund und einer der Hauptursachen für die Urwaldzerstörung in Amazonien.
Die Reaktion in Brasilien über das internationale Interesse an Amazonien stößt bei den brasilianischen Behörden nicht auf die größte Begeisterung. Die internationale Aufmerksamkeit macht Brasilien Probleme. Die Regierung fühlt sich isoliert und in ihrer Freiheit eingeschränkt. Der politische Druck führt dazu, dass die Regierung recht hart auf Einmischungen von außen reagiert. Die Behörden bestehen auf ihre Entwicklungsfreiheit.
Martin: Wenn die brasilianische Regierung so sehr auf ihre Handlungsfreiheit wert legt, was macht sie konkret, um die Zerstörung der Urwälder zu verhindern?
Paulo: Vor etwa vier Jahren hat die brasilianische Regierung ein sehr ambitioniertes Programm aufgelegt, um die weitere Zerstörung der Urwälder zu verhindern. In den ersten drei Jahren ging die Urwaldzerstörung tatsächlich zurück. Die Regierung verkaufte den Rückgang der Zerstörung, als Ergebnis ihres Arbeitsplans. Drei Jahre lang feierten sie es als Sieg über die Urwaldzerstörung.
Wir, also Greenpeace, hat die Regierung gewarnt. Wir haben von Anfang an gesagt, die Zerstörung geht nicht aufgrund eurer Pläne zurück, sondern weil die Preise für die entsprechenden Agrargüter weltweit fallen. Jedes Mal wenn die Weltmarktpreise für Soja und Rindfleisch zeitgleich fielen, ging auch die Urwaldzerstörung zurück. Es lässt sich sehr leicht nachvollziehen und auch einfach statistisch nachweisen, dass die Preisentwicklung von Soja und Rindfleisch unmittelbar mit der Zerstörung der Urwälder zusammenhängt. Und genau das war in den Jahren 2004, 2005 und 2006 der Fall. Die Preise für Soja und Rindfleisch gingen zurück.
Es gab viele gute Ansätze im Regierungsprogramm zum Schutze der Urwälder. Beispielsweise sind große Gebiete zu Schutzgebieten erklärt worden. Lulas Regierung hat 900.000 Quadratkilometer Urwald unter Schutz gestellt. Das ist gut und wichtig. Ebenso hat die Regierung verschiedene Aktivitäten gegen illegale Farmer und die illegale Abholzung des Urwaldes unternommen.
Das Vorgehen diente meist der Show. Es sollte die brasilianische Regierung in den Medien in gutem Licht darstellen. Es diente leider weniger dem ernsthaften Urwaldschutz. Es gab einzelne erzieherischen Maßnahmen, also es wurde mal einen Tag was gegen die Urwaldzerstörer gemacht. Aber am nächsten Tag war die Regierung nicht mehr da, doch die Urwaldzerstörer blieben vor Ort. In der Folgezeit konnten sie unbehelligt weiter zerstören.
Vor einigen Wochen haben wir einen Report über die Entwicklung der Urwaldzerstörung in Amazonien veröffentlicht. Er macht deutlich, dass die Regierung beim Schutz des Urwaldes versagt hat. Von ihren ambitionierten Plänen hat sie in den letzten Jahren gerade mal 20 Prozent umsetzen können. Der Rest steht noch aus.
Wir sagen, die Pläne sind gut. Aber die Regierung hat es bislang verpasst, die Pläne erfolgreich umzusetzen. Sie haben drei Jahre verloren, indem sie eine reine Medienshow geliefert haben, anstatt ihre Pläne wirklich umzusetzen.
Martin: Wie war die Reaktion auf euren Report? Was denkst du braucht die brasilianische Regierung an Unterstützung für ihre Pläne?
Paulo: Oh, die Reaktionen auf unseren Report war enorm. Alle wichtigen brasilianischen Zeitungen, Radio- und TV-Sender griffen unseren Report auf. Überall wurde darüber ausführlich berichtet.
Die Regierung selbst war natürlich nicht begeistert über unsere Arbeit. Insbesondere weil wir die Leiterin des Präsidentenbüros angriffen, die für die Koordination der Regierungsarbeit in Amazonien verantwortlich ist. Aber sie hat ihren Job nicht gemacht. Das größte Problem war die mangelnde Koordination der Maßnahmen gegen die Abholzung vor Ort.
Unser Report hat sicher dazu beigetragen, dass sich das internationale Ansehen Brasiliens verändert hat. In Dezember, auf der Klimakonferenz in Bali war das Ansehen Brasiliens noch sehr positiv. Alle gingen davon aus, dass die Regierung die Urwaldzerstörung in Amazonien reduziert hatte. Die Brasilianer traten so auf, als wären sie die, die die Arbeit gegen Urwaldzerstörung und Klimaschutz machten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Anwesenden, insbesondere den reichen Industriestaaten. Diese Sichtweise wurde durch unseren Report korrigiert.
Martin: Wie denkst du, können die europäischen Staaten die brasilianische Regierung unterstützen, um die weitere Zerstörung der Urwälder zu verhindern? Was müssen wir machen?
Paulo: Ich denke, der wichtigste Grund für die Zerstörung der Urwälder, nicht nur in Amazonien sondern weltweit, ist die Globalisierung der Weltökonomie. Die Zerstörung der Urwälder eine Konsequenz des globalen Handels.
Wir brauchen konkrete internationale Vereinbarungen, die den Menschen vor Ort andere Einkommensmöglichkeiten schaffen. Die Menschen in den Urwaldgebieten müssen ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ohne dass sie den Urwald für Soja, Rinderzucht, Biosprit oder Abholzung zerstören müssen. Wir brauchen ein anderes gerechteres ökonomisches System.
Die Länder, die die letzten Urwälder beherbergen, brauchen die Möglichkeit die Bevölkerung anders zu ernähren, als durch die Zerstörung ihrer Urwälder. Das ist kein brasilianisches Problem, sondern gilt für viele andere Staaten mit großen Urwäldern. Es geht um die Zukunft der Menschen dort und um unsere Zukunft. Die Urwälder schützen das Klima weltweit, die Urwälder schützen uns.
Martin: Welche internationalen Vereinbarungen können dabei helfen? Ist es die Klimakonvetion oder ist es die Konvention für die biologische Vielfalt, die im kommenden Mai in Bonn stattfindet?
Paulo: Beide, beide Vereinbarungen sind notwendig. Die Konvention für biologische Vielfalt kann die Arten schützen, nicht nur in Amazonien, sondern weltweit. Die Klimakonvention ist sinnvoll, weil sie Brasilien finanziell helfen kann, den Urwald zu schützen.
In diesem Rahmen diskutieren wir gerade die Gründung eines internationalen Geldfonds zum Schutz der Urwälder. Die eingezahlten Gelder sollen zuerst in den Regionen der letzten noch intakten Urwälder verwendet werden. Also in den Regionen, die am stärksten durch Brandrodungen und Plantagenanbau gefährdet sind: der brasilianische Amazonas, Indonesien und die Länder des Kongobeckens.
Der Fonds sollte sowohl aus öffentlichen als auch aus privaten Geldern gespeist werden. Private Gelder würden bevorzugt aus externen Quellen, z. B. dem Kohlenstoffmarkt, von großen nationalen Firmen oder anderen Investoren kommen. Die öffentlichen Gelder sollten hauptsächlich aus dem Haushalt verschiedener Regierungen stammen.
Zusätzlich müssen wir den Konsum von Gütern, die aus dem Urwald kommen, also Soja, Palmöl, Rindfleisch und Tropenholz reduzieren. Beispielsweise bietet die Rinderzucht, die derzeit für einen Großteil der Zerstörung der Urwälder in Brasilien verantwortlich ist, der Bevölkerung nur wenige Jobs und diese noch mit sehr niedrigem Einkommen. Aber dieser Wirtschaftszweig wächst, weil der globale Konsum von Rindfleisch ständig steigt. Chinas Nachfrage nach Rindfleisch steigt und Europas Nachfrage nach Soja-Futtermitteln steigt. Ebenso sorgt der Anbau von Soja für die Zerstörung großer Teile noch intakten Urwaldes.
Wir brauchen dringen ein internationales Abkommen, das das ungehemmte Wachstum des Landwirtschaftssektors kontrolliert. Denken wir nur an die Diskussion über Agrosprit. Brasilien gehört mit zu den Ländern, die die Technologie für Agrotreibstoffe mit entwickelt haben. Brasilien ist dort führend. Natürlich gibt es ein Interesse davon zu profitieren.
Es besteht ganz konkret die Gefahr, dass alles außer Kontrolle gerät, sollte es keine strikten Regelungen für den Anbau von z. B. Soja oder anderer Agrargüter geben. Die Folge wäre eine massive Abholzung der Urwälder in Brasilien für Biosprit. In Indonesien zeigen sich die Auswirkungen solchen Handelns. Dort werden die Urwälder für Palmölplantagen zerstört. Und Palmöl wird weltweit in Kosmetika, Lebensmitteln und sogenannten Biotreibstoffen eingesetzt. Wir brauchen internationale Vereinbarungen diese Probleme in den Griff zu bekommen.
Martin: Und dies könnte die Konvention über die biologische Vielfalt sein?
Paulo: Sie ist auf jeden Fall wichtig. Eine der großen Diskussionen auf dem Treffen in Bonn wird sich um die Einrichtung von Schutzgebieten drehen. Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt wird die Einrichtung eines internationalen Spendenfonds zum Schutze der Artenvielfalt sein.
Wir glauben, wir brauchen beide Konventionen, also die Klimakonvention und die Konvention über die biologische Vielfalt. Sie helfen uns, unseren Planeten zu retten. Insbesondere wenn beide Konventionen in die gleiche Richtung gehen. Bislang haben einzelne Vereinbarungen, die auf internationaler bzw. UN-Ebene getroffen wurden, nicht ausgereicht. Die Zeit rennt uns davon. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir alle eine Zukunft haben wollen.
Martin: In den nächsten Monaten und Jahren ist also noch viel, viel zu tun. Zum Ende des Interviews möchte ich dir noch ein paar ganz kurze Fragen stellen, die du bitte ganz kurz beantwortest. Wenn du drei Schlüsselwörter für die Probleme in Brasilien hättest, welche wären das?
Paulo: (lacht) Drei Schlüsselwörter? Reduzierung der Urwaldzerstörung auf Null in weniger als zehn Jahren, Gesetze zum Schutz der Urwälder erlassen und Geld für den Schutz der Urwälder zur Verfügung stellen. Also meine drei Schlüsselworte sind: Urwaldschutz, staatliche Kontrolle, Geld.
Martin: Und welche drei Schlüsselwörter beschreiben was dich für Amazonien optimistisch stimmt?
Paulo: (lacht wieder) Erfolg, die Schönheit der Region, Unterstützung für unsere Arbeit.
Martin: Eine letzte, sehr persönliche Frage Paulo. Es ist sehr gefährlich für dich und deine Familie in Amazonien zu leben. Wie gehst du damit um?
Paulo: Momentan ist es relativ sicher, aber in der Vergangenheit war es weitaus gefährlicher für mich und meine Familie. Wir sind sehr vorsichtig, passen genau auf was um uns passiert. Es für uns nach wie vor nicht ungefährlich dort zu leben, aber wir geben acht. Ich will hier jetzt nicht sagen, was wir machen, aber wir passen gut auf.
Martin: Vielen Dank für das Interview, Paulo. Willst du uns noch eine Bitte, einen Wunsch für die Menschen hier mit auf den Weg geben?
Paulo: Ja, Deutschland ist sehr wichtig für Brasilien. Es hat großen wirtschaftlichen Einfluss. Wir brauchen die Unterstützung für den Schutz des Urwaldes. Helft uns, den Urwald zu schützen und macht Druck auf eure Regierung!