Greenpeace findet mit Thiamethoxam behandeltes Zuckerrüben-Saatgut
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Mit Sonderregelungen für Pestizide umgeht die Politik den Insektenschutz, den sie seit Jahren versprochen hat und gefährdet die Biodiversität.
Eigentlich sind Blüten ja eine wunderbare Sache. Sie signalisieren den Menschen, dass es nach den langen grauen Monaten endlich wieder bergauf geht. Und liefern für Insekten eiweißreiche und zuckerhaltige Nahrung. Doch so manche Blüte könnte hierzulande auch zur tödlichen Falle werden, weil sie mit Pestiziden belastet ist.
Sieben Bundesländer haben auf Druck der Zuckerlobby eine Sonderzulassung für das bienengefährdende Neonicotinoid Thiamethoxam beantragt – und vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) auch erhalten. Wozu das führt, zeigt eine Stichprobe von Greenpeace-Aktiven auf Zuckerrüben-Äckern in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Auf acht der neun zufällig ausgewählten Standorte fanden sie mit Hilfe von Laboranalysen mit Thiamethoxam gebeiztes Saatgut, also Saatgut, das vorsorglich mit Pestiziden behandelt wurde. Das Problem: Einen Teil dieses bienengefährdenden Neonicotinoids nimmt die Zuckerrübenpflanze auf. Ein erheblicher Anteil verbleibt aber im Boden. Das bedeutet, das Gift würde sich auch noch in einer Pflanze ausbreiten, die ein Jahr später auf dem Boden gepflanzt wird. Und Blüten dieser Pflanzen könnten den Insekten zum Verhängnis werden. „Das Insektensterben hat dramatische Züge angenommen und dennoch durften Bäuerinnen und Bauern in diesem Jahr auf zigtausenden Äckern in Deutschland besonders gefährliche Pestizide ausbringen“, sagt Christiane Huxdorff, Landwirtschaftsexpertin von Greenpeace.
Heikle Nähe zu Schutzgebieten
In Deutschland landete auf insgesamt 126.900 Hektar mit Thiamethoxam gebeiztes Zuckerrüben-Saatgut, diese Summe ergibt sich, wenn man alle Flächen zusammenzählt, für die eine Sonderzulassung beantragt wurde. „Die Wirkung ist so heftig, dass selbst im kommenden Jahr dort keine Pflanzen blühen sollen“, so Huxdorff. Das zuständige BVL hat deshalb für die Flächen, die mit dem Gift behandelt wurden, ein Blühverbot erlassen. Es gilt für das Jahr der Ausbringung und das Folgejahr. Das heißt, es dürfen keine blühenden Gewächse angebaut werden.
Besonders heikel ist die Sache, weil ein Teil des Saatguts in unmittelbarer Nähe zu Schutzgebieten ausgebracht wurde. „Es ist doch pervers, einerseits mit viel Geld Blühstreifen zu finanzieren, um die Insekten zu retten, und gleichzeitig amtliche Blühverbote auszusprechen, weil man den Einsatz extrem toxischer Substanzen erlaubt hat“, sagt Huxdorff. „Wir benötigen ein umfassendes Insektenschutzpaket mit einem kompletten Verbot von biodiversitätsschädigenden Pestiziden in Schutzgebieten – ohne Sonderregelungen.“
Die Politik darf keine Sonderregelungen zulassen
Am Freitag verhandeln die Agrarminister:innen der Länder mal wieder über das Insektenschutz-Paket. Immer wieder hatten Teile von CDU/CSU auf Druck des Bauernverbandes die Abstimmung torpediert. Ein Problem wird aber auch dadurch nicht gelöst sein: die Möglichkeit der Sonderzulassung für nachweislich bienengefährdende Pestizide in großem Umfang.
Thiamethoxam und die ebenfalls bienengefährdenden Stoffe Clothianidin und Imidacloprid sind seit 2018 in der EU für den Einsatz auf dem Acker verboten. Doch viele EU-Länder umgehen das Verbot durch sogenannte „Notfallzulassungen“, die den zeitlich befristeten Einsatz verbotener Mittel erlaubt. In diesem Jahr gab es diese erstmals in Deutschland für das Beizen von Zuckerrüben-Saatgut.
Die deutschen Zuckerrübenanbauer fühlen sich schon seit Jahren benachteiligt. Der Wegfall der EU-Zuckerquote führte zu einem starken Preisverfall. Ernteausfälle durch Schädlinge können sich die landwirtschaftlichen Betriebe nicht mehr leisten. Die Zuckerfabriken von Nordzucker und Südzucker sind auf die Rübenbauer aus der Region angewiesen. Aus logistischen Gründen beziehen sie ihre Rohstoffe nur von Anbietern, die nicht weiter als 300 Kilometer entfernt sind.
Die Notfallzulassung für Zuckerrübensaatgut, das mit Thiamethoxam gebeizt wurde, ist ein Versuch, die Infrastruktur des Zuckerrübengeschäfts aufrecht zu erhalten. Allerdings auf Kosten der Natur. Und es ist zu befürchten, dass die Sonderzulassung von Neonicotinoiden auch in den kommenden Jahren keine Ausnahme bleibt, sondern der Normalfall wird. „Das darf die Politik nicht zulassen“, sagt Huxdorff.
Deshalb fordert Greenpeace,
- dass künftig keine Sonderzulassungen für bienengefährdende Pestizide ausgestellt werden.
- dass die Politik ein umfassende Insektenschutzprogramm beschließt, das ein Verbot von biodiversitätsschädigenden Pestiziden in Schutzgebieten beinhaltet, die Festlegung verbindlicher Gewässerrandstreifen und die Erweiterung der gesetzlich geschützten Biotope
- eine Transparenzdatenbank für den Einsatz von Pestiziden (inklusive gebeizten Saatguts)
- die Einführung einer Pestizidabgabe