Gefährliche Keime in der Gülle: Interview mit Dirk Zimmermann
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Mit jedem antibiotikaresistenten Keim, der in die Umwelt gelangt, steigt das Risiko, dass wir die wichtigste Waffe im Kampf gegen Infektionen verlieren, warnt Dr. Dirk Zimmermann, Greenpeace-Agrarexeperte.
Über Gülle aus Schweineställen gelangen antibiotikaresistente Keime und Antibiotika großflächig in die Umwelt. Die Ergebnisse einer aktuelle Analyse von Greenpeace werfen ein Schlaglicht auf diese besorgniserregende Entwicklung: In zwölf von 15 Gülleproben aus landwirtschaftlichen Betrieben in fünf Bundesländern konnte ein unabhängiges Labor antibiotikaresistente Keime nachweisen. Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Dirk Zimmermann erklärt im Interview, was droht, wenn Antibiotika ihre Wirkung verlieren und welchen Beitrag eine bessere Tierhaltung leisten kann, um die Risiken zu vermindern.
Was macht Keime mit Resistenzen gegen Antibiotika in der Gülle gefährlich für den Menschen?
Jede Antibiotika-Resistenz bringt uns einem “postantibiotischen Zeitalter” näher, in dem Antibiotika ihre Wirkung weitgehend verloren haben. Wir müssen alles unternehmen, damit dieses schreckliche Szenario, vor dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit langem warnen, so nicht eintritt. Mit jeder Resistenz steigt das Risiko, dass wir die wichtigste Waffe im Kampf gegen viele gefährliche Infektionskrankheiten verlieren. Und mit jedem resistenten Keim, der mit der Gülle auf den Acker und damit in die Umwelt gelangt, wächst die Gefahr, dass sich Menschen damit infizieren und dass diese Infektionen nur schwer behandelbar sind. Deshalb muss in der Tiermedizin ebenso wie in der Humanmedizin sehr viel sorgfältiger mit Antibiotika umgegangen werden. Dies betrifft vor allem die besonders wichtigen Wirkstoffe. Dass wir in elf Proben Keime mit Resistenz gegen das Reserve-Antibiotikum Colistin gefunden haben, ist sehr bedenklich. Denn die sogenannten Reserve-Antibiotika sollten besonders umsichtig eingesetzt werden, damit sie als letztes Mittel gegen Krankheiten erhalten bleiben, wenn andere Antibiotika nicht mehr wirken.
Wie konnten die antibiotika-resistenten Keime in die Gülle gelangen?
Diese Frage lässt sich mit den Labor-Analysen nicht mit letzter Gewissheit beantworten. Wir müssen aber davon ausgehen, dass sie aus den Ställen der Betriebe stammen, in deren Güllelager die untersuchten Proben genommen wurden. Bei den Keimen handelt es sich um Darmbakterien, die immer in Gülle zu finden sind. Die sind an sich meist nicht problematisch. Zur besonderen Gefahr werden sie durch die Antibiotika -Resistenzen. Resistenzen können grundsätzlich immer entstehen, wenn Antibiotika eingesetzt werden. Deshalb sollten diese Arzneimittel nur gezielt und genau dosiert verordnet werden. Statt so nur einzelne erkrankte Tiere zu behandeln, wird aber in den beengten Ställen in der industriellen Tierhaltung oftmals auch gesunden Tiere vorsorglich Antibiotika über das Futter oder Wasser verabreicht. Mit diesem massenhaften Einsatz von Antibiotika, die wir auch in den Proben nachweisen konnten, steigt das Risiko, dass sich Resistenzen bilden.
Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung ist in den vergangenen Jahren aber deutlich zurückgegangen. Ist damit zu rechnen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt?
Tatsächlich wurden die Mengen der an Tierärzte abgegebenen Antibiotika reduziert, das ist durchaus eine positive Entwicklung. Dieser Trend hat sich in den vergangenen Jahren jedoch wieder abgeschwächt, vor allem bei einigen besonders wichtigen Antibiotika. Es wäre noch viel mehr möglich, wenn die Haltungsbedingungen endlich verbessert und die Tiere nicht länger auf engstem Raum zusammengepfercht würden. Dass dann eine gezielte Behandlung erkrankter Tiere mit einem weitaus geringeren Einsatz von Antibiotika möglich wäre, zeigt sich in der ökologischen Landwirtschaft: Hier bilden sich deutlich weniger Antibiotika-Resistenzen
Wie können sich antibiotika-resistente Keime in der Umwelt verbreiten, wenn sie mit der Gülle auf den Äckern verteilt werden - und wie können sie auf Menschen übertragen werden?
Die Keime werden bereits mit dem Staub aus den Ställen oder bei der Lagerung der Gülle über die Luft in die Umwelt getragen. Mit der Ausbringung auf den Äckern, werden sie noch weiter verteilt. Sie gelangen in Böden und Gewässer, zu Wildtieren, aber auch auf Getreide oder Gemüse und damit in die Lebensmittelerzeugung. Jeder Kontakt kann zu einer Übertragung führen, das gilt ebenso für den direkten Kontakt mit den Tieren. Und schließlich verbreiten sich die Resistenzen, indem sie von den resistenten Keimen auf andere Bakterien übertragen werden. Unsere Probenahmen werfen nur ein Schlaglicht auf diese besorgniserregende Entwicklung, die dringend systematisch beobachtet werden müsste. Deshalb sollten Antibiotika und multiresistente Keime in der Umwelt dringend einem bundesweiten,einheitlichen Monitoring unterworfen werden.
Ist die Entstehung multiresistenter Keime durch zu leichtfertige Verschreibung von Antibiotika in der Humanmedizin nicht das viel gravierendere Problem?
Der übermäßige Einsatz von Antibiotika ist immer ein Problem - egal, ob bei Mensch oder Tier. Deshalb müssen alle Sektoren im Sinne des “One-Health”-Konzeptes, dem sich auch die deutsche Regierung verpflichtet hat, maximale Anstrengungen unternehmen, um diese gefährliche Entwicklung zu stoppen. Da hilft es nicht, mit dem Finger aufeinander zu zeigen und Verantwortung hin und her zu schieben. Tierhaltung und Humanmedizin sitzen letztlich im gleichen Boot, schließlich sind beide auf wirksame Antibiotika angewiesen.
Derzeit erleben wir, wie der neue Corona-Virus SARS-CoV-2 sich um den Globus verbreitet. Wächst mit der Verbreitung antibiotika-resistenter Keime die Gefahr, das uns im Kampf gegen Pandemien wichtige Arzneimittel fehlen, weil Antibiotika ihre Wirkung verlieren?
Ja, das ist ein großes Risiko, das wir sehr ernst nehmen sollten. Im Falle des neuartigen Corona-Virus ist der Zusammenhang allerdings bislang nicht wissenschaftlich fundiert belegt - und gegen das Virus selbst wirken Antibiotika natürlich ohnehin nicht. Es gibt zwar erste Hinweise, dass Resistenzen die Behandlung von an COVID-19 Erkrankten mit sekundären Infektionen erschwert haben könnten - etwa bei bakteriell hervorgerufenen Lungenentzündungen. Aber wir sollten hier keine voreiligen Schlüsse ziehen. Sicher ist: Antibiotika sind im Kampf gegen Pandemien unverzichtbar. Das gilt für bakterielle Sekundärinfektionen und natürlich erst recht für bakterielle Krankheiten, wie etwa Tuberkulose, bei denen Antibiotika direkt zur Behandlung benötigt werden. Mit der Verbreitung von Resistenzen ist die Wirksamkeit dieser lebenswichtigen Arzneimittel in Gefahr.
Was fordert Greenpeace?
Es muss Schluss sein mit der beengten Tierhaltung, bei der Tiere schneller krank werden und wo gleich ganzen Gruppen von Tieren Antibiotika verabreicht werden, obwohl nur einzelne Tiere erkrankt sind. Wir brauchen Bedingungen in den Ställen, die Tiere gesund halten und eine gezielte Behandlung ermöglichen. Das kann nur mit einem Ausstieg aus der industriellen Tierhaltung gelingen, die überdies für eine ganze Reihe von Umweltproblemen verantwortlich ist - von hohen Treibhausgasemissionen bis hin zu Wasser- und Luftverschmutzung mit Nitraten und Ammoniak.
Und wir müssen unsere Konsumverhalten ändern. Denn unser Hunger auf Fleisch zerstört wertvolle Ökosysteme, weil immer mehr Flächen für den Anbau von Futtermitteln benötigt werden. Das ist eine verhängnisvolle Entwicklung, vor der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenfalls schon seit langem warnen - nicht zuletzt, weil mit den schwindenden Naturräumen Menschen und Wildtiere sich immer näher kommen und zudem der Verlust von Artenvielfalt das Risiko erhöht, dass Erreger wie SARS-CoV-2 Tieren auf Menschen übertragen werden und so neue Pandemien ausgelöst werden könnten.
Greenpeace-Report: Gefahr vom Acker - Antibiotikaresistente Keime und Antibiotika in der Gülle_2020
Anzahl Seiten: 22
Dateigröße: 1.45 MB
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