Nationalpark und Welterbe Kellerwald: Das Reich der alten Buchen
- Hintergrund
Nach langjährigem Einsatz von Greenpeace und anderen Umweltgruppen erklärte Hessen 2004 seinen Kellerwald am Edersee zum Nationalpark – eine goldrichtige Entscheidung: Seit 2011 trägt das Naturkleinod mit vier weiteren deutschen Buchenwäldern zusätzlich den Titel UNESCO-Welterbe.
Die Geschichte vom Schicksal des Kellerwaldes ist lang und hat ein märchenhaftes Happy-End: Schon in den vergangenen drei Jahrhunderten wurde im Kellerwald glücklicherweise kaum Forstwirtschaft betrieben. Wild braucht Wald: Bis 1918 war der Wald das Jagdrevier des Fürstentums Waldeck-Pyrmont, später Staatsjagdgebiet des Freistaates Preußen und ab 1945 des Bundeslandes Hessen. 1963 wurden rund 4.800 Hektar des Kellerwaldes zum "Wildschutzgebiet" erklärt – dann 1990 in ein kombiniertes Landschafts- und Naturschutzgebiet umgewandelt. Doch damit war der Kellerwald noch nicht umfassend geschützt.
Er gehört zu den letzten großen, weder von Straßen noch von Siedlungen zerschnittenen Buchenwäldern Mitteleuropas – und ist damit ein Naturschatz von Weltrang. Die Buche dominiert stark, Gesellschaft leisten ihr Eichen, Linden, Eschen, Bergahorn und andere Edellaubbäume. Das Gebiet ist teils sanfthügelig, teils felsig steil und reich an Wasser: Im Norden schlängeln sich die blaugrüne Eder und der Ederstausee durch den Wald, etwa 800 Quellen vereinen sich zu sprudelnden Bächen.
Nachdem der BUND Hessen bereits 1986 einen Nationalpark angeregt hatte, erarbeitete die Initiative "Pro Nationalpark" 1991 einen konkreten Vorschlag für den Kellerwald. Es folgte ein jahrelanges Hin und Her auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, Befürworter und Gegner hielten sich ungefähr die Waage. 1998 meldete die rot-grüne Landesregierung 5.724 Hektar des Kellerwaldes für das Netzwerk NATURA 2000 als FFH- und Vogelschutzgebiet an, auf Forstwirtschaft sollte fortan verzichtet werden. Auch ein Nationalpark wurde beschlossen. Doch die 1999 gewählte CDU-Landesregierung unter Ministerpräsident Roland Koch hob diesen Beschluss einfach wieder auf – ebenso ein Einschlagmoratorium für Laubbäume. Nicht einmal uralte Buchenriesen wurden verschont.
Jetzt schritt Greenpeace ein und startete eine Kampagne. Gemeinsam mit dem BUND, NABU und anderen Umweltverbänden protestierte Greenpeace gegen den Holzeinschlag und forderte: "Das Beste für Natur und Region: Nationalpark Kellerwald" – Greenpeace-Aktivisten hängten diesen Aufruf an die Edertalsperre. Als Greenpeace im Herbst 2000 ein Rechtsgutachten veröffentlichte, verhängte das hessische Umweltministerium notgedrungen erneut einen Einschlagsstopp für alle Laubbäume innerhalb des FFH-Gebiets.
Im Jahr darauf richteten sie zwar einen 40.000 Hektar großen Naturpark Kellerwald-Edersee (inklusive Kellerwald) ein. Doch bis das große Ziel der Umweltschützer erreicht war, gingen weitere dreieinhalb Jahre ins Land. Mit den Sylvesterknallern zum Jahreswechsel 2004 durfte dann endlich ein neuer Nationalpark Kellerwald-Edersee gefeiert werden. 5.724 Hektar Buchenwald (das bestehende FFH-Gebiet) sind seitdem vor der Säge und anderen Zerstörungen und Störungen sicher.
Genau handelt es sich beim Kellerwald um einen bodensauren Hainsimsen-Buchenwald auf Tonschiefer und Grauwacke, Gesteine, die vor rund 350 Millionen Jahren aus den Sedimenten urzeitlicher Meere entstanden sind. Auf den kargen Böden unter schattigen Buchenkronen wachsen Überlebenskünstler wie Weiße Hainsimse, Heidelbeere und Drahtschmiele.
Durch einen großen Alt- und Totholzanteil im Wald konnten sich viele seltene Arten ansiedeln und halten: Der Schwarzspecht etwa, eine elegante Erscheinung mit dunklem Mantel und roter Haube, legt seine Bruthöhlen am liebsten in alten Buchenstämmen an. Der Eremit-Käfer lebt ebenfalls im Inneren alter Laubbäume. Noch so ein Urwaldgeschöpf ist der Ästige Stachelbart: Der Pilz mit korallenähnlichem Fruchtkörper wächst auf morschem Holz.
Durch den Wald streifen Rothirsche, Rehe und Wildschweine, auch Luchse und Wildkatzen wurden gesichtet. Über den Baumwipfeln kreisen Schwarzstörche, Rotmilane, Uhus und Wespenbussarde. Die Vielfalt ist sagenhaft. So ergab eine Waldinventur unter anderem an verschiedenen Arten: 6 Spechte, 15 Fledermäuse, 19 Libellen, 28 Heuschrecken, 72 Weichtiere, 225 Schwebfliegen, 854 Schmetterlinge und 909 Käfer. Die Pflanzen- und Pilzwelt umfasst nach aktuellem Stand etwa 280 Flechtenarten, 307 Moosarten, 560 verschiedene Farn- und Blütenpflanzen und 604 Pilze.
2011 erhielt der Kellerwald seine zweite bedeutende Auszeichnung: als UNESCO-Welterbe. Mit dem Grumsiner Forst, dem Nationalpark Jasmund, dem Serrahner Buchenwald im Müritz-Nationalpark und dem Nationalpark Hainich ist er nun Teil des grenzüberschreitenden Naturerbes "Buchenurwälder der Karpaten und alte Buchenwälder Deutschlands".
Jetzt kommen immer mehr Touristen, um die urigen Buchen zu sehen – und zu erleben, wie das Gebiet stetig wilder und schöner wird. 20 idyllische Wanderwege durchziehen den Wald. Auf dem "Urwaldsteig" kommt man an einigen der ältesten Buchen vorbei, über 300 Jahre alte knorrige, runzlige Gestalten, die sich an Felshänge krallen. Wenn sie sprechen könnten, sie hätten viel zu erzählen von einer bewegten Vergangenheit – und einer glücklichen Zukunft.
(Autorin: Nicoline Haas)