Auch im Wald: Die Natur, Natur sein lassen
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Dr. Hans Bibelriether ist Forstwissenschaftler und ehemaliger Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, der sich unter seiner Leitung zu einem international herausragenden und bekannten Großschutzgebiet entwickelte. Im Interview erklärt er, was ein naturbelassener Wald einem Wirtschaftswald voraus hat. Hier ein Auszug.
Redaktion: Natur Natur sein lassen lautet die Philosophie im Nationalpark Bayerischer Wald. Was steckt dahinter?
Hans Bibelriether: Wir haben uns in den 70er und 80er Jahren in anderen Ländern und Kontinenten umgesehen. Es wurde deutlich, dass sich die Natur, und das ist inzwischen international geregelt, in Nationalparken nach ihren eigenen Gesetzen entwickeln soll. Ende der 80er Jahre habe ich dieses Ziel in den Satz Natur Natur sein lassen, zusammengefasst.
Redaktion: Wie unterscheiden sich Wälder, in denen nachhaltige Nutzung stattfindet, von denen, die sich selbst überlassen sind?
Hans Bibelriether: Wirtschaftswälder sind gleichaltriger und jünger als Naturwälder, Totholz ist kaum vorhanden und der Waldboden wird großflächig durch Großmaschineneinsatz massiv geschädigt. Naturwälder sind artenreicher, standortsangepasster, differenzierter und stabiler.
Das Problem ist, dass durch die Forstwirtschaft die Wälder in den letzten 200 Jahren so verändert wurden, dass sie sehr anfällig gegen Klimaänderungen, gegen Sturmwürfe, Schneebruch oder Schädlingsbefall geworden sind. Die heutigen Wälder, auch wenn das von den Forst- und Holzorganisationen ständig behauptet wird, haben nicht mehr die Stabilität von natürlichen Wäldern.
Redaktion: Wäre es nicht möglich, Mischwälder gezielt so anzulegen, dass sie dem Klimawandel standhalten können?
Hans Bibelriether: Theoretisch ja, in der Praxis kaum, denn ob die Bäume, die gepflanzt werden, in 100 Jahren dem veränderten Klimaverhältnissen standhalten, weiß niemand. Man sollte die Waldverjüngung so weit wie möglich der Natur überlassen. Die Natur kann die Anpassung besser. Ich habe das einmal so formuliert: Windwurf, Schneebruch und Borkenkäfer sind Methoden der Natur, aus instabilen Försterforsten stabile Naturwälder zu machen.
Redaktion: Greenpeace fordert, 10 Prozent der öffentlichen Wälder vollständig aus der Nutzung zu nehmen, wie es auch die Nationale Biodiversitätsstrategie vorsieht. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Hans Bibelriether: Diesen Beschluss der Regierung finde ich richtig! Er wird nur noch nicht umgesetzt. Stattdessen soll der Holzeinschlag um 30 Millionen Kubikmeter pro Jahr in Deutschland erhöht werden. Das geht in die falsche Richtung.
Redaktion: In Ihrem eben erschienenen Artikel Außer Spesen nichts gewesen! Deprimierende Bilanz zum Internationalen Jahr der Wälder! sprechen Sie davon, dass die Öffentlichkeit belogen wird. Was meinen Sie damit?
Hans Bibelriether: Es wird von Forstfunktionären behauptet, dass der naturnahe Wirtschaftswald alle Funktionen, wie den Schutz der höchsten Artenvielfalt und den besten Beitrag zum Klimaschutz, erfüllt. Das ist nicht der Fall. Ließe man Naturwälder wachsen, würden sie mindestens doppelt so viel Holzvorräte anreichern wie Wirtschaftsforste, in denen die Bäume spätestens im Alter von 100 bis 130 Jahren gefällt werden. In Naturwäldern werden die Bäume 400 bis 600 Jahre alt. Das Durchschnittsalter in deutschen Wäldern liegt derzeit bei 77 Jahren.
Redaktion: Auch bezüglich der Bayerischen Staatsforsten und der Bayerischen Landespolitik bezüglich der öffentlichen Bürgerwälder halten Sie sich mit Kritik nicht zurück. Was ist Ihre zentrale Kritik?
Hans Bibelriether: Es wird ständig behauptet, dass naturnah gewirtschaftet wird, aber Tatsache ist, und das hat Greenpeace ja auch im Spessart festgestellt, dass Buchen gefällt und stattdessen Douglasien gepflanzt werden.
Es darf nicht generell um ein Entweder-oder gehen, also überall naturnahe Forstwirtschaft zu betreiben und keine Naturwälder zuzulassen, sondern es geht um ein Sowohl-als auch. Naturwälder sollten auf ein paar Prozent der Landesfläche zugelassen werden. Auf über 90 Prozent der Fläche sollen naturnahe Wirtschaftswälder gepflegt werden, die Holz produzieren.