Freiwillige von Greenpeace und Verein Jordsand sammeln Plastik auf Nordseeinseln
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Alles so schön sauber hier: In deutschen Badeorten wird das Müllproblem in den Meeren mit großem Aufwand kaschiert. Doch wie sieht es dort aus, wo keine Touristen ihr Handtuch ausbreiten, etwa auf Scharhörn und Nigehörn? „Anders als an Urlaubsstränden wie auf Sylt und in Büsum wird hier nicht der Strand geharkt“, sagt Schutzgebietsbetreuerin Imme Flegel vom Verein Jordsand. Rund vierzig Freiwillige räumen darum heute auf den beiden unbewohnten Inseln den Strand auf – denn die sind keine Ferienziele für Badetouristen, sondern wichtige Vogelschutzgebiete in der Nordsee.
Scharhörn und Nigehörn liegen in der strengsten Schutzzone des Nationalparks Hamburgisches Wattenmeer, doch der Strand ist weit dreckiger als an den meisten Küsten mit Publikumsverkehr. Schiffe hinterlassen Plastikabfälle im Meer, die auf den Nordseeinseln angeschwemmt werden. Gerade Fischereimüll ist ein großes Problem für die hier nistenden Vögel: Aus Netzresten bauen etwa Kormorane ihre Nester, doch für die Jungtiere wird das unnachgiebige Material häufig zur Todesfalle. Sie verheddern sich in den Plastikschnüren und strangulieren sich selbst.
Verantwortung ist gut, Gesetze sind besser
Andere Vögel fressen, was am Strand angespült wird. „Wir finden häufig tote Eissturmvögel, deren Mägen mit vielen bunten Plastikteilen verstopft sind“, sagt Flegel. „Sie verhungern auf diese Weise mit vollem Magen.“ Auf Scharhörn und Nigehörn zeigt sich ungeschönt, wie Plastik im Meer das Leben an Land beeinträchtigt – und mitunter beendet. Bis zu 13 Millionen Tonnen Plastikabfälle gelangen pro Jahr von Land in die Meere, der überwiegende Teil davon wird nie wieder zu entfernen sein. Das Umweltbundesamt schätzt, dass auf dem Meeresgrund der Nordsee rund 600.000 Kubikmeter Müll liegen.
Kunststoffabfall, der ins Meer gelangt, wird nicht einfach abgebaut: Er wird lediglich kleiner – sehr viel kleiner. Zu sogenanntem Mikroplastik zerrieben treibt er über hunderte von Jahren in den Ozeanen und wirkt wie ein Magnet für Giftstoffe. Fische können die schadstoffhaltigen Plastikkrümel für Futter halten – und der Abfall, der ins Meer gekippt wurde, landet letztlich in der Nahrungskette.
Jede und jeder kann für sich selbst prüfen, wie viel Plastik im Alltag tatsächlich notwendig ist – damit die Meere entscheidend sauberer werden, muss allerdings viel früher eingegriffen werden. „Grundsätzlich müssen politische Lösungen her“, sagt Lisa Maria Otte, Greenpeace-Expertin für Meere. Deutschland verbraucht einen Großteil des in Europa produzierten Plastiks: rund ein Viertel der Gesamtmenge. Da reicht es nicht, alleine an die Verantwortung der Verbraucher zu appellieren, es muss von vornherein weniger Plastik produziert werden..
Kontrollieren und Sanktionieren
Vermeidbar sind auch Unmengen des für die Vögel besonders gefährlichen Fischereimülls. Bis zu 25.000 Fischernetze landen laut einer Studie der Welternährungsorganisation FAO jährlich in europäischen Meeren. Zwar gibt es eine gesetzliche Regelung, die besagt, dass verlorengegangene Schlepp- oder Stellnetze gemeldet werden müssen. Genau nachvollziehen lassen sich Verstöße dagegen aber nicht. Greenpeace fordert daher von Fischereiminister Christian Schmidt, Maßnahmen zu schaffen, die diesen Verlust von Netzen und Fischereigerät in der Nord- und Ostsee kontrollieren und sanktionieren. Möglich wäre das etwa mit Peilsendern, die es erlauben, verlorene Netze zu orten und dann zu bergen – bevor sie Strände verschmutzen oder als Geisternetze weiteres Unheil anrichten.
Die Momentaufnahme von Scharhörn ist erschreckend: „Die vielen Plastik-Kanister, PET-Flaschen, Bojen und Netzreste aus der Fischerei mitten im abgelegenen Vogelschutzgebiet machen das Ausmaß des weltweiten Problems sichtbar“, sagt Lisa Maria Otte. „Diese Inseln bestehen praktisch aus Müll. Würde man im Sand graben, könnte man Schicht für Schicht den Müll der letzten Jahrzehnte finden.“ Nach der Aufräumaktion ist auch hier oberflächlich für kurze Zeit der Strand sauber. Aber so wird er leider nicht bleiben. Damit Müllsammeln auf Scharhörn keine vergebene Liebesmüh ist, darf Plastik gar nicht erst ins Meer gelangen. Hinterherräumen kann keine Lösung sein; die muss bereits an den unglaublichen Mengen von weltweit produziertem Plastik – derzeit etwa 300 Millionen Tonnen pro Jahr – ansetzen.