
Bikini-Atoll: Die Atomtests und ihre Folgen bis heute
- mitwirkende Expert:innen Heinz Smital
- Hintergrund
1985 evakuiert Greenpeace mit der Rainbow Warrior 300 Menschen von dem zu den Marshallinseln gehörenden Rondelap-Atoll. Die traumhaft schöne Insel war von den Atomtests auf den naheliegenden Bikini-Atoll radioaktiv belastet, die Menschen gesundheitlich beeinträchtigt. Dieses Jahr kehrt Greenpeace nach 40 Jahren mit der neuen Rainbow Warrior auf die Marshallinseln zurück, macht Strahlenmessungen und fordert Gerechtigkeit für die Überlebenden der Atomtests.
Ein Paradies missbraucht als Atomtestgelände
Mitten im vermeintlichen Inselparadies des Pazifiks hallen die Nachwehen eines großen Menschheitsverbrechens des 20. Jahrhunderts bis heute nach: Zwischen 1946 und 1958 führten die USA auf den Marshallinseln, auf dem Enewetak- und dem Bikini-Atoll, insgesamt 67 Atombombentests durch – mit verheerenden Folgen.
Project 4.1 – Die Marshalles:innen als menschliche Versuchskaninchen
Eines der schockierendsten Kapitel der Atomtests auf den Marshallinseln war das geheime US-Forschungsprojekt Project 4.1. Ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung wurden die Bewohner:innen von Rongelap und Utirik nach der Castle-Bravo-Detonation von US-amerikanischen Wissenschaftler:innen als menschliche Versuchskaninchen für die Auswirkungen radioaktiver Strahlung missbraucht. Statt die betroffenen Menschen sofort zu evakuieren oder medizinisch zu versorgen, beobachteten US-amerikanische Ärzt:innen stattdessen die langfristigen gesundheitlichen Folgen der Atomtests:
- Krebs, insbesondere Schilddrüsenkrebs und Leukämie
- Genetische Schäden, die noch heute – Generationen später – auftreten
- Fehlgeburten und schwerwiegende Fehlbildungen bei Neugeborenen
Die Betroffenen wussten jahrelang nicht, dass sie Teil eines menschenverachtenden Experiments waren. Erst Jahrzehnte später enthüllten geheime Dokumente das wahre Ausmaß dieser unethischen Forschung. Die USA haben sich bis heute nicht offiziell dafür entschuldigt.
Greenpeace auf den Marshall Islands 2025

© USDE
Die Sprengkraft der Wasserstoffbombe Castle Bravo war 1.000 mal stärker als die von Hiroshima. Zeitzeug:innen beschreiben die Explosion als Aufgehen einer zweiten Sonne.
Besonders zerstörerisch war die Explosion von Castle Bravo am 1. März 1954 auf dem Bikini-Atoll:
- Die stärkste jemals gezündete Wasserstoffbombe der USA hatte eine Sprengkraft von 15 Megatonnen TNT – das entspricht etwa 1.000 Hiroshima-Bomben.
- Der radioaktive Fallout kontaminierte nicht nur das Testgebiet, sondern auch bewohnte Inseln wie Rongelap und Utirik.
- Die Marshalles:innen wurden zwangsweise umgesiedelt, viele erkrankten an Krebs. Fehlgeburten stiegen stark an und Babys kamen mit schwersten Fehlbildungen zur Welt – darunter sogenannte „Jellyfish Babies“, die mit durchsichtiger Haut geboren wurden und kurz nach der Geburt starben.
- Bis heute sind Teile des Bikini-Atolls unbewohnbar.
Greenpeace und der Widerstand der Marshalles:innen
Doch die Marshalles:innen haben sich nie ihrem Schicksal ergeben. Im Jahr 1985 baten die Bewohner:innen von Rongelap Greenpeace um Hilfe: Sie waren zurückgekehrt, weil ihnen von den US-Behörden versichert worden war, dass es dort sicher sei – eine Lüge mit fatalen Folgen. Denn ihre Insel war nach Jahrzehnten radioaktiver Verseuchung noch immer unbewohnbar. Greenpeace-Aktive unterstützten die Bewohner:innen, segelten mit der "Rainbow Warrior" in einer humanitären Mission nach Rongelap, evakuierten über 300 Menschen und brachten sie mitsamt ihren Besitztümern – sogar mit ihren Häusern – auf sicherere Inseln.
Der Widerstand gegen Atomtests im Pazifik hatte einen hohen Preis. Nur wenige Monate später, am 10. Juli 1985, wurde die "Rainbow Warrior" im Hafen von Auckland, Neuseeland, von französischen Geheimagenten mit Sprengsätzen versenkt – ein brutaler Versuch, Greenpeace zum Schweigen zu bringen. Frankreich wollte um jeden Preis verhindern, dass Greenpeace weiterhin gegen seine Atomtests im Pazifik protestierte, insbesondere gegen die geplanten Tests auf Moruroa. Beim Anschlag starb der Greenpeace-Fotograf Fernando Pereira. Doch Frankreichs Plan, den Widerstand zu ersticken, scheiterte. Statt Angst wuchs die Entschlossenheit. Die Marshalles:innen und Greenpeace blieben vereint – für Gerechtigkeit, Umweltschutz und eine Zukunft ohne nukleare Verwüstung.
Greenpeace auf Rongelap 1985
Haben die USA Verantwortung für die Atomtests übernommen?
Die USA haben ihre Verantwortung für die 67 Atomtests auf den Marshallinseln zwar offiziell anerkannt, doch die bisherigen Entschädigungen sind völlig unzureichend.
1986 wurde das Compact of Free Association (COFA) unterzeichnet, in dem die USA eine Entschädigung von 150 Millionen US-Dollar zusagten. Zum Vergleich: Allein im Jahr 2023 beliefen sich die Militärausgaben der USA auf rund 916,9 Milliarden US-Dollar. Später wurde ein Treuhandfonds von 244 Millionen US-Dollar für die Betroffenen eingerichtet – doch das Geld reichte bei weitem nicht aus:
- Viele Betroffene erhielten nur Bruchteile der versprochenen Zahlungen.
- Viele Krebsopfer und ihre Familien warten bis heute auf ausreichende Kompensationen für ihre Behandlungskosten und eine offizielle Entschuldigung der USA.
- Die Kosten für medizinische Versorgung, Umsiedlung und der Verlust an bewohnbarem Land übersteigen die gezahlten Beträge um ein Vielfaches.
Die Marshallinseln fordern bis heute eine vollständige Entschädigung und eine offizielle Anerkennung der an ihnen begangenen Verbrechen.
Auch Klimakrise und Tiefseebergbau bedrohen die Marshallinseln
40 Jahre nach der Umsiedlung von Rongelap ist der Kampf der Marshalles:innen für Gerechtigkeit noch immer nicht vorbei. Ihre Inseln stehen heute vor einer neuen existenziellen Bedrohung: der Klimakrise. Steigende Meeresspiegel könnten ganze Atolle verschlucken. Zudem bedroht der Tiefseebergbau (auch bekannt als Deep Sea Mining) die empfindlichen Ökosysteme des Pazifiks.
Doch die Marshalles:innen wehren sich auch diesmal – sie sind globale Vorreiter:innen für Klimagerechtigkeit. Sie kämpfen auf internationalen Klimakonferenzen wie der COP für ambitionierte Klimaziele, setzen sich gegen die industrielle Ausbeutung der Meere ein und lassen nicht zu, dass ihre Geschichte vergessen wird.
Greenpeace steht mit unabhängigen Strahlenmessungen sowie einer breit angelegten Aufklärungskampagne an ihrer Seite.
Q&A – Wichtige Fragen und Antworten zur Geschichte der Marshallinseln
1. Warum wurde das Enewetak- und das Bikini-Atoll der Marshall Islands für Atomtests ausgewählt?
Die USA nutzten ihre Rolle als internationale “Verwalter” der Marshall Islands nach dem zweiten Weltkrieg brutal aus. Enewetak - und das Bikini-Atoll auf den Marshallinseln wurden als Testgebiet für Atombomben genutzt, weil sie zum einen sehr abgelegen und dünn besiedelt waren und zum anderen die Bevölkerung damals nicht in der Lage war, sich gegen die übermächtige USA zur Wehr zu setzen. Die USA ignorierten die Existenz der indigenen Bevölkerung, deren Kultur, deren Heimat und Gesundheit, die durch die Tests zerstört wurde.
2. Welche Folgen hatten die Atomtests für die Menschen auf den Marshallinseln?
Die Tests führten zu radioaktiver Verseuchung, Krebs, genetischen Schäden und Zwangsumsiedlungen. Viele Betroffene litten an Fehlgeburten und schweren Fehlbildungen. Die Nahrungsmittelversorgung wurde problematisch, weil Anbauflächen auf den Atollen im Fallout-Bereich der Atombombentests verseucht wurden und weil es auf den Inseln, auf die die Menschen umgesiedelt wurden, häufig kein ausreichendes Nahrungsmittelangebot gab.
3. Was ist Project 4.1 und warum ist es so umstritten?
Project 4.1 war eine geheime US-Studie, die die Strahlenbelastung an den Marshalles:innen untersuchte, ohne deren Wissen oder Einwilligung. Die Betroffenen wurden als menschliche Versuchskaninchen missbraucht.
4. Warum ist Greenpeace zu den Marshallinseln zurückgekehrt?
Greenpeace kehrt auf Einladung der Regierung der Marshallinseln zurück, um des 40. Jahrestages der Umsiedlung von Rongelap zu gedenken, Strahlenmessungen durchzuführen, unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen zu befördern und die Forderungen der Marshalles:innen nach Gerechtigkeit global sichtbar zu machen.