
Marshallinseln: Greenpeace-Schiffstour für Gerechtigkeit
- Ein Artikel von Ildiko Reiser
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Die Rainbow Warrior III kreuzt derzeit durch die Marshallinseln. So soll der Atomtests gemahnt, die Langzeitfolgen erforscht und für Gerechtigkeit gekämpft werden.
Ein Schiff lässt sich versenken, den humanitären Geist von Greenpeace nicht. Auf Einladung der Bewohner:innen der Marshallinseln ist das Greenpeace-Flagschiff Rainbow Warrior III gegenwärtig bis zum 26. April auf Gewässern rund um die Marshallinseln unterwegs. Die Mission der Crew: Die immer noch gravierenden Folgen der US-amerikanischen Atombombentests rund um das Bikini-Atoll ins internationale Bewusstsein zu rücken, unabhängige Strahlenmessungen unter teils hochkomplexen Bedingungen mit einem Team aus Wissenschaftler:innen durchzuführen und mit vereinten Kräften für nichts Geringeres als für Gerechtigkeit für die Menschen der Marshallinseln zu kämpfen.
„Wir empfangen euch nicht nur als Verbündete – sondern als Familie.“ So formuliert es Alson Kelen, Bürgermeister von Bikini und Zeitzeuge, als er die Besatzung der Rainbow Warrior III empfängt.
Was sich hinter “Operation Exodus” verbirgt
Vor 40 Jahren folgten Bunny McDiarmid, die spätere Geschäftsführerin von Greenpeace International, und der neuseeländische Kapitän Henk Haazen gemeinsam mit der Crew der Rainbow Warrior einem Hilferuf aus dem Pazifik. Auf dem radioaktiv verseuchten Atoll Rongelap lebten noch immer Menschen, deren Gesundheit durch die Folgen der US-amerikanischen Atomtests schwer geschädigt war. Ihre Körper waren gezeichnet von Krankheit, ihre Seelen von Angst. Was folgte, war eine Antwort, wie sie nur dem Wesen von Greenpeace entsprechen kann: Taten statt Worte. In einer beispiellosen humanitären Mission evakuierte die Crew über 300 Menschen – samt ihrer Habseligkeiten und sogar ihrer Häuser – und brachte sie auf sichere Inseln. Es war der Beginn einer tiefen Verbundenheit und eines gemeinsamen Kampfes für Gerechtigkeit.
Heute, vier Jahrzehnte später, kehrt Greenpeace zurück. Diesmal nicht, um die Menschen zu evakuieren, sondern um zu erinnern. Und zu kämpfen – für Gerechtigkeit, für Anerkennung, für eine Zukunft, die mehr ist als ein Strahlenschatten der Geschichte.
2025: Strahlenmessungen für die Zukunft
Die Rückkehr der Rainbow Warrior III ist jedoch weit mehr als eine symbolische Geste – sie ist gelebte Solidarität. Vom 11. März bis 26. April 2025 führt Greenpeace auf den Marshallinseln unabhängige Strahlenmessungen durch – unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Timothy Mousseau (University of South Carolina), der zuvor bereits an vergleichbaren Studien in Tschernobyl und Fukushima beteiligt war. Mit an Bord ist auch Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital.
Die Daten, die während der Schiffstour gesammelt werden, gehen direkt an die National Nuclear Commission (NNC) der Marshallinseln. Sie fließen ein in laufende politische Verfahren gegen die USA – und in die internationale Debatte um Gerechtigkeit im Umgang mit den Folgen der Atombombentests, den Folgen der Klimakrise und indigene Rechte.

„Wir kehren nicht zurück, weil wir müssen. Wir kehren zurück, weil wir es nie vergessen haben. Diese Reise ist eine Brücke zwischen Generationen, zwischen Vergangenheit und Zukunft.“
History Check: Was geschah auf den Marshallinseln?
Zwischen 1946 und 1958 testeten die USA auf dem Bikini-Atoll und anderen Teilen der Marshallinseln 67 Atomwaffen – die stärkste, „Castle Bravo“, entsprach der Sprengkraft von 1.000 Hiroshima-Bomben. Der Fallout verteilte sich über bewohnte Atolle wie Rongelap und Utirik. Familien verloren ihre Heimat, Kinder wurden mit Fehlbildungen geboren. Und als wäre das nicht grausam genug, nutzte das US-Militär die Betroffenen für ein geheimes Strahlenexperiment: Project 4.1 – ohne Einverständnis, ohne Schutz.
Bis heute sind weite Teile des Bikini-Atolls unbewohnbar. Die US-Regierung hat ihre Verantwortung zwar anerkannt, aber nie vollständig getragen. Die zugesagten Entschädigungen aus dem „Compact of Free Association“ (COFA) – ein Treuhandfonds in Höhe von 244 Millionen Dollar – reichen bei Weitem nicht aus, um die Gesundheits- und Lebensfolgen aufzufangen.
Mutige Aktivist:innen trotzen allen Bedrohungen
Heute bedrohen nicht nur die alten Strahlenwerte das Überleben der Marshallesen. Es ist die Klimakrise, die langsam aber unaufhaltsam die Atolle verschluckt. Und es ist der geplante Tiefseebergbau, der unter dem Deckmantel des Fortschritts erneut beginnt, das Pazifikgebiet auszubeuten.
Doch die Bewohner:innen der Marshallinseln wollen nicht als Opfer in die Geschichtsbücher einziehen, sondern die Zukunft mitgestalten – sie treten selbstbewusst für ihre Rechte ein. Sie schützen ihr Kulturgut, ihre Heimat, ihre Geschichte. Dabei fällt eine Besonderheit der Marshallinseln besonders ins Auge: Hier spielen Frauen eine zentrale Rolle in der Gestaltung von Politik und Kultur. Eine Stimme ihrer Generation, so könnte man sagen, ist Selina Neirok Leem, Klimaschutzaktivistin von und für die Marshallinseln. Auch im Jahr 2025 tragen sie und viele andere Menschen aus den Marshallinseln zu einer generationsübergreifenden Erinnerungskultur bei. Die Vergangenheit können sie nicht rückgängig machen – die körperlichen wie seelischen Wunden durch die US-amerikanischen Atombombentests sitzen tief. Deshalb ist es ihnen so wichtig, dass ihre Geschichte nicht ad acta gelegt wird.
„In unserer Kultur ist das Erzählen heilend. Wir erzählen, weil wir nicht vergessen – und weil wir die Welt verändern wollen.“
Das gemeinsame, kultursensible Einstehen für die Marshallinseln – einen Kultur- und Naturschatz, den es nirgendwo sonst auf der Welt in seiner Einzigartigkeit gibt – macht auch die Einzigartigkeit dieser Schiffstour aus. Junge Marshalles:innen, Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen bereisen während der Schiffstour das atemberaubend schöne Inselparadies. Sie sammeln Geschichten der Älteren, sie messen, sie dokumentieren – und sie demonstrieren damit ganz klar: Wir sind nicht eure Fußnote der Geschichte. Wir sind die Stimme der Zukunft. Dabei können sie auf die Unterstützung von Greenpeace bauen.
Der Besuch der Rainbow Warrior III erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem Greenpeace-Organisationen zu Schadenersatz in Höhe von über 666 Millionen US-Dollar verurteilt wurden – im Rahmen einer unbegründeten SLAPP-Klage (strategic lawsuit against public participation) des fossilen Energiekonzerns Energy Transfer, die darauf abzielt, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die für Gerechtigkeit und das Recht auf friedlichen Protest kämpfen. Doch Greenpeace lässt sich nicht einschüchtern.
Greenpeace steht weiterhin an der Seite der marshallischen Gemeinschaft – so wie wir auch andere Gemeinschaften unterstützen, die unter Vertreibung und kolonialer Ausbeutung leiden – in ihrem Kampf für Gerechtigkeit im Zusammenhang mit dem Erbe der Atomwaffen und gegen die Bedrohungen, die sie durch die Klimakrise bereits jetzt spüren.
Einen Regenbogen kann man nicht versenken. Und so hisst die Rainbow Warrior III 40 Jahre nach der Operation Exodus weiterhin ihre Flagge für Frieden, Umweltschutz und Gerechtigkeit im Pazifik.
Daten & Fakten
Die Rainbow-Warrior-Schiffstour auf den Marshallinseln
Zeitraum:
11. März – 26. April 2025
Ort: Republik der Marshallinseln (u. a. Bikini-Atoll, Rongelap, Majuro)
Anlass: 40. Jahrestag der Umsiedlung von Rongelap durch Greenpeace im Jahr 1985 ("Operation Exodus")
Ziele der Mission:
- Durchführung unabhängiger Strahlenmessungen
- Stärkung der Stimmen der Betroffenen im globalen Diskurs
- Sichtbarmachung der Folgen von Atomtests und der aktuellen Bedrohungen durch Klimakrise und Tiefseebergbau
- Dokumentation und Weitergabe der Geschichten Überlebender
Wissenschaftliche Leitung der Strahlenmessungen:
Prof. Timothy Mousseau (University of South Carolina)
Dr. Heinz Smital, Physiker & Atomexperte von Greenpeace Deutschland
Greenpeace arbeitet gemeinsam mit:
- National Nuclear Commission (NNC), Republik der Marshallinseln
- Lokalen Aktivist:innen & Zeitzeug:innen
- Künstler:innen und zivilgesellschaftliche Gruppen