Bundesverfassungsgericht verpflichtet Deutschland zu mehr Klimaschutz
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„Das ist schon fast kein Meilenstein mehr”, sagt Roda Verheyen nach dem Urteil, “das ist eher ein Paukenschlag in der deutschen Rechtsprechung.“ Verheyen ist eine der Rechtsanwältinnen der Klimaklage, und sie erlebt heute einen historischen Tag: „Das sind die wichtigsten Leitplanken für Klimaschutz, die ein deutsches Gericht jemals der Politik gesetzt hat.“ Denn heute Morgen hat das Bundesverfassungsgericht unerwartet und ohne weitere Anhörung verkündet:
„Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 (Klimaschutzgesetz <KSG>) über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen.“
Politik muss Zukunft sichern
In der achtseitigen Pressemitteilung des Gerichts heißt es, die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden würden durch das jetzige Klimaschutzgesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt. „Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.“
Einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wie in Paris beschlossen auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei dann nur mit immer kurzfristigeren und drastischeren Maßnahmen machbar. „Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind“, heißt es in der Erklärung. Zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen müssen, „um diese hohen Lasten abzumildern“.
Kohleausstieg muss schneller kommen
Die Anwält:innen der Klimakläger:innen werten das Urteil nun aus und überlegen weitere Schritte, aber allen ist klar: Nach dieser Entscheidung aus Karlsruhe kann es für die deutsche Politik kein weiter so geben.
Das Gericht fordert, dass die Regierung bis zum 31. Dezember 2022 einen neuen Fahrplan vorlegt, wie sie das 1,5 Grad-Ziel von Paris kontinuierlich und kohärent auf alle Sektoren (Energie, Gebäude, Verkehr,Industrie und Landwirtschaft) erreichen will. „Mit diesem Urteil ist klar, dass der Kohleausstieg in Deutschland deutlich vorgezogen werden muss, dass klimaschädliche Verbrennungsmotoren viel schneller von der Straße müssen und wir eine Landwirtschaft brauchen, die Klima und Natur nicht weiter schädigt sondern künftig schützt“, erklärt Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace. “Daran wird keine wie auch immer geartete nächste Bundesregierung vorbeikommen. Das Urteil ist verbindlich und unanfechtbar, und die Frist bis Ende 2022 eine klare Pflicht.”
Generationsgerechtigkeit bestätigt
Auch Sophie Backsen aus Pellworm und Luisa Neubauer von Fridays for Future, beides Klimaklägerinnen, sind begeistert: „Das Urteil macht klar: Klimaschutz, und zwar jetzt und nicht erst in zehn Jahren, wenn er nichts mehr bringt, ist ein Grundgesetz der jungen Generation“ sagt Sophie Backsen. Luisa Neubauer ergänzt: „Zwei Jahre lang wurden all die 100.000 Jugendlichen, die für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen, belächelt, angefeindet, uns wurde gesagt, wir sollen das den Profis überlassen. Und jetzt bestätigt das Bundesverfassungsgericht: Nein, wir haben Recht. Klimaschutz ist nicht nice to have sondern ein Grundrecht, die Freiheitsrechte der jungen Generation sind jetzt schon gefährdet, weil die Politik nicht entschlossen genug handelt, und dass sich das ändern muss. Was für ein Riesen-Erfolg!”
In seinem Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht insgesamt vier seit 2018 vorgebrachte Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz zusammengefasst. Da nur Einzelpersonen Freiheitsrechte einklagen können, hatten verschiedene Umweltschutzverbände diverse Menschen bei Ihren Klagen unterstützt. Auch Greenpeace hatte neun Jungen Menschen dabei geholfen, am 20. Februar 2020 Verfassungsbeschwerde einzureichen. Unter ihnen sind Sophie Backsen und Luisa Neubauer von Fridays for Future.