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Sweelin Heuss und Martin Kaiser
Daniel Müller / Greenpeace

Interview mit Sweelin Heuss und Martin Kaiser zur UN-Klimakonferenz in Bonn

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Die Klimakonferenz in Paris vor zwei Jahren war ein historisches Ereignis: Die Länder der Welt einigten sich darauf, ihre Treibhausgasemissionen so weit zu reduzieren, dass der Temperaturanstieg möglichst bei 1,5 Grad Celsius stabilisiert wird. Nur wenn die Erderhitzung deutlich unter 2 Grad gehalten werden kann, vermeiden wir die katastrophalsten Klimaveränderungen: häufigere Stürme, Starkregen, längere Dürren.

Auf der 23. UN-Klimakonferenz in Bonn ging es nun darum, wie die Pariser Beschlüsse umgesetzt werden. Gastgeber war in diesem Jahr die Republik Fidschi. Sweelin Heuss und Martin Kaiser, Greenpeace-Geschäftsführung, waren vor Ort, haben mit Delegierten gesprochen und die Gespräche beobachtet. Im Interview sprechen sie über die Rolle Deutschlands im internationalen Klimaschutz, was der Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen bedeutet, und warum ihnen der Gipfel allen Stolpersteinen zum Trotz Hoffnung für die Zukunft gibt.

Greenpeace: War diese Klimakonferenz ein Erfolg?

Martin Kaiser: Der größte Erfolg der COP ist erst einmal, dass 23.000 Besucher und Delegierte zusammen kamen, um sich darüber auszutauschen, wie das Pariser Klimaschutzabkommen umgesetzt werden kann. Mehr als 20 Staaten, die 2030 aus der Kohle aussteigen wollen, haben sich hier zusammengeschlossen. Das ist auch ein wichtiges Signal für die Debatte in Berlin – denn Deutschland gehört nicht zu dieser Ambitionsallianz. 

Das heißt nicht, dass die Länder, die Schluss mit der Kohle machen, die Hände in den Schoß legen können. Frankreich muss raus aus der Atomenergie und Kanada aus den Ölexporten, ansonsten wackelt die Glaubwürdigkeit im Klimaschutz.

Welche Rolle hat Deutschland bei der Konferenz gespielt?

Sweelin Heuss: Der letzte Rest von Angela Merkels Ruf als „Klimakanzlerin“ droht zu verblassen. Jeder hier sieht inzwischen den Unterschied zwischen dem, was Merkel auf dem diplomatischen Parkett sagt, und was sie innenpolitisch einfach nicht umsetzt. Dieser Widerspruch zeigte sich mit ihrem Auftritt hier auf der Konferenz. Die Kanzlerin hat bei ihrer Rede auf der Weltklimakonferenz wieder einmal betont, dass Deutschland das 40-Prozent-Ziel erreichen möchte, also seine CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Sie hat eingeräumt, dass hierfür der Ausstieg aus der Kohle notwendig ist, ruderte aber gleich zurück, dass diese Ziele aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen „sehr schwer“ zu erreichen sind.

Ihre Sorgen müssen für viele auf dieser Klimakonferenz wie purer Hohn geklungen haben – Angela Merkel vertritt immerhin eine der reichsten Industrienationen der Welt. Warum sollte Deutschland das nicht schaffen?

Immerhin hat sie in ihrer Rede betont, dass der Klimawandel eine Schicksalsfrage für die Weltgemeinschaft sei.

Sweelin Heuss: Da hat sie Recht. Gleichzeitig jedoch stellt sich die Schicksalsfrage auch für sie selbst. Vor zehn Jahren hat sie das deutsche Klimaziel ausgerufen: 40 Prozent weniger Kohlenstoffdioxid bis 2020. Im Wahlkampf hat sie es ein weiteres Mal unterstrichen. Dabei weiß die Bundeskanzlerin sehr genau, dass wir nur mit einem Kohleausstieg dieses Ziel erreichen können. Sie kommt also nicht um einen konkreten Ausstiegsplan herum. Mit den Grünen kann sie keine erfolgreichen Koalitionsverhandlungen führen, wenn das nicht Teil des Koalitionsvertrags wird. 

Bei den Sondierungsgesprächen in Berlin hat Merkel versucht, ihre bekannte Strategie zu fahren: rauszuhalten, Themen wegmoderieren. In Bonn musste sie sich zu dem Thema aber explizit äußern – und blieb wieder ein Bekenntnis zum Kohleausstieg schuldig. Ihr politisches Schicksal hängt von dieser Entscheidung ab, nicht zuletzt ihre Glaubwürdigkeit in der Weltöffentlichkeit.

Kritisieren andere Länder inzwischen die deutsche Klimapolitik?

Sweelin Heuss: Immer offener. Der britische „Guardian“ hat vor einigen Wochen eindrücklich Angela Merkels Image als Klimakanzlerin demontiert. Der frühere Bürgermeister New Yorks, Michael Bloomberg, forderte Merkel vor ein paar Tagen hier in Bonn in klaren Worten auf, endlich den Ausstieg aus der Kohle in ihrem Land umsetzen. Derweil stiehlt ihr Frankreichs Präsident Macron die Show und positioniert sich als Anführer Europas im Kampf gegen den Klimawandel. Das bleibt nicht unbemerkt: Sie verspielt mit ihrem klimapolitischen Schlingerkurs ihr Renommee auch im Ausland.

Die USA waren zuletzt international isoliert in der Klimapolitik. War das auch hier spürbar?

Martin Kaiser: Die amerikanische Delegation hielt sich in Bonn sehr zurück. Doch es gibt starke amerikanische Stimmen neben den Regierungsvertretern. Insbesondere der Bundesstaat Kalifornien, dessen Gouverneur Jerry Brown in Bonn eine flammende Rede für den Schutz des Klimas gehalten hat. Sie zeigen deutlich, dass die USA trotz Trump weiterarbeiten werden, ambitionierte Klimaziele zu erreichen. Namhafte Umweltschützer wie Bloomberg, Leonardo DiCaprio, Al Gore und Arnold Schwarzenegger hatten sich ebenfalls auf den Weg nach Bonn gemacht, um zu signalisieren, dass der Klimaschutz in den USA eine Zukunft hat.

Mit der Republik Fidschi war ein Land Gastgeber, das ganz konkret von der Erderhitzung und einem steigendem Meeresspiegel bedroht ist. Wie hat das den Gipfel beeinflusst?

Martin Kaiser: Einflussreiche Länder wie China und Indien, die für einen großen Teil der Verschmutzung verantwortlich sind, vertreten ganz andere Interessen als die kleinen pazifischen Inselstaaten wie Fidschi. Hier prallen Welten aufeinander. Dass die Fidschi-Inseln nun Gastgeberland sind, zeigt aber auch, dass diese Länder gehört und mit ihrem Anliegen respektiert werden – und diese riesige Kluft allmählich geschlossen wird.

Durch Meeresanstieg und Fluten werden zukünftig in einem viel größeren Ausmaße Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und woanders hinzuziehen, gerade im Pazifikraum. Die reichen und privilegierten Länder können sich vielleicht vor den schlimmsten Auswirkungen der Erderhitzung schützen. Die armen werden aber ohne deren Hilfe mit dem steigenden Meeresspiegel untergehen. Für den Austausch über dieses zunehmend existenzielle Problem ist es gut, dass mit der Republik Fidschi ein kleines Land die Präsidentschaft übernommen hat, das den Klimawandel bereits so stark am eigenen Leib spürt.

Gibt euch die Klimakonferenz Hoffnung für die kommenden Jahre?

Sweelin Heuss: Ja! Ich treffe hier wunderbare Menschen aus der ganzen Welt, die mit Leidenschaft und höchstem Einsatz für diese Mission – unser Klima zu retten – unterwegs sind. Das erfüllt mich mit Dankbarkeit und Respekt. Auch wenn mir bewusst ist, dass es viele Störfaktoren gibt, die diesen Prozess behindern: Die Richtung ist klar und die Bewegung dahin unaufhaltsam. Die Welt stellt sich der größten Herausforderung dieses Jahrhunderts.

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    Rote Linie: Anti-Kohle-Demo in Berlin

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Studie: Merkels Klimabilanz

Studie: Merkels Klimabilanz

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