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24. August 2019: Brennender Urwald in Amazonien
Victor Moriyama / Greenpeace

Interview mit Greenpeace-Waldexperte Oliver Salge zu den verheerenden Waldbränden in Brasilien

Oliver Salge lebt seit vier Jahren in Brasilien und ist der internationale Kampagnenkoordinator für Greenpeace im Amazonasgebiet. Er leitet dort das Projekt „All Eyes on the Amazon“. In Zusammenarbeit mit Indigenen und anderen Nichtregierungsorganisationen wird darin die Abholzung des Regenwaldes dokumentiert, die vielfach illegal geschieht. Satellitenbilder und Drohnenüberflüge zeigen das Ausmaß der Waldzerstörung. Das Projekt unterstützt die indigenen Gemeinschaften darin, ihre Rechte wahrzunehmen.

Greenpeace: Du lebst derzeit in São Paulo, wie schaut es dort gerade aus? Wie ist die Situation? Die Auswirkungen der Waldbrände sind dort ja direkt zu spüren.

Oliver Salge: Du sprichst sicher den Montag an. Ich war an dem Tag zuhause, weil ich krank war. Ich hatte mich mittags mit Fieber hingelegt und als ich aufwachte, dachte ich, ich hätte den ganzen Nachmittag verschlafen. Draußen war es stockdunkel, so wie normalerweise gegen sechs Uhr, wenn die Sonne untergeht. Ein Blick auf meine Uhr zeigte allerdings, dass es erst drei Uhr am Nachmittag war.

Ich bin genau in dem Moment aufgewacht, als sich der Himmel verdunkelt hatte. Zuerst dachte ich, ich hätte eine Sonnenfinsternis verpasst, es blieb etwa anderthalb Stunden stockdunkel. Ich hatte das Gefühl, die Sonne sei vom Himmel gefallen.

Gegen Abend klarte es langsam wieder auf und wir erfuhren, dass Rauchschwaden der Brände aus dem brasilianischen Bundesstaat Rondônia und Bolivien durch eine Windveränderung auf uns zugetragen worden waren. Allerdings betraf das nicht nur São Paulo, sondern auch Paraná und weitere Gebiete im Süden Brasiliens.

Bekannte von mir, die in oberen Stockwerken in Hochhäusern wohnen, sahen eine riesige schwarze Wolke auf die Stadt zurollen. Sie sagten, es sei wie in einen Thriller gewesen – gespenstisch. Das ist jetzt glücklicherweise vorbei.

Welche Auswirkungen haben die Brände auf die Umwelt und das Klima vor Ort und weltweit?

Allein in Brasilien sind in den letzten Monaten mehr als 40.000 Waldbrände gezählt worden. Die Rauchschwaden sind voller kleiner Partikel aus den Feuern und ziehen über das Land. Das hat weit reichende Konsequenzen für die Gesundheit der Menschen, die hier leben. Asthmatiker, ältere Menschen und Kinder sind besonders betroffen.

Und es reicht weit über die Gebiete hinaus, in denen es brennt. Die Partikel der Brände steigen mit dem Wind auf, ziehen über Südamerika, über die Meere und bis hin nach Europa, also auch zu euch. Letztlich verteilen sich die Rauchschwaden über die ganze Erde.

Wie betreffen die Feuer den Alltag der Menschen?

Das kommt darauf an, wo du lebst. In São Paulo, das ist etwa 3000 Kilometer entfernt, ist der Spuk zunächst vorbei. Das schlimmste Naturschauspiel haben wir hier am Montag erlebt. In anderen Städten sieht das natürlich ganz anders aus.

Ich habe vorgestern mit Adriano Karipuna von der indigenen Gemeinschaft der Karipuna telefoniert. Er lebt in Porto Velho, der Hauptstadt von Rondônia. Er sagte, dort sei der Himmel seit Tagen grau, sie würden keinen blauen Himmel mehr sehen. Überall Rauchschwaden – dies beeinträchtigt natürlich das Leben der Menschen.

Rund um Porto Velho gibt es immens viele Feuer. Neuste Analysen haben gezeigt, dass acht von zehn der größten Brandherde genau dort liegen, wo auch die Waldzerstörung in den letzten Monaten am stärksten war. Das heißt, die Feuer stehen in direktem Zusammenhang mit der Abholzung der letzten Monate.

Die Zerstörung der Urwälder funktioniert in Brasilien etwa so: Zu Beginn der Trockenzeit, das ist April oder Mai, werden hektarweise Wälder gerodet. Das Holz wird später entnommen, und der Rest bleibt liegen und trocknet vor sich hin. Dann werden die Reste angezündet und alles brennt lichterloh.

Das beschränkt sich natürlich nicht auf die 200, 600 oder 1000 Hektar, die gerodet wurden, sondern springt auf den noch intakten Wald über. So geraten dann schnell sehr große Gebiete in Brand.

In Amazonien brennt es jedes Jahr. Was ist diesmal anders und was sind die Ursachen der Brände?

Ja, in Brasilien brennt es jedes Jahr. Im Vergleich, letztes Jahr hatten wir zum gleichen Zeitpunkt etwa 15.000 Feuer im Wald, dieses Jahr haben wir dort 40.000. Das ist eine extreme Steigerung – vor allem, weil es weder besonders trocken noch windig ist.

Verantwortlich ist die Politik der Regierung. Sie gibt jenen Rückendeckung, die Wälder roden und Feuer legen. Von Regierungsseite sind seit Januar genau die staatlichen Institutionen ausgehöhlt worden, in deren Verantwortung der Schutz der Wälder und der Indigenen liegt. Ohne Geld sind ihnen die Hände gebunden.

Und die Sache wird auch nicht einfacher, wenn verantwortliche Regierungsmitglieder in die betroffenen Gebiete reisen und ausgerechnet die Farmer als Zukunft Brasiliens bezeichnen, die für die Brände verantwortlich sind. Solche Signale und angekündigte Gesetzesvorhaben ermutigen die Farmer dazu, noch mehr zu roden, noch mehr Feuer zu legen. Sie sind sich sicher, dass diese Regierung sie dafür nicht anklagen wird. Die Konsequenz sind noch mehr Waldzerstörung und Feuer.

Wie reagieren die Menschen in Brasilien auf die Feuerkatastrophe?

Meist sind die Feuer in Amazonien für die Menschen hier zu weit weg. Das ist ähnlich wie bei euch. Wenn es eine Schneekatastrophe in den Alpen gibt, interessiert das mehr oder weniger nur die Menschen in Bayern. Genauso ist es hier.

Aber jetzt merken die Leute, dass etwas dramatisch falsch läuft, auch weil die Medien damit voll sind. Ich habe noch nie so viele Anfragen von Freunden und Bekannten bekommen, die mich fragen, was bei uns los ist. Amazonien, die Zerstörung und die Feuer sind derzeit in aller Munde. Jüngste Umfragen haben gezeigt, dass über 90 Prozent der Brasilianerinnen und Brasilianer den Amazonas-Regenwald besser geschützt haben wollen.

Welche Auswirkungen haben die Feuer auf die Umwelt und das Klima?

Jeder Baum, jeder Hektar Regenwald, den wir verlieren, führt uns weiter in eine Zukunft, in der sich die Temperaturen weltweit erhöhen. Das Ziel, eine globale Erhitzung von 1,5 Grad nicht zu überschreiten, rückt in immer weitere Ferne. Der Amazonas-Regenwald ist eine natürliche Klimalösung – er speichert Kohlenstoff. Und je mehr wir zerstören, umso weniger kann er speichern. Nach jetzt vorliegenden Zahlen erwarten Forscher dieses Jahr Waldzerstörung von weit mehr als einer Million Hektar. Letztes Jahr belief sich die Zahl auf 800.000 Hektar, und das war in den letzten acht Jahren bereits ein trauriger Rekord.

Statt Institutionen wie die Umweltpolizei und Umweltbehörde weiter zu schwächen, muss in jene investiert werden, die gegen die Umweltkriminellen vorgehen. Nur so kann die Zerstörung gestoppt werden.

Was können wir tun, um die Menschen vor Ort zu unterstützen?

Gut ist, dass international ein politischer Diskurs begonnen hat. In den letzten Tagen haben sich UN Generalsekretär António Guterres, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Waldbränden geäußert. Wir müssen weiter politischen Druck aufbauen. Fordern Sie von der brasilianischen Regierung, den Amazonas-Regenwald zu schützen.

Und fragen Sie die Bundesregierung, was sie gedenkt, gegen die weitere Vernichtung des Regenwaldes zu tun. Es ist schade, dass die Zahlungen beispielsweise an den Amazonas-Fonds eingestellt wurden – gleichwohl ist die Politik der brasilianischen Regierung schuld daran. Nun muss die Bundesregierung andere Wege finden, das Geld an jene zu geben, die weiterhin Waldschutz betreiben wollen, beispielsweise NGOs, die mit lokalen und indigenen Gemeinschaften zusammenarbeiten.

Und wir alle können auf unseren ökologischen Fußabdruck achten, insbesondere weniger oder kein Fleisch essen. Die Waldzerstörung in Brasilien für Soja als Tierfutter hängt direkt mit dem Fleischkonsum in Deutschland zusammen.

  • Greenpeace-Aktivist:innen im Dorf Sawré Muybu im Amazonasgebiet

    Oliver Salge, internationaler Waldaktivist, und Todd Southgate, Videofilmer, in einer Getreidemühle im Dorf Sawré Muybu in Itaituba in Pará.

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