Greenpeace-Recherche: Lobbyisten führen Kreuzzug gegen Windkraft
- Recherche
Der Ausbau der Windkraft stockt. Nicht nur wegen unglücklicher Windparkanwohner – oft bremsen auch als Bürgerinitiative getarnte Industrievertreter, so eine Greenpeace Recherche.
Damit die Energiewende gelingt und der Klimaschutz vorankommt, braucht Deutschland mehr Windenergie. Windkraft ist das stärkste Segment der erneuerbaren Energien mit großem Ausbaupotential. Doch gerade hier stockt es: Ende Januar 2021 vermeldete die Fachagentur „Windenergie an Land“, dass 2020 nur rund 1.400 Megawatt an Leistung hinzugekommen sind. Zwischen 2013 und 2018 lag das durchschnittliche Wachstum noch bei ca. 4.000 Megawatt im Jahr.
Warum können die Kapazitäten nicht gesteigert werden? Lapidar: Weil zu viel dagegen geklagt wird. Der Bundesverwand Windenergie führt diesen Ausbau mit deutlich angezogener Handbremse auf die zurückhaltende und bürokratische Genehmigungspraxis der Behörden zurück, vor allem aber auf die zahlreichen Klagen gegen neue Anlagen. Dadurch verzögere sich an nahezu allen Standorten die Errichtung neuer Windräder.
Klagerechte gehören zur Demokratie – und auch Greenpeace nimmt sie wahr, bei anderen Projekten. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Umweltverband aus Gründen des Vogelschutzes gerichtlich gegen Windräder vorgeht, selbst wenn man persönlich die Güterabwägung anders treffen würde. Legitim ist auch, wenn betroffene Anlieger sich wegen der Sorge vor Schlagschatten, Geräuschbeeinträchtigungen oder Verschandelung des Landschaftsbildes gegen eine Planung stemmen. Solche Rechte sind zu respektieren, auch wenn man mit dem Anliegen im Einzelfall nicht sympathisiert.
Kreuzzug gegen die Windkraft
Aber stecken hinter den zahlreichen Klagen tatsächlich immer diese plausiblen Motive? Schaut man sich das Netzwerk der Windkraftgegner genauer an, wird deutlich, dass es sich keineswegs nur um besorgte Bürger handelt oder um etablierte Umweltverbände. Vielmehr treten auch immer wieder fragwürdige Vereine auf, ziehen Rechtsanwälte mit Multifunktionen die Strippen und agieren Industrielobbyisten, die offensichtlich ein politisches Interesse daran haben, die Energiewende auszubremsen. Dies zeigt eine Greenpeace-Recherche, die verstreute Informationen zu den Akteuren zusammenfasst und dabei auch neue Erkenntnisse zu Tage fördert. Darüber berichtet auch der „Spiegel“.
Die Recherche zeigt, dass es eine Handvoll von gut vernetzten Multifunktionären der Anti-Windkraftlobby gibt. Sie organisieren bundesweit Klagen, beraten örtliche Bürgerinitiativen und treten auch als Sachverständige bei Parlamentsanhörungen auf. Das Problem dabei ist, dass dies unter dem Deckmantel zivilgesellschaftlichen Engagements geschieht, mit der erhöhten Glaubwürdigkeit, die jeder Basisbewegung zugeschrieben wird. Ein zentraler Anti-Windkraft-Kläger wie Rechtsanwalt Thomas Mock aus Königswinter, der etliche Verfahren betreibt, ist allerdings bis Ende 2020 über viele Jahre auch Cheflobbyist von Hydro Aluminium Deutschland gewesen. Sein Arbeitgeber hat als energieintensiver Betrieb die Energiewende aus Eigennutz immer wieder kritisiert und setzt auf ein längeres Festhalten an fossilen Energien.
Ein weiterer zentraler Anti-Windkraft-Lobbyist, Nikolai Ziegler, arbeitet ausgerechnet im Wirtschaftsministerium. Zugleich ist er der Vorsitzende des Anti-Windkraft-Dachverbands „Vernunftkraft“. Sofern hier private Interessen und berufliche Tätigkeit sauber getrennt werden, ist daran nichts auszusetzen. Ziegler hat allerdings Musterbriefe an Abgeordnete, in denen gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz protestiert wird, an einem Rechner des Ministeriums verfasst. Dies zeigt die Greenpeace-Auswertung von Metadaten der Dokumente auf der Homepage von Vernunftkraft. Selbst wenn Ziegler dies in seiner Freizeit gemacht haben sollte, hat es zumindest einen Beigeschmack.
Durch die Gründung von Vereinen mit unverdächtigen Namen, wie dem „Bundesverband Landschaftsschutz“ (BLS) in Sachsen, eröffnen sich bessere Möglichkeiten für die Windkraftgegner, auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen. So gelang es dem BLS bei einer Landtagsanhörung in Sachsen zum Thema Abstandsgebot bei Windkraftanlagen, gleich mit zwei Vertretern präsent zu sein: einmal über eine Einladung der AfD-Fraktion, zum anderen über eine Einladung der Union.
Die Strategie, die hier genutzt wird, trägt in der Wissenschaft schon einen eigenen Namen: Astroturfing. Das ist abgeleitet von einem amerikanischen Hersteller von Kunstrasen namens AstroTurf. Der Kunstrasen wird als Metapher einer echten „Graswurzelbewegung“ gegenübergestellt, also einer Bürgerinitiative. Beim Astroturfing geht es darum, dass Akteure aus der Politik oder der Wirtschaft eine Pseudo-Bürgerinitiative vorschicken, weil deren Engagement auf größeres Wohlwollen und mehr Glaubwürdigkeit bauen kann als die wahren Strippenzieher.
Lobbyismus an sich ist genauso wenig zu kritisieren wie das Recht, gegen die Errichtung von Windkraftanlagen zu klagen. Auch Greenpeace setzt sich für die eigenen politischen Ziele ein und zieht mitunter vor Gericht. Der wesentliche Unterschied ist aber, ob dies mit offenem Visier geschieht, in größtmöglicher Transparenz, auch im Blick auf die Finanzierung – oder ob eine Bürgerbewegung vorgetäuscht wird, hinter der Konzerninteressen stecken. In diesem Sinne möchte Greenpeace mit dem Recherche-Dossier zu mehr Transparenz beitragen.
Die Gegner der Energiewende
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