
Die versteckten Kosten unserer Ernährung
- Ein Artikel von Anja Franzenburg
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Die Umwelt- und Gesundheitskosten unserer Ernährung belasten Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland mit Milliarden Euro im Jahr. Was sich ändern muss.
„Worauf schauen wir im Supermarktregal zuerst? Den Preis! Doch nichts von dem, was wir dort kaufen, ist dort gewachsen”, sagt Dr. Eckart von Hirschhausen, Arzt und Wissenschaftsjournalist. “Viele Produkte sind nicht nur ungesund für uns, sondern auch für den Planeten.” Der wahre Preis unserer Ernährung sei gesunde Lebenszeit und eine intakte Natur. Welchen Preis wir alle zahlen, hat Greenpeace in einer Studie veröffentlicht – und an die Folgen der Ernährung ein Preisschild gehängt. Wie sich andererseits gutes und gesundes Essen für alle fördern ließe, diskutiert Greenpeace auf Basis der Studie in einer Pressekonferenz mit Eckart von Hirschhausen sowie Barbara Binzer, Präsidentin der Deutschen Diabetesgesellschaft und Sprecherin des Wissenschaftsbündnisses DANK (Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten).
Denn in Deutschland essen die Menschen zu viel Fleisch und andere tierische Produkte, zu viel Zucker, zu viel Fett. Diese Ernährungsweise führt zu Kosten im Gesundheitswesen, aber auch zu Umweltschäden durch eine nicht nachhaltige Produktion. Diese sogenannten externen Kosten spiegeln sich im Preisschild an der Packung Hack oder der zuckerhaltigen Limonade jedoch nicht wider.
Dazu ein paar Zahlen zu den Umwelt- und Gesundheitskosten, die das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag von Greenpeace für die Studie zusammengetragen hat:
- Bei der Erzeugung von Fleisch entstehen Kosten durch Umwelt- und Klimaschäden, die sich auf rund 21 Milliarden Euro pro Jahr belaufen: verurschacht etwa durch Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung, Pestizide und Dünger beim Anbau von Tierfutter und Luftbelastung mit Feinstaub und anderen Schadstoffen.
- Im Gesundheitsbereich entstehen Kosten in Höhe von gut 16 Milliarden Euro durch den übermäßigen Konsum von rotem Fleisch, Schinken und Wurst, der die Risiken für Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebs und Typ-2-Diabetes erhöht.
- Zudem kann ein zu hoher Zuckerkonsum neben Adipositas, Diabetes und Bluthochdruck auch zu Karies und Parodontose führen. Das belastet das Gesundheitssystem in Deutschland mit weiteren knapp 12 Milliarden Euro jährlich.

Versteckte Kosten der Ernährung
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HerunterladenDie Summe von rund 50 Milliarden Euro im Jahr liegt in der Größenordnung des Verteidigungsetats oder der Nettokreditaufnahme im aktuellen Entwurf des Bundeshaushalts. Während die Ausgaben für Rüstung oder die Schuldenbremse in der öffentlichen Debatte eine zentrale Rolle spielen, bleiben die wahren Kosten unseres Ernährungssystems bislang weitgehend unbeachtet, obwohl es um vergleichbare Größenordnungen geht.

“Wir haben hier eine absolute Schieflage zwischen den Gesundheitskosten, die enorm sind – wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt – und andererseits dem Gesundheitszustand der Bevölkerung. Wenn man sich die Lebenserwartung anguckt, sind wir in Deutschland deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Und das, obwohl wir massenhaft Kosten im Gesundheitssystem haben, einen tollen Zugang für jeden zum Gesundheitssystem, Verfügbarkeit aller Arzneimittel. Das ist eine Diskrepanz, die schon zeigt: Wir betreiben Reparaturmedizin, aber wir müssen viel mehr in die Prävention gehen, um die Entstehung zu verhindern.”
Versteckte Kosten von Lebensmitteln sollten sichtbar werden
Dass sich Verbraucher:innen stärker mit Ernährung auseinandersetzen, zeigt der leicht rückläufige Konsum von Fleisch und Zucker. Er liegt aber immer noch deutlich über der Empfehlung der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) und der Planatary Health Diet. Für eine gesunde Ernährung für alle Menschen auf einem gesunden Planeten müsste unser Fleischverzehr etwa auf ein Drittel bis Viertel der aktuell in Deutschland konsumierten Menge sinken. Für den Überkonsum machen die Expert:innen Politik und Wirtschaft verantwortlich. Es würde den Konsument:innen im Supermarkt nicht leicht gemacht, sich für gute Produkte zu entscheiden – es fehle schlichtweg an Infos über Produktion und gesundheitliche Auswirkungen. Andere Länder wie Chile und Großbritannien seien weiter. So hat laut Binzer die gestaffelte Herstellerabgabe auf zuckergesüßte Getränke in Großbritannien maßgeblich dazu beigetragen, dass der Zuckergehalt in diesen Getränken reduziert wurde. Eine Cola in England enthält also deutlich weniger Zucker als die bei uns erhältliche Flasche. Die Bundesregierung dagegen hat bisher auf eine freiwillige Reduktionsstrategie gesetzt, die jedoch krachend gescheitert ist.
Auch Matthias Lambrecht, Volkswirt und Landwirtschaftsexperte von Greenpeace, setzt auf mehr Transparenz.

„Supermärkte müssen ihre Kund:innen besser informieren und ihnen gesunde, ökologisch erzeugte Produkte anbieten, statt sie mit Werbung beispielsweise für Billigfleisch zum Überkonsum zu verführen. Diese Werbung gaukelt eine schöne Welt vor, die mit der Realität in der Produktion oder den Folgen des Konsums nur wenig oder nichts zu tun hat. “
Immer noch sei billiges Fleisch ein Lockmittel des Handels. Die Unternehmen verdienen, während die Allgemeinheit die nicht eingepreisten Kosten zahlt: für Naturzerstörung, Überdüngung, Verlust der Artenvielfalt, Erderhitzung.
Drastischer, wenn auch nicht ernst gemeint, drückt es Hirschhausen aus.

“Sofort würden Menschen mehr darüber nachdenken, weniger Fleisch zu essen, wenn du an der Supermarktkasse für jedes Kilogramm Billigfleisch einen 20-Liter-Eimer Gülle mit ausgehändigt bekommst. Und dann sagt die Kassiererin oder der Kassierer: Das wurde mit erzeugt, wussten Sie das nicht? Das gibt es nur im Doppelpack. Das sind die externen Kosten zum Beispiel von der Gülle. Brauchen Sie einen Deckel oder geht das so mit?”
Damit spielt Hirschhausen humorvoll auf die Überdüngung an, denn Deutschlands Äcker triefen vor Gülle – durch die massenhafte Tierhaltung. Was zunehmend zum Problem für die Wasserqualität wird.
Politik und Wirtschaft müssen gute Ernährung ermöglichen
Es geht den Expert:innen jedoch nicht darum, Verbraucher:innen an der Supermarktkasse alle Verantwortung zuzuschieben. Und es geht auch nicht um Verbote. Vielmehr müssen Politik und Wirtschaft handeln und der Bevölkerung ein gutes und für alle erschwingliches Angebot machen – damit sie sich mit gesunden Lebensmitteln versorgen kann, die unter Beachtung der planetaren Grenzen erzeugt wurden.
Die zu ergreifenden Maßnahmen sind kein Hexenwerk und rasch umsetzbar.
- Eine Mehrwertsteuerreform sollte pflanzliche Produkte von der Mehrwertsteuer befreien und die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte aufheben. Denn mit gut fünf Mrd. Euro wird die ermäßigte Mehrwertsteuer von sieben Prozent auf Fleisch- und Milchprodukte durch Steuergelder finanziert. Auf Hafermilch etwa zahlen Konsument:innen derzeit 19 Prozent Mehrwertsteuer.
- Millionen Menschen essen täglich in Kantinen. Ein leckeres, gesundes pflanzenbasiertes Angebot könnte also viele Menschen erreichen.
- Konsument:innen brauchen Infos, um sich bewusst für Produkte entscheiden zu können. Für mehr Transparenz am Supermarktregal braucht es Angaben über Herstellungsbedingungen und den ökologischen Fußabdruck der Lebensmittel sowie klare und verlässliche Informationen zu den Auswirkungen auf die Gesundheit.
Matthias Lambrecht sieht insbesondere den Handel in der Pflicht: Er fordert, Fleischprodukte komplett aus der Werbung zu streichen und stattdessen pflanzliche Alternativen anzubieten. Auch sollten Supermärkte sich an ihre Pläne halten und tierische Produkte aus den schlechtesten Haltungsstufen 1 und 2 bis 2030 auslisten.
>>> Weitere Infos zu den Handlungsansätzen der Institutionen finden sie hier:
- Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)
- Stiftung Gesunde Erde - Gesunde Menschen, gegründet von Arzt und Wissenschaftsjournalist Dr. Eckart von Hirschhausen
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