Kein Schwein gehabt
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In der konventionellen Schweinehaltung ist Tierleid vielfach an der Tagesordnung. Die gängige Schweinemast und Ferkelproduktion hierzulande sind zudem rechtswidrig. Nun will Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir mit einem staatlichen Tierhaltungskennzeichen für mehr Tierwohl und Transparenz sorgen. Aktivist:innen fordern vor der Sonder-Agrarministerkonferenz ambitioniertere Veränderungen in der Tierhaltung und bei der Tierhaltungskennzeichnung.
Schweine sind nachweislich intelligent. Sie sind sauber und sozial – sofern sie artgerecht gehalten werden. Ein Großteil der Schweine leidet jedoch in engen, dreckigen Ställen mit Vollspaltenböden. Stroh zum Wühlen, getrennte Bereiche zum Fressen, Liegen und Koten, Platz zum Bewegen? Fehlanzeige.
Kein anderes europäisches Land produziert so viel Schweinefleisch wie Deutschland, allein 20 Prozent nur für den Export. Rund 50 Millionen Schweine werden jährlich hierzulande geschlachtet. 13,6 Millionen Tiere überleben die Mast erst gar nicht, bzw. müssen vorher notgetötet werden. Das sind rund ein Fünftel aller Schweine, die in Deutschland geboren werden, wie der SWR berichtet. Das Problem: Der größte Anteil des verkauften Schweinefleischs ist Billigfleisch aus schlechter Tierhaltung.
Einem 110-Kilo-Mastschwein stehen laut Nutztierhaltungsverordnung lediglich 0,75 Quadratmeter Platz zu. Im Jahr 2017 hat Greenpeace ein Rechtsgutachten zur konventionellen Schweinemast in Auftrag gegeben. Dieses belegt, dass die Schweinemast in Deutschland gegen Tierschutzgesetz und Verfassung verstößt. Seit dem Jahr 2019 befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Thema.
Als grüner Landwirtschaftsminister auf Bundesebene ist Cem Özdemir angetreten, die Tierhaltung umzubauen und für mehr Transparenz zu sorgen bei der Haltung von Schweinen,Rindern und Geflügel. Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) wollte zwar ein freiwilliges Siegel für Schweine-Frischfleisch einführen, doch das hätte nur etwas mehr Transparenz für Verbraucher:innen gebracht, nicht aber mehr Tierwohl durch mehr Platz, Luft und Licht. Letztlich ist Klöckner dann auch der Lebensmittelhandel zuvorgekommen: Die großen Ketten haben mit der “Initiative Tierwohl” eine vierstufige Kennzeichnung ihrer Frischfleisch-Produkte eingeführt. Viele von ihnen, etwa Aldi, planen, die beiden schlechtesten Haltungsformen bis zum Jahr 2030 aus dem Sortiment zu nehmen. Doch noch immer beherrscht Billigfleisch das Angebot in Frischetheken und Kühlregalen, die Umstellung geht nur schleppend voran, wie regelmäßige Abfragen von Greenpeace bei den Supermärkten zeigen.
Tierwohl: Warum Özdemirs Haltungskennzeichnung nicht reicht
Und Özdemir? Der stellte im Sommer 2022 ein Eckpunktepapier für eine staatliche, verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung vor. Inzwischen stehen weitere Details fest. Doch es zeigt sich: “Für ein wirkungsvolles Label, das nicht nur Transparenz für Verbraucher:innen schafft, sondern langfristig für mehr Tierwohl sorgt, muss es Nachbesserungen geben”, sagt Martin Hofstetter, Experte für Landwirtschaft bei Greenpeace. “Das geplante Kennzeichen informiert nicht eindeutig, unter welchen Haltungsbedingungen Schweine gelebt haben. So kann Fleisch mit dem Label „Auslauf/Weide“ von Tieren stammen, die ihre ersten Lebenswochen in tierschutzwidrigen Kastenständen verbracht haben.”
Bei einer Anfang Mai 2023 stattfindenden Sonderkonferenz der Agrarminister:innen berät sich Özdemir mit seinen 16 Kolleg:innen der Bundesländer. Es soll um weitere Details zur Kennzeichnung und den nötigen Umbau der Tierhaltung gehen - sowie um Änderungen bei der Stallbauförderung sowie dem Emissionsrecht.
Im Vorfeld hatte es ein monatelanges Gezerre im Bundestag zwischen den Regierungsparteien über die Details im neuen Tierhaltungskennzeichnungsgesetz gegeben. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungsparteien, aber auch zwischen den Bundesländern verzögern seit Jahren den Umbau der Tierhaltung.
Greenpeace fordert deshalb von den Agrarminister:innen:
- Die Kennzeichnung der Fleischprodukte muss auch die Sauen- und Ferkelhaltung beinhalten, nicht nur die Haltung der Mastschweine.
- Farblich oder durch Ziffern sollte auf einen Blick erkennbar sein, welche Produkte aus höherwertigen Tierhaltungsstufen stammen.
- Die geplanten Haltungsstufen “Stall” und “Stall plus” zementieren den Status Quo in den Ställen, sie sind tierschutzwidrig, haben somit keine Zukunft und gehören abgeschafft.
- Betriebe, die Freiland- oder Biohaltung praktizieren, sollten finanziell gefördert werden. Die geplante Haltungsform „Frischluft“, bei der die Tiere deutlich mehr Platz sowie Einstreu erhalten sollen, aber keinen Auslauf, wird in Zukunft allenfalls der Mindeststandard sein, in dem Schweine noch gehalten werden dürfen.
- Der Umbau der Tierhaltung muss schneller gehen.
Bundesverfassungsgericht kann für bessere Tierhaltung sorgen
Sich um bessere Haltungsbedingungen mit weniger Tieren in den Ställen zu kümmern, sieht auch eine klare Mehrheit der Bundesbürger:inen (82 Prozent) als vorrangige Aufgabe von Landwirtschaftsminister Özdemir. Das zeigt eine repräsentative Umfrage von Kantar im Auftrag von Greenpeace. Die verpflichtende staatliche Kennzeichnung der Tierhaltungsbedingungen finden 80 Prozent der Befragten ebenfalls wichtig.
Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte die Tierhaltung verändern. Auf Grundlage des Greenpeace-Rechtsgutachtens zur verfassungswidrigen Haltung von Schweinen hatte der Berliner Senat eine Normenkontrollklage eingereicht. Dies ist Organisationen wie Greenpeace oder Einzelpersonen nicht möglich - Bundesländern aber schon. Die Entscheidung aus Karlsruhe wird für dieses Jahr erwartet. „Ein fortschrittliches Urteil würde nicht nur mehr Tierwohl bedeuten“, sagt Hofstetter. „Auch die Fleischkennzeichnung würde deutlich übersichtlicher, denn von den aktuell geplanten fünf Haltungsformen blieben nur drei übrig.“
Missstände in der Schweinehaltung werden abgebaut
In den vergangenen Jahren dominierten drei besonders massive Missstände in der Schweinehaltung die politische Diskussion: Kupieren, Kastration und Kastenstand. Inzwischen gibt es einige Verbesserungen, auch wenn noch viel zu tun bleibt:
Kupieren des Ringelschwanzes: Immer noch wird vielen Ferkeln kurz nach der Geburt der Ringelschwanz abgeschnitten. Eine Maßnahme, die im direkten Zusammenhang mit der Haltung zu vieler Tiere auf zu engem Raum steht. Denn durch die Enge entwickeln die Tiere Verhaltensstörungen und beißen sich unter anderem die Ringelschwänze blutig. Das Verstümmeln durch Kupieren ist in der EU schon seit 1994 untersagt. Deshalb hat die EU-Kommission 26 Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, aufgefordert, einen Aktionsplan mit verbindlichen Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechtsvorgaben vorzulegen.
Kastration ohne Tierarzt und Betäubung: Manche Eber entwickeln einen strengen Geruch. Um diesen in Fleischprodukten zu verhindern, kastrieren die meisten Schweinehalter:innen die männlichen Ferkel – und zwar selbst, ohne tiermedizinische Fachkraft, ohne Betäubungsmittel. Das verstößt (wie das Kupieren des Ringelschwanzes) gegen EU-Recht und ist seit Anfang 2021 in Deutschland verboten.
Kastenstand oder “Schweine in Käfighaltung”: Wie auch bei der von der Ampel-Regierung geplanten Kennzeichnung beziehen Gütesiegel häufig nur die Tiermast, aber nicht die vorgelagerte Produktion in die Bewertung ein. Typisches Beispiel ist der Kastenstand, ein enger Metallkäfig, der trächtige oder säugende Sauen über Wochen fixiert. Die Muttertiere geraten – eingezwängt und in direktem Kontakt mit der Sau im Nachbarkäfig – in massiven Stress. Fleischwunden, Schaum vor dem Maul und unruhiges Kauen (Leerkauen genannt) sind häufige Folgen. 2021 hat der Gesetzgeber die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung überarbeitet und damit neue Regeln für die Haltung von Sauen auf den Weg gebracht. Diese betreffen vor allem die stark umstrittene Haltung der Sauen in Kastenständen. Diese wird in Zukunft nur noch stark eingeschränkt zulässig sein. Für Betriebe, die jetzt neu bauen oder umbauen, greifen die Kastenstandsregeln sofort, alle anderen haben eine mehrjährige Übergangszeit.
Welchem Siegel kann ich vertrauen?
Greenpeace empfiehlt, Fleisch, Milch oder Eier lieber selten und nur aus guter Haltung zu beziehen. Zertifizierungen und Gütesiegel wie Demeter, Bioland oder Neuland stehen für eine bessere Tierhaltung. Was hinter den geläufigen Siegeln und Labels steckt, erklärt der Greenpeace-Siegelratgeber.
Regenwald im Futtertrog
Zusätzlich zu diesen direkten Problemen mit der Schweinehaltung ist auch der Futtermittelanbau problematisch. Denn für die Millionen Schweine in der Landwirtschaft hierzulande stehen nicht genügend Flächen für den Anbau eiweißreicher Futtermittel wie Soja zur Verfügung. Doch die Importe aus Übersee haben Folgen für Wald, Klima und Gesundheit. In südamerikanischen Ländern wie Brasilien werden für den Anbau von Soja großflächig Wälder, darunter auch Regenwald, und ökologisch wertvolle Flächen zerstört. Zudem kommt es auf den Soja-Plantagen zu einem massiven Einsatz gefährlicher Ackergifte wie Glyphosat.
(Teile des Artikels wurden am 4. August 2020 erstveröffentlicht.)