Interview: Die Chance für die Urwälder des Kongo steht 50:50
- Hintergrund
Die Urwälder der Demokratischen Republik Kongo (DRK) gelten als das grüne Herz Afrikas. Diese Wälder sind nicht nur für Afrika wichtig. Sie spielen eine immense Rolle für das Klima. Und ihr Holz ist heiß begehrt. Oliver Salge, Waldexperte von Greenpeace, war einige Wochen im nördlichen Kongo unterwegs. Im Interview erzählt er, was er gesehen und erfahren hat.
Online-Redaktion: Oliver, der Kongo gehört zu den letzten großen Urwaldgebieten der Erde. Dementsprechend wichtig ist er für Klima und Artenvielfalt auf der Erde. Was ist spezifisch für die Situation dort vor Ort?
Oliver Salge: Der Kongo befindet sich gerade in einer entscheidenden Phase für den Urwald- und Klimaschutz. Dort gibt es trotz massiven Holzeinschlags noch richtig viel Urwald, eine riesige Kohlenstoffressource. Das Land ist derzeit ungefähr in dem Stadium, in dem Brasilien Anfang der Achtzigerjahre war. Wenn sie jetzt die gleichen Fehler begehen wie andere afrikanische Länder oder Südamerika, dann sind sie in nur zehn Jahren da, wo Brasilien heute ist. Aber noch haben sie die Chance umzulenken.
Online-Redaktion: Woran ist zu erkennen, dass etwas schiefzulaufen droht?
Oliver Salge: Ich war in Bumba, im Norden der Demokratischen Republik Kongo. Dort wird in großem Stil eingeschlagen - der gleiche Fehler, der in Brasilien gemacht worden ist. Vom Flugzeug aus habe ich auch schon erste Ölpalmenplantagen gesehen. Diese Firmen stehen schon in den Startlöchern.
Online-Redaktion: Was muss zuallererst passieren, um diese Entwicklung aufzuhalten?
Oliver Salge: In der DR Kongo sind Einschlagkonzessionen komplett illegal vergeben worden. Die müssen dringend überprüft und rückgängig gemacht werden. Das ist der erste Schritt. Aber auch die legalen Konzessionen bedeuten Urwaldzerstörung im großen Stil. Die Firmen suchen sich immer die schönsten Urwaldgebiete aus, um ihre Konzessionen abzustecken. Dort holen sie gezielt die dicksten und wertvollsten Bäume heraus, die am meisten Profit bringen. Das sind vor allem Afrormosia-, Sipo- und Sapelli-Bäume. Wenn sie die alle gefällt haben, geben sie die Konzession zurück und ziehen weiter. Der Wald sieht für uns Europäer dann immer noch sehr waldig aus, aber das Ökosystem ist schwer geschädigt.
Online-Redaktion: Wie wirkt sich die Schädigung des Ökosystems für die Menschen vor Ort aus?
Oliver Salge: Der intakte Wald entfernt sich immer weiter von ihnen. Das hat ganz unmittelbare alltägliche Auswirkungen. Der Wald ist für sie das, was für uns Supermarkt und Apotheke sind. Er liefert ihnen Nahrung und Medizin. Gerade Baumarten, die wegen ihres wertvollen Holzes gerne gefällt werden, beherbergen bestimmte Tierarten und die sind nun nicht mehr da.
In der Region Bumba, die ich gerade bereist habe, sind das besonders Raupen, die ein großer Proteinlieferant sind. Die Raupen sind nicht mehr da, weil sie auf Bäumen leben, die bevorzugt gefällt werden. Ich habe in der Nähe von Bumba mit jemandem gesprochen, der hat mir erzählt, wenn sie einen solchen Baum mit diesen Raupen finden wollen, dann müssen sie inzwischen 60 bis 70 Kilometer in den Wald hineinlaufen. Das ist natürlich unmöglich.
Online-Redaktion: Damit zerstört der Einschlag die Lebensgrundlage der Menschen ...
Oliver Salge: Ja. Ihre Lehmhütten sind immer noch von Wald umgeben. Der Wald ist immer noch ein Supermarkt, der ihnen viele Artikel bietet. Und so ähnlich müssen wir uns den Regenwald im Kongo wirklich vorstellen. Für die Menschen dort ist das ein Supermarkt, aber einer, in dem ganz bestimmte Abteilungen inzwischen leer sind. Andere sind sicherlich gut gefüllt, aber das sind nicht die, die man zum Überleben braucht. Wenn ich Hunger habe, hilft mir die Drogerieecke nicht.
Online-Redaktion: Was ist außer dem Entzug der illegal vergebenen Konzessionen gegen den Raubbau zu tun?
Oliver Salge: Wir fordern einen Plan, wie man mit dem Gesamtwald in der DR Kongo oder am besten gleich im ganzen afrikanischen Kongobecken umgehen will. Also: Wo soll der Wald genutzt werden, nachhaltig genutzt(!), und wo soll und muss der Wald komplett geschützt werden? Das geschieht bislang allenfalls punktuell - und wird dann nachhaltig genannt.
Das betrifft auch die Firma, die in der Region um Bumba aktiv ist. Das ist die deutsch-schweizerische Firma Siforco-Danzer, der größte Furnierhersteller der Welt. Die haben dort schon seit Jahrzehnten Konzessionen, haben manche schon zurückgegeben, weil sie ausgebeutet waren. Die sind immer weiter in den Urwald vorgedrungen.
Online-Redaktion: Hast du mit Danzer zu tun gehabt, als du dort warst?
Oliver Salge: Und ob! Die benehmen sich wie der Staat im Staate. Sie haben dafür gesorgt, dass ich als Greenpeacer in ihrem Bereich die Urwaldzerstörung nicht dokumentieren konnte. Auf ihr Betreiben hin hat die Provinzregierung uns die Benutzung der von Siforco angelegten Straßen verboten. Ein Unding für ein Unternehmen, das behauptet, es betreibe nachhaltige Forstwirtschaft und seine Forstwirtschaft auch zertifizieren lassen will. Da fragt man sich doch, was sie zu verbergen haben.
Online-Redaktion: Nach dem Krieg im Kongo wurden Einschlagkonzessionen vergeben, obwohl die Weltbank ein Moratorium verfügt hatte. Was tut die Weltbank als Hauptgeldgeber jetzt, um die Situation zu retten?
Oliver Salge: Das ist völlig dubios. Die Weltbank will im Kongo ein wirtschaftliches Entwicklungsmodell implementieren, das auf der Ausbeutung des Waldes basiert. Dieses Modell hat unter anderem in Kamerun bereits kläglich versagt. Man braucht nicht noch ein weiteres Beispiel des Scheiterns.
Greenpeace fordert, dass die Weltbank und einzelne Geberländer wie Deutschland und Frankreich ihre Zahlungen an Bedingungen knüpfen: Erstens müssen wie gesagt die illegalen Konzessionen korrigiert werden. Zweitens muss man sich überlegen, wie der Wald geschützt werden soll. Da geht es nicht nur um Artenschutz und Menschenrechte. Es geht auch um einen Beitrag zur Stabilisierung des Klimas. Dafür ist der Urwald im Kongo extrem wichtig.
Online-Redaktion: Und wie sollte demgegenüber eine nachhaltige Nutzung aussehen?
Oliver Salge: Im tropischen Regenwald bedeutet das, sich nicht nur auf eine Handvoll Baumarten zu konzentrieren, die im Westen oder in den reichen Industrieländern für Furnier, Parkett oder Möbel heiß begehrt sind. Insgesamt werden derzeit 10 bis 12 Baumarten gefällt, aber die "meistgejagten" sind Sapelli, Sipo, Wengé und Afrormosia. Mit dem Ergebnis, dass diese wertvollen Bäume in manchen Regionen praktisch verschwunden sind.
Online-Redaktion: Wie groß sind die Chancen, Urwaldschutz und nachhaltige Holzwirtschaft in Afrika gegen Korruption und Illegalität durchzusetzen?
Oliver Salge: Afrika allein wird das nicht schaffen. Deshalb ist ein Urwaldschutzgesetz in der EU so wichtig. Derzeit ist es für Holzimporteure in Deutschland lukrativer, illegales Holz zu kaufen als legales, weil illegales natürlich billiger ist. Es gibt auch keinerlei rechtlichen Rahmen, solches Holz zu beschlagnahmen. Der Import von Tropenholz nach Deutschland ist quasi eine Geldwäsche. Dagegen hilft nur ein Urwaldschutzgesetz, das den Import von illegal geschlagenem Holz ausschließt.
Online-Redaktion: Muss dafür nicht der Weg des Holzes komplett nachvollziehbar sein?
Oliver Salge: Ja, und das geht nur über FSC-Zertifizierung. Das FSC-Siegel ist derzeit das einzige glaubwürdige Waldzertifizierungssystem, das die Rückverfolgbarkeit bis zum Waldbetrieb ermöglicht. Anders ist weder dem illegalen noch dem legalen Raubbau beizukommen. Die Stämme werden ja noch im Herkunftsland zersägt. Im Hafen ist das dann alles das gleiche Holz - gesägte Bretter. Und hier in Deutschland sind es Sapelli-Bohlen, die man für Fenster einsetzt.
Heute können die Zollbehörden nicht einmal ermitteln, wenn die illegale Herkunft nachweisbar ist. Greenpeace hat in den vergangenen Jahren mehrere Fälle aufgedeckt. Wir haben Holz vom Wald bis in die Exporthäfen Afrikas verfolgt, weiter bis in die Importhäfen, unter anderem nach Nordenham in Deutschland. Und den deutschen Zollbehörden waren komplett die Hände gebunden. Weil es illegales Holz in der Sprache der EU überhaupt nicht gibt.
Online-Redaktion: Was macht dich optimistisch, dass Urwaldschutz im Kongo eine Chance hat?
Oliver Salge: Die Menschen selber. Sie wollen einen anderen Kongo. Dafür kämpfen sie, dafür stehen sie mit ihrem Namen ein. Ein Beispiel: Eine Gruppe von Menschenrechtlern und Umweltschützern ist wegen Vertragsverletzung gegen Danzer-Siforco vorgegangen. Sie haben eine Petition bei der Regierung eingereicht. Siforco hat diese Leute wegen Verleumdung vor Gericht gezerrt, aber die haben auf ihrem Recht bestanden. Das gab es vorher noch nie. Bisher ist es den Holzunternehmen immer gelungen, solche Menschen einzuschüchtern und mundtot zu machen. Im neuen Kongo scheint das nicht mehr so einfach möglich zu sein.
Aber ohne die Unterstützung der Staatengemeinschaft wird es trotzdem nicht klappen. Wenn Frankreich, Deutschland oder die Weltbank im Kongo einfach ihre alten gescheiterten Konzepte recyceln, dann wird das ein Desaster - nicht nur für die Menschen vor Ort, sondern auch für uns hier. Dann wird nämlich der Urwald im Kongo relativ rasch verschwinden, mit entsprechend dramatischen Auswirkungen für das weltweite Klima. Deshalb hoffen wir, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben. Derzeit steht die Chance bei 50:50.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch, Oliver.