Interview mit dem Förster und Buchautor Dr. Georg Meister
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Was hat das Hirschgeweih an der Gasthaus-Wand mit der Artenarmut in unseren Wäldern zu tun? Eine ganze Menge, erklärt Dr. Georg Meister, Förster und Buchautor, im Interview.
Aus naturfernen Fichten-und Kiefernforsten sollen naturnahe Laub- und Mischwälder werden: diese Erkenntnis ist nicht neu. Warum große Fortschritte jedoch nach wie vor ausbleiben, und welche Rolle die Jagd dabei spielt, weiß Dr. Georg Meister, Förster und Autor, aus langjähriger Erfahrung. Der 80-jährige leitete unter anderem das Forstamt Bad Reichenhall, war als forstlicher Gutachter in Thüringen und Brandenburg tätig; vor kurzem veröffentlichte er sein drittes Buch „Die Zukunft des Waldes. Warum wir ihn brauchen, wie wir ihn retten“ (Westend Verlag). Im Interview mit Greenpeace erklärt er die Hintergründe der Artenarmut in den deutschen Wäldern, und er zeigt auf, was getan werden muss, um die Wälder für Herausforderungen wie den Klimawandel zu wappnen.
Greenpeace: Wie sollte der deutsche Wald der Zukunft aussehen?
Dr. Georg Meister: Unsere naturfernen Forste sollten wieder viel naturnäher werden. In ihnen sollte sich die ganze Artenvielfalt entwickeln – besonders unter alten Bäumen, aber auch im jungen Wald. Das heißt, der Wald sollte allen in Deutschland natürlich vorkommenden waldtypischen Arten wieder Raum zum Leben geben.
Wieviel Prozent solcher Wälder gibt es jetzt schon bei uns?
Ganz genau weiß das niemand – Schätzungen gehen von zwei bis zehn Prozent aus. Fakt ist aber, dass noch viel zu wenige Wälder in Deutschland naturnah sind.
Was können naturnahe Wälder besser als Nadel-Monokulturen?
Der Klimawandel bringt mehr Wetterextreme. Ein naturnaher Wald kann solche Extreme nicht verhindern, er kann aber helfen, ihre Auswirkungen abzumildern. So kann ein naturnaher Wald einen Teil der Starkregen aufnehmen, er kann helfen, dass die Quellen in Dürreperioden nicht rasch versiegen, und er kann das Risiko von Waldbränden reduzieren. Er verhindert Nährstoffverluste und sichert so ein hohes Waldwachstum. Er fördert die Anzahl waldtypischer Arten und trägt positiv zur Energiewende bei.
Warum greifen Artenschützer ein so wichtiges Thema nicht stärker auf?
Weil der Verlust der Artenvielfalt mit unseren hohen Wildbeständen zusammenhängt. Jeder, der auf diesen Zusammenhang hinweist, wird von Jägern aggressiv persönlich angegriffen. Ihm wird vorgeworfen, das arme Wild ausrotten zu wollen. Dabei haben sich vor allem Rehe und Rotwild in Deutschland sehr stark vermehrt. Rehe fressen junge Bäume, Rothirsche reiben sich mit ihrem Geweih an ihnen. Dadurch sterben die jungen Bäume ab.
Welche Bäume betrifft das besonders, und was bedeutet das für den Wald?
Vor allem junge Tannen, Eichen, Bergahorne, Espen und Vogelbeeren, aber auch zartere Pflanzen, wie beispielsweise das Waldweidenröschen. Dadurch fallen in unserem Ökosystem wichtige Pflanzen aus, ein erheblicher Teil der natürlichen Artenvielfalt geht verloren, und es entstehen weiter artenarme Wälder. Unsere Wälder sind nicht mehr im ökologischen Gleichgewicht.
Mit der Hitzewelle dieses Sommers erleben wir bereits Anzeichen des Klimawandels. Wollen wir Verantwortung für folgende Generationen übernehmen, darf die Klimaerwärmung auf keinen Fall höher sein als zwei Grad. Kann die Forstwirtschaft mit der von ihr gepriesenen Nachhaltigkeit da als Vorbild dienen?
Seit 120 Jahren ist der Umbau naturferner Monokulturen in naturnahe Mischwälder ein konkretes Ziel dieser Nachhaltigkeit. Die Erfolge sind wegen der stark angestiegenen Wildbestände jedoch überwiegend bescheiden. Artenreiche, naturnahe Mischwälder wachsen fast nur hinter sehr teuren Zäunen. Die Forstwirtschaft kann deshalb nur auf kleinen Flächen als Vorbild für die Klimapolitik dienen.
Gibt es Politiker, die sich für eine ökologischere Waldbewirtschaftung und Jagd einsetzen?
In Nordrhein-Westfalen versucht Umweltminister Johannes Remmel derzeit, ein ökologisches Jagdgesetz auf den Weg zu bringen – er stößt dabei auf heftigen Widerstand der Trophäenjäger. Gute Initiativen der Politik sind nicht neu: Bereits 1993 forderte Minister Jörg Sklenar eine drastische Reduktion des Rotwildes, und in Brandenburg hat Minister Jörg Vogelsänger verlangt, dass im Staatswald ein Waldumbau ohne teure Zäune möglich sein muss. Leider sind auch sie am Widerstand der Jagdlobby gescheitert.
Wo gibt es Beispiele ökologischer Waldbewirtschaftung?
Es gibt sie vereinzelt überall in Deutschland: im großen und im kleinen Privatwald, in einzelnen Stadtwäldern sowie in staatlichen Jagdrevieren. Leider müssen sich auch diese Waldbesitzer gegen die sehr starke Lobby trophäenbegeisterter Waldbesitzer, Förster sowie den Jagdverband durchsetzen.
Was würden Sie einem Minister empfehlen, der bereit ist, aus Verantwortung für kommende Generationen einen effektiven Waldumbau anzuordnen?
Nach den bisherigen Erfahrungen kann er nur mit einem Dreiphasenplan erfolgreich sein. In der ersten Phase muss er ein langfristiges und konkretes Ziel zur Förderung naturnaher Wälder formulieren. In Phase zwei ist das Umdenken in vier oder fünf Jahren in konkretes Handeln umzusetzen. Ein zu hoher Wildbestand ist auf ein Maß zu reduzieren, bei dem die natürliche Artenvielfalt zunächst in den öffentlichen Wäldern ohne besondere Schutzmaßnahmen aufwachsen kann.
In Phase drei müssen konkrete und absolut vorrangige Zwischenziele formuliert und im Abstand von etwa fünf Jahren evaluiert werden. Wenn diese Zwischenziele nicht erreicht wurden, muss man energisch korrigierend eingreifen.
Ihre Vorschläge zum Umdenken und Handeln richten sich vorrangig an Politiker, Waldbesitzer und Förster. Welche Rolle spielen dabei die Jäger?
Die Jäger spielen eine sehr wichtige Rolle. Sie sollten sich als echte Partner der Waldbesitzer beim vorrangigen Ziel des Aufbaus naturnaher Wälder verstehen und die Wildbestände auf ein waldverträgliches Maß regulieren. Dazu wird noch viel Aufklärungsarbeit auch bei Naturfreunden und Politikern notwendig sein. Dabei könnte die Abschaffung der aktuell vorgeschriebenen Trophäenschauen, bei denen die Trophäen der erlegten Tiere präsentiert werden müssen, eine wichtige Rolle spielen.
Welche Lehren kann die Klimapolitik aus den Erfahrungen beim Waldumbau ziehen?
Wälder spielen eine große Rolle für den Klimaschutz, denn sie speichern große Mengen an Kohlenstoff. Eine erfolgreiche Klimapolitik setzt daher eine ökologischere Waldbewirtschaftung voraus – und auch der Schutz von Wäldern spielt eine wichtige Rolle.