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Porträt Özden Terli
ZDF / Rico Rossival

Interview mit ZDF-Meteorologe Özden Terli zur Klimakrise

Es ist heiß in Deutschland. Luftmassen aus der Sahara lassen die Temperaturen derzeit im ganzen Land auf über 30, mancherorts sogar auf 40 Grad ansteigen. Ist das “nur” Wetter? Wir haben  Özden Terli danach gefragt.

Greenpeace: Sehen Sie einen direkten Zusammenhang zwischen dem aktuellen Wetter und der Erderhitzung?

Özden Terli: Ja, ich sehe da einen Zusammenhang, und im Prinzip bestätigt sich, was die Klimaforschung seit Jahren vorhersagt. Aktuell sehen wir, dass der Jetstream sehr stark Richtung Nord und Süd schlenkert – derart stark, dass quasi die gesamte Strömung stecken bleibt. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat in einer aktuellen Studie wieder gezeigt, dass es dadurch zu extremen Wetterereignissen kommt.

Wenn die Wettersysteme stecken bleiben, dann muss man schauen, warum das passiert. Da kann man nicht einfach sagen: „Ja, ist halt Wetter“. Meteorologie ist eine Wissenschaft, und was manche Meteorologen sagen – „das ist Zufall“ oder „das hat’s immer schon gegeben“ – das gilt in der heutigen Zeit einfach nicht mehr. Man muss genauer hinschauen und es ist ziemlich ärgerlich, wenn Leute sowas relativieren.

Natürlich gibt es Wetterschwankungen. Man kann nicht jede Nebelbank auf das Klima zurückführen. Aber diese großräumigen Wettersysteme, die sich verändern, die muss man genauer betrachten. Es ist geradezu unverantwortlich, wenn man da einfach drüberbügelt und sagt, das habe mit dem Klimawandel nichts zu tun.

Wann haben Sie als Wissenschaftler erstmals festgestellt: Da stimmt was nicht mit dem globalen Klima?

Als ich studiert habe, hatte ich nicht so ein direktes Bewusstsein dafür, muss ich zugeben. Natürlich hat mich immer mal wieder schockiert, was da passiert. Da war ja auch schon einiges bekannt: Das Thema ist ja nun 30 Jahre alt. 1988 hat sich James Hansen vor den US-Kongress gestellt und gesagt: Die Veränderungen sind auf den Klimawandel zurückzuführen. Das kann man mit natürlichen Phänomenen nicht mehr erklären. Wir haben also gut 30 Jahre gepennt, für mich gilt: Lange Zeit war das Thema nicht in meinem Bewusstsein, das änderte sich aber durch meinen Job beim ZDF nachhaltig.

Sehen Sie in Ihrem Job auch einen Auftrag, über die Klimakrise aufzuklären?

Ja klar, als Wissenschaftler müssen wir natürlich aufklären. Gerade, wenn man auch noch journalistisch arbeitet und in so einer Position ist. Als Meteorologen tragen wir eine große Verantwortung. Wir sind an manchen Abenden quasi die einzigen Naturwissenschaftler, die auf dem Schirm zu sehen sind. Wir verstehen die Zusammenhänge. Die Atmosphäre ist genau das, womit wir uns auskennen. Mir ist irgendwann klar geworden: Wir müssen darüber reden. Wir müssen viel darüber berichten, und wir müssen laut darüber berichten, damit es jeder mitbekommt.

Alle, die in der Öffentlichkeit stehen, haben die Verantwortung, dieses Thema so zu besetzen, wie es richtig ist. Das heißt im Sinne der Wissenschaft, die über Jahrzehnte Erkenntnisse dazu gesammelt hat, permanent warnt – und recht hat.

Der britische Guardian hat kürzlich seinen Sprachgebrauch in der Klimaberichterstattung angepasst. Sie sprechen nun von „climate crisis“ und “global heating“, auf Deutsch “Klimakrise” und “Erderhitzung”. Wie sieht das bei Ihnen aus? Machen Sie sich Gedanken, welche Begriffe Sie verwenden?

Ja. „Erderwärmung“ oder „Klimawandel“ klingt ja fast schon süß. Das wird der Sache einfach nicht gerecht. Eigentlich hieß es ja schon einmal Klimakatastrophe vor einigen Jahren, und dann wurde es in Klimawandel umgewandelt. Wir müssen durchaus auch die Wortwahl ändern. Ich benutze oft „Klimakrise“ und auf Twitter „climate breakdown“ oder „climate emergency“. Im Fernsehen habe ich natürlich relativ wenig Zeit und der Wetterbericht ist nun mal kein Klimabericht. „Klimakrise“ in den Wetterbericht reinzubringen, ist eher schwierig. Da muss ich schon schauen, dass das noch im Rahmen des Wetters bleibt. 

Ich verbinde die Klimakrise aber immer mit dem Hintergrund Wetter. Vergangenen Montag war zum Beispiel genau die Sache mit dem Jetstream im Heute Journal, weil es sich gerade angeboten hat im Zusammenhang mit der Hitzewelle. Da hat alles zusammengepasst, und dann kann man das auch genau so erzählen. Aber wenn ich plötzlich vom Jetstream erzähle und der hat aktuell überhaupt keinen Bezug auf unser Wetter, dann passt das natürlich nicht.

Kürzlich ging ein Bild aus Grönland um die Welt, das Schlittenhunde zeigt, die knöcheltief durch Schmelzwasser laufen. Aufgenommen wurde es von einem dänischen Klimaforscher. Auch Sie haben dieses Bild in Ihrer Moderation verwendet. Braucht es solche Bilder?

Ja, klar braucht es solche Bilder! Wir brauchen gute Eindrücke, die das Thema in den Mittelpunkt rücken. Wenn ein Bild wie das mit den Schlittenhunden auftaucht, dann muss man die Chance ergreifen. Als ich das Bild gesehen habe, war ich total geflasht. Ich wusste natürlich sofort, worum es hier geht, nämlich um die Rekord-Eisschmelze in Grönland. Sie hat dieses Jahr vier Wochen früher angefangen als sonst. Das hatte ich in der Moderation auch drin. Die Wissenschaftler, die vor Ort sind und im Eis forschen, sehen das alles vor ihren Augen. Sie sehen, wie der Permafrost schmilzt, wie die Gletscher schrumpfen, wie das Eis immer weniger wird. Diese Menschen stehen ganz vorne und kriegen alles mit. Wenn die so etwas kommunizieren, dann finde ich es enorm wichtig, dass man das aufnimmt und weiterträgt.

Frustriert es Sie, dass die Politik so oft die Warnungen aus der Wissenschaft ignoriert?

Natürlich ist da Frustration und auch eine gewisse Ohnmacht. Aber es gibt auch viel Hoffnung. Ich sehe die Kinder, die das verstanden haben und jetzt die Politik vor sich hertreiben. Letztes Jahr war das Thema von der Politik ja kaum besetzt und jetzt haben sie plötzlich alle Angst, nicht wiedergewählt zu werden. Die Europawahl hat es ja gezeigt. Wenn das so weitergeht, wird sich etwas ändern. Und es muss sich etwas ändern. Das ist jetzt keine Frage mehr von Politik, Parteien oder anderen Befindlichkeiten. Es geht hier darum, dass wir die Menschheit retten – nichts Geringeres als das. Das ist keine persönliche Meinung, sondern das, was wir sehen und was passiert. Wissenschaftler beobachten das, machen ihre Analysen und ziehen entsprechende Schlüsse.

Ich erwarte jetzt von der Politik visionäre Vorstellungen, wie sie die Gesellschaft transformieren will, für eine Kreislaufwirtschaft, die Energiewende, die Verkehrswende, hin zu einer weniger energieintensiven Lebensart. Da müssen wir hin. Und letztendlich mindestens das Umsetzen des Pariser Klimavertrags.

Ist das Klima noch zu retten?

Tja. Das Problematische ist, dass die Erde ja schon auf unser Tun reagiert. Die Veränderungen passieren. Die Frage ist, wie schlimm wird es? Wir können es eigentlich nur noch abmildern. Ich wüsste nicht, was für einen Prozess wir in Gang setzen müssen, um die Eisschmelze in der Arktis oder auf den Gletschern rückgängig zu machen. Das Jahrtausende alte Eis schmilzt und salopp gesagt: Was weg ist, ist weg. Und die Kohlendioxid-Konzentration steigt immer noch, kein Wunder, wir haben unser Verhalten ja noch gar nicht verändert.

Dennoch müssen wir es versuchen und weiter daran arbeiten. Und das nicht nur in kleinen Schritten. Wir brauchen strukturelle und sehr, sehr schnelle Veränderungen. Zum Glück hat das jetzt auch die Jugend erwischt. Dass die Kinder auf die Straße gehen und die Erwachsenen ermahnen und fordern, ist ein ungeheuer wichtiges Druckmittel. Diese Kinder von Fridays for Future, wie klar die sind! Wie 13- bis 15-jährige Jugendliche das auf die Reihe kriegen, diese Problematik genau zu verstehen. Das ist äußerst beeindruckend. Und die sagen auch: Was nützt es, wenn wir frustriert sind oder keine Hoffnung haben. So kann man ja nicht weiterleben. Es ist noch ein langer Weg. Und diese Klarheit in der Sprache ist beeindruckend und es ist echt, so wie die Ergebnisse der Wissenschaft.

Interview: Sonka Terfehr

Online-Mitmachaktion

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