
Umfrage: Schulen bereiten nicht genug auf Zukunft vor
- Ein Artikel von Lisa Sophie Kropp
- mitwirkende Expert:innen Dr. Dietmar Kress
- Überblick
Schulen haben einen demokratischen Bildungsauftrag und sollen Schüler:innen auf die Zukunft vorbereiten. Doch gelingt das? Im Vorfeld der Bundestagswahlen 2025 und anlässlich der didacta 2025 unter dem Motto „Demokratie braucht Bildung – Bildung braucht Demokratie!“ hat Greenpeace bei der „F & P Marketingforschung“ eine Umfrage unter Schüler:innen, Berufsschüler:innen und Studierenden in Auftrag gegeben. Anfang Januar 2025 wurden 1.007 Interviews mit Personen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren geführt. Wir wollten in der Umfrage “Jugend, Schule und Demokratie” unter anderem wissen, wie die Befragten die aktuelle Situation einschätzen, wie ihr Vertrauen in Demokratie, Bildung und Institutionen ist und worin sie zukünftige Probleme sehen.
Demokratie: Nur reden reicht nicht
Etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Befragten schätzt ihre aktuelle private und schulische Situation als positiv oder sehr positiv ein. In die Zukunft blickt mit 62 Prozent eine etwas größere Gruppe positiv. Dafür scheinen aber nicht Schulen oder Universitäten verantwortlich zu sein: Nur 17 Prozent der Schüler:innen fühlen sich durch die Schule auf zukünftige Probleme gut vorbereitet. Im Jahr 2023 waren bei einer ähnlichen FORSA-Umfrage noch 31 Prozent der befragten 14- bis 21-Jährigen dieser Meinung.
Bei 69 Prozent der befragten Personen war das Thema Demokratie Gegenstand des Unterrichts; unter den Schüler:innen waren es sogar 88 Prozent. Aber im Durchschnitt sehen nur 22 Prozent der Befragten die Demokratie als wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Problemlöser. Zwischen dem Reden über Demokratie und dem tatsächlichen Mitentscheiden und Erleben von Demokratie klafft also eine tiefe Lücke.

Umfrage von Greenpeace: Jugend, Schule und Demokratie
Anzahl Seiten: 42
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HerunterladenZukünftige Probleme: Das denkt die Jugend
Die befragten Personen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren sehen als größte Probleme: das Rentensystem (73 Prozent), ausreichend bezahlbarer Wohnraum (72 Prozent), Erstarken von rechtsextremen Parteien (72 Prozent) und Klimawandel (69 Prozent). Das in der Öffentlichkeit und Politik so viel thematisierte Thema "Flüchtlingspolitik" kommt mit 44 Prozent deutlich weiter hinten.
Es fehlt bei jungen Menschen nicht am politischen Interesse und dem Bewusstsein für die Problembereiche. Vielmehr vertrauen sie nicht darauf, dass die handelnden Akteur:innen die Probleme lösen können. Das gilt sogar für ihre favorisierten Parteien: Nur 46 Prozent vertrauen ihnen.
Auch in die Zukunft blicken die Befragten eher skeptisch: Nur um die 10 Prozent erwarten bei den verschiedenen größeren Problemen eine Verbesserung der Situation; ein Großteil erwartet sogar eher eine Verschlechterung.
Didacta: Brisanz durch Teilnahme einiger Parteien
In diesem Jahr steht die Bildungsmesse didacta unter dem Motto „Demokratie braucht Bildung, Bildung braucht Demokratie“. Die Bildungsmesse erwartet jährlich knapp 100.000 Besucher:innen. Dass der didacta Verband eine antidemokratische Partei als einen Hauptaussteller akzeptiert hat, durchkreuzt das Motto und degradiert die größte Bildungsmesse Europas zur Wahlkampfarena. “Die Bildungsinstitutionen haben genügend Aufgaben. Digitalisierung, Bauen, Personalmangel, Inklusion, Zukunftsängste und Lernkultur sind nur einige davon. Dafür brauchen wir unsere Kraft”, sagt Dietmar Kress, Leiter der Bildungsabteilung von Greenpeace.

„Eines ist klar: Demokratie braucht Haltung, nicht Neutralität. Um die Probleme der Zukunft und der Bildung zu lösen, braucht es Erfahrungsräume, Mitbestimmung, personelle Ausstattung, Ausbildung, Stundenkontingente für Demokratie, politische Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung.“
Härteres Vorgehen gegen Falschnachrichten und extreme Parteien
Laut den Umfrageergebnissen wünschen sich 80 Prozent der jungen Menschen in Deutschland eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema Falschnachrichten im Unterricht und in Seminaren. Über 70 Prozent wünschen sich ein härteres Vorgehen in Bezug auf Fake News. 56 Prozent sind zudem der Ansicht, dass extreme Parteien verboten werden sollten.
78 Prozent der befragten Personen halten eine schärfere Bestrafung von Hass und Hetze in den sozialen Medien für sinnvoll. Sie akzeptieren dafür auch eine leichte Lockerung des Datenschutzes. Etwas mehr als die Hälfte stimmte der Aussage zu, dass durch soziale Medien der gesellschaftliche Zusammenhalt bedroht sei.
Demokratie braucht Erfahrungsräume in Schulen und Hochschulen
Die vorliegende quantitative Untersuchung muss in andere aktuelle Untersuchungen zum Thema bei der Körber Stiftung oder der Shell-Jugendstudie 2024 eingebettet werden. Insgesamt sehen die meisten Befragten die Demokratie immer noch als das richtige Gesellschaftssystem. Jedoch nimmt diese Zustimmung immer weiter ab – insbesondere bei altersunabhängigen Umfragen wie der Leipziger Autoritarismus Studie von 2024.
Bei jungen Menschen steht die Demokratie als Gesellschaftsform weiterhin hoch im Kurs und sie interessieren sich mehr für Politik, als viele Erwachsene denken. Die Probleme der jungen Generation spielen jedoch kaum eine Rolle. Falschnachrichten und intensive Desinformations-Kampagnen sind kaum ein Thema in der Politik, obwohl diese auf den Social Media-Kanälen junger Menschen immer präsenter werden.

“Die emotionale Verfassung unserer Lernenden wird regelmäßig übergangen. Ihre Traurigkeit und Einsamkeit kann zu Depressionen führen und ist für sie ebenso wie für die Gesellschaft ungesund. Der Wunsch nach härterer Bestrafung bei 78 Prozent der Befragten bei Hass und Hetze im Internet bestätigt die eigenen Ohnmachtserfahrungen durch Mobbing, Diskriminierung, Rassismus und Sexismus. Menschen wenden sich von der Politik ab, wenn sie enttäuscht sind. Sie identifizieren sich dann weniger mit einer Partei. Das eigene, sehr persönliche Glück tritt in den Vordergrund und wird mit den digitalen Medien noch verstärkt.”
Bildungssystem: Veränderungen jetzt!
Das Bildungssystem soll dazu beitragen, junge Menschen auf ihre Zukunft vorzubereiten. In Schulen sollen Schüler:innen zu mündigen Bürger:innen werden, die lösungsorientiert denken und Dinge hinterfragen. Es gibt genügend Richtlinien und Erlasse zur Förderung demokratischer Kompetenzen, aber viele Schulen setzen sie nicht um. Dabei haben Schulen einen demokratischen Bildungsauftrag. Sie seien – wie viele kommunale Einrichtungen – als Räume der Demokratiebildung auszustatten, so auch Steve Kenner von der Pädagogischen Hochschule Weingarten.
Schulen müssen Teilhabe und Handlungsoptionen für ihre Schüler:innen bieten, ansonsten findet kein Engagement statt. Nicht mal ein Fünftel der Schüler:innen denkt, dass die Schule sie gut auf die Zukunft vorbereitet. Das heißt: Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt, an dem sich alle zusammensetzen und etwas verändern müssen: mehr Erfahrungsräume, mehr Mitbestimmung, viel bessere personelle Ausstattung und Stundenkontingente, politische Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE).
Viele Einzelbeispiele zeigen, dass es anders geht. Es gibt engagierte Menschen an Schulen und Projekte, in denen die Teilhabe der gesamten Schulgemeinschaft selbstverständlich ist. Auch strukturell gibt es schon Veränderungen: Beispielsweise das Startchancen-Programm in Hamburg. Davon braucht es mehr, denn die Gelegenheit und die Notwendigkeit zur Veränderung in der Bildung ist jetzt.