"Viel gerungen - wenig gebracht"
- Im Gespräch
Update 20. November:
Zwei Tage später als geplant ist in den Morgenstunden des 20. November die diesjährige UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm El-Sheikh nach zähem Ringen zu Ende gegangen. Ein Fonds, um Klimafolgeschäden in den ärmsten Ländern der Welt auszugleichen, wurde beschlossen. Einen Ausstieg aus allen fossilen Energien erwähnt das Abschlusspapier hingegen mit keinem Wort.
Den Ausgang der UN-Klimakonferenz kommentiert Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland:
Martin Kaiser weiter: "Die 100 Milliarden Euro für Klimaschutz und Klimaanpassung, die eigentlich seit 2020 jährlich verbindlich fällig wären, sind die Industriestaaten bis heute schuldig geblieben – das Misstrauen gegenüber den reichen Staaten ist verständlicherweise groß. Hätten insbesondere die USA ihre Rechnung bezahlt, wären die G7 in einer besseren Verhandlungsposition gewesen, auch China und andere Schwellenländer schon jetzt zur Einzahlung in den Fonds zu verpflichten.
Am Ende dieser Klimakonferenz klebt somit ein kleines Pflaster auf einer riesigen klaffenden Wunde.
Es ist ein Skandal, dass die ägyptische COP-Präsidentschaft Petrostaaten wie Saudi-Arabien den Raum geboten hat, jeden wirksamen Klimaschutz zu torpedieren. Sie haben verhindert, dass es eine klare Entscheidung zum dringend notwendigen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas gibt. Die COP27 riskiert damit in fahrlässiger Weise die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits.
Der weltweite Ausstieg aus allen fossilen Energien muss nun außerhalb der Klimakonferenz vorangetrieben werden. Außenministerin Baerbock hat hier in Sharm El-Sheikh wiederholt beteuert, dass sie den weltweiten Ausstieg aus allen fossilen Energien vorantreiben will. Um glaubwürdig zu bleiben, muss sie Olaf Scholz nun von seinem Vorhaben abhalten, staatliche Investitionen und Kreditabsicherungen in neue Gasinfrastruktur zu lenken.”
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Interview vom 4. November:
Vor der 27. UN-Klimakonferenz führten wir ein Interview mit Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser und Greenpeace-Klimaexpertin Lisa Göldner, die unsere Abgesandten in Sharm El Sheikh waren. Die Einschätzung der beiden hat sich in großen Teilen bestätigt und ist daher immer noch aktuell: Etwas Licht bei den Entschädigungen, viel Schatten beim Rest. Hier das Hntergrundinterview.
Greenpeace: Greenpeace sagt, bei dieser COP sei es “Zeit für Gerechtigkeit”. Was meint ihr damit?
Lisa Göldner: Jede:r kann sehen, dass sich die Klimakrise immer weiter zuspitzt. Millionen Menschen sind direkt betroffen, vor allem im Globalen Süden, weil ihre Ernte auf den Feldern vertrocknet, weil ihre Häuser überflutet werden. Wetterextreme treten häufiger und heftiger auf und das wird sich mit einem weiteren Anstieg der Erderhitzung noch verschlimmern. Diese Menschen brauchen dringend Hilfe - und dazu sind vor allem diejenigen verpflichtet, die die Erderhitzung hauptsächlich verursacht haben. Die reichen Länder dieser Erde müssen also auch die Kosten dafür tragen. Die Klimakrise ist eine offene Rechnung, die sie nun begleichen müssen.
Werden sie das tun?
Lisa Göldner: Auf der COP 26 im letzten Jahr wurde der so genannte Glasgow-Dialog ins Leben gerufen. In diesem Rahmen wollen die Regierungen der Welt erörtern, wie Maßnahmen zur Verhinderung, Reduzierung und Bewältigung von Schäden und Verlusten in Folge der Erderhitzung finanziert werden können. Das war ein Schritt in die richtige Richtung. Bei der COP 27 müssen jetzt Nägel mit Köpfen gemacht und ein neuer Finanzmechanismus gestartet werden, über den die Gelder gesammelt und verteilt werden. Und die verantwortlichen Länder müssen konkrete Summen auf den Tisch legen, wie viel sie zukünftig geben werden. Diejenigen, die ganz unmittelbar unter der Klimakrise leiden, erwarten von dieser COP 27 eine konkrete Antwort. Auf keinen Fall darf jetzt jahrelang nur diskutiert werden, ohne dass irgendwas passiert.
Wo muss noch von der Konferenz geliefert werden?
Martin Kaiser: Neben der konkreten Hilfe für die Menschen, die direkt betroffen sind, ist es dringend notwendig, mit aller Kraft zu verhindern, dass die Klimakrise sich weiter zuspitzt und noch mehr Schäden entstehen. Deswegen: Die Emissionen müssen runter. Zu Gerechtigkeit gehört auch, dass die Hauptverursacher ihre Ziele zur Verringerung ihrer Emissionen nachschärfen. Bisher reichen die Vorhaben nicht, um die 1,5 Grad Temperaturerhöhung nicht zu überschreiten, wie es im Pariser Klimaabkommen beschlossen wurde. Dazu müssen die Industrie- und Schwellenländer schneller als geplant aus fossilen Energien aussteigen, eine Trendumkehr eingeleitet werden.
Der Trend scheint aber gerade eher in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, auch in Deutschland…
Martin Kaiser: Gerade hat der Expertenrat für Klimafragen die klaffende Lücke im Werkzeugkasten der deutschen Klimapolitik entlarvt. Anreize alleine bringen die Wende hin zu emissionsfreien Technologien nicht schnell genug voran. Auch die aktuelle Energieversorgungskrise zeigt, dass wir unsere Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas so schnell wie möglich beenden müssen. Denn das Geschäft damit ist nicht nur in Russland, sondern in vielen Regionen der Welt mit Gewalt, Ungerechtigkeit und Konflikten verbunden. Aber stattdessen versucht die Bundesregierung jetzt, andere fossile Quellen zu erschließen. Unter anderem will sie mit Steuergeldern die Erschließung neuer Gasfelder vor der Küste Westafrikas fördern. Neue Erdgasbohrungen sind aber nicht nur unvereinbar mit dem Ziel des Pariser Klimaabkommens. Sie leisten auch keinen Beitrag zur Bewältigung der akuten Gasknappheit, mit der in diesem und nächsten Jahr gerechnet wird. Eine finanzielle Unterstützung für solche Projekte wäre eine Katastrophe für das Klima - und schon nach nur einem Jahr ein Bruch mit dem so genannten Glasgow Statement, das Deutschland bei der vergangenen Klimakonferenz unterzeichnet hat. Es besagt, dass mit Ende 2022 die finanzielle Unterstützung fossiler Energieprojekte im Ausland beendet werden soll. Davon darf die Bundesregierung nicht abrücken.
Aber brauchen wir nicht Gas noch eine Weile?
Lisa Göldner: Die Internationale Energieagentur sagt es ganz deutlich: Um unter dem 1,5 Grad Limit zu bleiben, darf es keine neuen Bohrungen nach Öl und Gas mehr geben. Und Deutschland ist ja nicht irgendein Land, sondern hat politisch und wirtschaftlich großen Einfluss. Wenn Deutschland noch jahrelang am fossilen Gas festhält und weiter in neue Gasprojekte investiert, dann werden andere Staaten das ebenfalls tun. Außerdem würde der Kanzler mit diesen Investitionen Länder im Globalen Süden auf einem Entwicklungspfad festhalten, der auf der Ausbeutung fossiler Brennstoffe basiert. Viel sinnvoller für das Klima und die Menschen vor Ort wäre es, wenn Deutschland dabei hilft, den Ausbau von Sonnen- und Windenergie voranzutreiben.
Was fordert Greenpeace?
Martin Kaiser: Der Bundeskanzler muss auf der COP 27 glaubwürdig darlegen, dass sein aktueller Kurs zum Ausgleich der Energieimporte aus Russland nur eine kurzfristige Notlösung ist - er aber bereits mittelfristig den Ausstieg aus fossilen Kohle, Öl und Gas beschleunigen wird. Deutschland muss massiv die Erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind ausbauen. Außerdem muss sich Scholz auf der Konferenz dafür einsetzen, dass auch andere Verursacherländer für die Schäden der Erderhitzung aufkommen und ärmere Länder beim Ausbau der Erneuerbaren Energien unterstützt werden.
Wie optimistisch seid ihr, dass auf der COP Fortschritte erreicht werden?
Lisa Göldner: Die COP 27 findet in einer schwierigen geopolitischen Lage statt. Aber der Ruf der besonders betroffenen Länder nach mehr Klimagerechtigkeit ist nicht mehr zu überhören. Gemeinsam mit unseren Greenpeace-Kolleg:innen aus aller Welt werden wir uns in Scharm el Scheich dafür einsetzen, dass wir einer gerechten Klimapolitik und einer gerechten Welt näherkommen. Wir werden vor Ort direkt mit Vertreter:innen der Regierungen sprechen und natürlich mit den Medien, um öffentlichen Druck zu erzeugen. Außenministerin Baerbock hat deutlich gemacht, dass sie mehr Verantwortung in der internationalen Klimadiplomatie übernehmen will. Daran werden wir sie erinnern.
Es gibt harte Kritik an der Menschenrechtslage in Ägypten als Ausrichter der Konferenz. Greta Thunberg nimmt unter anderem deshalb nicht teil. Warum hat sich Greenpeace dafür entschieden, dennoch vor Ort zu sein?
Martin Kaiser: Auch wir sind sehr besorgt über die Situation der Menschenrechte in Ägypten. Für Greenpeace gilt: Es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit. Dennoch sind diese Konferenzen ein wichtiger Ort, um Einfluss zu nehmen. Zudem fordern wir von Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock, sich für die sofortige Freilassung des ägyptisch-britischen Demokratieaktivisten Alaa Abd el-Fattah einzusetzen. Nach 200 Tagen Hungerstreik in einem ägyptischen Gefängnis nimmt er nun gar keine Kalorien mehr zu sich und schwebt in Lebensgefahr. Die Vereinten Nationen müssen sicherstellen, dass in jedem Land, das eine COP ausrichtet, demokratische Proteste möglich sind. Greenpeace muss dort präsent sein, um gerade auch in solchen Ländern zivilgesellschaftlichen Stimmen Gehör zu verschaffen. Für Greenpeace ist klar: Im Kampf für das 1,5-Grad-Ziel brauchen wir global eine mutige Zivilgesellschaft und friedliche Proteste.
Wir sind sehr besorgt @Bundeskanzler @ABaerbock #COP27 über die Situation des Demokratie-Aktivisten Alaa Abdel Fattaa. Bitte setzen Sie sich für ihn ein! Es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit.https://t.co/ipUv0bUZi1
— Martin Kaiser (@martinkaisergp) November 6, 2022
Hintergrundinformation_zur_COP27.pdf
Anzahl Seiten: 5
Dateigröße: 364.76 KB
HerunterladenScholz verspricht auf der #COP27 „keine Renaissance der fossilen Energien“- will aber neue Gasfelder fördern. Das ist eine Täuschung der internationalen Öffentlichkeit! Wenn er sein Bekenntnis ernst meint, darf jetzt kein Euro mehr in neue Gasfelder gehen.https://t.co/lexJiati1u
— Greenpeace e.V. (@greenpeace_de) November 7, 2022