
„Wir dürfen Paris nicht aufgeben“
- Ein Artikel von Gregor Kessler
- Im Gespräch
Bevor der europäische Klimadienst Copernicus in dieser Woche einen neuen Bericht über den Zustand und die Veränderung des Klimas in Europa vorlegt, sprachen wir mit Karsten Schwanke (Foto oben) über bretonische Sommer, wandernde Klimazonen und warum ihm sein Handy Hoffnung gibt.
Greenpeace: Der März war der wärmste je in Europa gemessene Monat. Seit Wochen regnet es kaum. Der Wasserstand in Flüsse und Seen fällt schon jetzt deutlich. Kommt das bei Ihrem Publikum noch als Wetter- oder doch mehrheitlich als Klima-Nachricht an?
Karsten Schwanke: Ein Großteil des Publikums nimmt solche Nachrichten als Klimaphänomen wahr. Das merken wir an den Rückmeldungen. Die Menschen sind besorgt, weil sie feststellen: Hier verändert sich etwas grundsätzlich. Es gibt weiterhin Menschen, die versuchen, die Zahlen mit einem „Hat es immer schon gegeben“ abzutun, doch das sind wenige aber eben oft laute Stimmen.
Sind wir also über die Zeit hinweg, in der vermeintlich widersprüchliche Nachrichten – ein aktuell extrem trockenes Frühjahr und historisch hohe Niederschlagsmengen im vergangenen Winterjahr in Deutschland – von Klimawandelleugner:innen genutzt werden für ein „Doch alles gar nicht so eindeutig“?
Ja, mein Eindruck ist, dass die Menschen selbst viel aufmerksamer geworden sind, für die Veränderungen, dass sie die Extreme im Wetter wahrnehmen. Die sind in Deutschland auch nicht mehr zu ignorieren. 2024 begann mit großflächigen Überschwemmungen, vor allem in Niedersachsen. Dann gab es Pfingsten in der Pfalz und im Saarland Starkregen. Zwei Wochen später ging es in Süddeutschland im Alpenvorland weiter. Und schließlich wurden im September Teile Österreichs, Tschechiens und Polens überflutet. Diese Häufung kennen wir aus früheren Jahren nicht und das merken die Menschen. Auch sehr konkret vor ihrer Haustür. Wir bekommen etwa viele Zuschriften von Menschen, die wollen, dass man die Folgen der aktuellen Trockenheit in unseren Sendungen zeigt.

© ARD / Ralf Wilschewski
Aktive von Greenpeace illustrieren die Klimalücke während der Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD
Die Klimakrise ist inzwischen voll in Deutschland angekommen. Sie trifft uns sogar härter als anderen Weltregionen. Woran liegt das?
Zunächst einmal: Wir reden beim Temperaturanstieg über globale Mittelwerte. Die Temperatur steigt über Landflächen aber deutlich schneller als über Ozeanen. Das heißt die gut 1,5 Grad durchschnittliche Erwärmung, die 2024 gemessen wurde, wird auf den Wasserflächen unter- und auf dem Land deutlich überschritten. Dazu kommt, dass sich gerade im Nordwesten Europas, also bis nach Deutschland hinein, die Sommermonate in den vergangenen 30 Jahren deutlich stärker erwärmt haben als in anderen Landregionen. Das liegt an zunehmenden und vor allem länger andauernden Hochdruckwetterlagen und zuströmender Warmluft aus dem Süden. Deshalb haben sich beispielsweise die Sommer in der Bretagne oder Großbritannien, die noch in den 80er Jahren nass und kalt waren, völlig verändert.
Die Klimazonen wandern in Europa rasch nach Norden. War die Geschwindigkeit dieser Veränderung für Sie und Ihre Kolleg:innen absehbar?
Nein, dieses Tempo überrascht auch uns Meteorologen, denn die anhaltende Veränderung liegt fast immer am oberen Ende des erwarteten. Deshalb kann man sich beim Temperaturanstieg auch nicht zurücklehnen und sagen: „Okay, vielleicht wurde 2024 zum ersten Mal die 1,5-Grad-Grenze gerissen, aber es geht ja um langjährige Mittelwerte.“ Der Anstieg ist viel zu deutlich, als dass man noch auf deutlich kühlere Jahre hoffen darf, die das langjährige Mittel senken. Nein, ich bin sicher, dass 2023/24 als die Jahre erinnert werden, in denen das Pariser 1,5-Grad-Ziel verloren ging. Wenn sich die aktuelle Beschleunigung der Erwärmung so fortsetzt, dann werden wir etwa im Jahr 2031 sogar die 2-Grad-Grenze überschreiten. Das ist ein besorgniserregendes Tempo, das uns auch die pessimistischsten Modelle so nicht gezeigt haben.

Wenn die Erwärmung so rasant ist, sollten wir uns dann überhaupt noch mit den 2015 in Paris beschlossenen Klimazielen beschäftigen? Oder konzentriert man sich besser ganz darauf, die Emissionen überhaupt zu bremsen und sich an die Folgen der Klimakrise anzupassen?
Wir dürfen Paris nicht aufgeben, auch wenn die Staaten mit den beschlossenen Maßnahmen noch viel zu langsam gegensteuern, um auch nur die langfristige 2°-Grenze einzuhalten. Allein auf Anpassung zu setzen, das zeigen viele Studien, wird uns durch die zu erwartenden Schäden deutlich teurer zu stehen kommen, als heute mögliche Schritte zum Senken der Emissionen. Das 1,5-Grad-Ziel halte ich inzwischen tatsächlich für illusorisch, aber wir sollten schon aus ökonomischen Gründen alle Anstrengungen daran setzten, einen Anstieg auf über 2 Grad zu verhindern.
Sollte man dabei nicht viel mehr über die Folgen sprechen als über Gradzahlen?
Absolut! Langjährige Mittelwerte klingen so harmlos. Noch immer versteht kaum jemand, was eine um 1,5 Grad wärmere Welt von einer um 2 Grad erhitzten unterscheidet. Es klingt so banal, aber der Unterschied ist dramatisch. Ein Beispiel: In den vergangenen 60 Jahren ist es weltweit im langjährigen Mittel um 0,8 Grad wärmer geworden. Bei uns hier vor der Haustür haben sich die sommerlichen Hitzewellen im gleichen Zeitraum um 5 Grad erwärmt.
Diese Woche legt die Weltwetterorganisation gemeinsam mit Copernicus einen Bericht über den Zustand des Klimas in Europa vor. Worauf müssen wir uns einstellen?
Zum einen auf Hitzewellen von über 45 Grad hier in Deutschland. Im Süden Europa wird es künftig immer häufiger Temperaturen von über 50 Grad geben. Die Sahara wird sich weiter nach Norden ausdehnen und dabei auch die Winter im europäischen Mittelmeerraum deutlich trockener werden lassen. Beides, Trockenheit und Hitzewellen, werden die Menschen im Süden vor riesige Herausforderungen stellen. Wir in Deutschland verabschieden uns von einer Phase gleichmäßiger Niederschläge und bewegen uns immer weiter in eine Zweiteilung mit einer Regenzeit im Winter und häufigerer Trockenzeit im Sommer. Das sind so radikale Veränderungen, dass Europas Landwirtschaft große Mühe haben wird, sich darauf einzustellen. Auch das bekannte Naturbild wird sich dadurch verändern. Auf ein grundlegend anderes Klima mit hohen Temperaturen und langen Trockenzeiten sind unsere Wälder nicht vorbereitet.
Oft hörte man in den vergangenen Jahren, dass diese radikalen Veränderungen durch die Klimakrise prominenter in die Medien gehören. Fühlten Sie sich als „Wetter vor Acht“-Moderator dabei angesprochen?
Wir versuchen immer wieder, diese Aspekte bei „Wetter vor Acht“ unterzubringen. Dafür würde ich mir allerdings noch mehr Raum wünschen. Es gibt auch andere Formate bei den Öffentlich-Rechtlichen, in den ich mehr Zeit dafür bekomme, aber ich halte eine regelmäßige Sendung für klimarelevante Themen für sehr wichtig.
Lange wurde viel Wert daraufgelegt, Wetter und Klima zu unterscheiden. Sind die Phänomene der Klimakrise inzwischen so allgegenwärtig, dass man sich diese Unterscheidung sparen kann?
Als ich vor 30 Jahren anfing, war mir die Unterscheidung zwischen dem langfristig gemittelten Klima und dem aktuellen und ortsgebundenen Wetter auch wichtig und wissenschaftlich ist sie natürlich weiter richtig. Aber wir müssen diese Begriffe gemeinsam behandeln, denn wir werden die Klimakrise nicht durch langjährige Mittelwerte spüren, sondern durch das tägliche Wetter. Und das wird immer öfter extrem. Etwa am 29. Oktober 2024, als in Valencia katastrophale Sturzfluten niedergingen. Das ist dann extremes Wetter, das der Klimawandel verursacht.
Oder die aktuelle Trockenheit. Vor 100 Jahren hätte es ein solches Frühjahr mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht gegeben. Das ist der Klimawandel. Und es ist ein Fingerzeig. Wir werden in den kommenden Jahren in Deutschland Perioden erleben, in denen sechs Monate lang kein Tropfen Regen fällt. Das wird das Land und vor allem die Natur radikal verändern.
Das Schlimmste, was einem früher mit falschen Vorhersagen passieren konnte, war klitschnass zu werden. Heute entscheiden Wetterwarnungen über Leben und Tod. Verhilft die Klimakrise der Meteorologie zu neuer Wertschätzung?
Ach, um Wertschätzung geht es glaube ich nicht, eher um Aufmerksamkeit. Denn diese Wetterphänomene rücken inzwischen sehr nah an die Menschen ran. Wir merken das an den Zuschriften. Die Menschen spüren, dass vor unseren Türen etwas passiert, das nicht normal ist und damit steigt auch die Aufmerksamkeit für das Thema.
Für viele Menschen ist die Keeling-Kurve, also die CO2-Konzentration in der Luft, die Alarmglocke der menschgemachten Klimakrise. Welche Phänomene bereiten Ihnen als Meteorologen Sorge?
Ich schaue sehr aufmerksam auf die Temperaturentwicklung der Ozeane. Die haben seit 2023 einen so deutlichen Sprung gemacht, das hätte ich nie für möglich gehalten. Die steigende Wassertemperatur ist der Hintergrund der jüngsten Temperaturrekorde an Land, die höhere Verdunstung lässt die Regenmengen wachsen. Da kommt also viel zusammen. Ein anderer Fokus ist der rasante Eisverlust in der Westantarktis und in Grönland. Das passiert mit einer Geschwindigkeit, die besorgniserregend ist. Denn Studien zeigen, dass hier schon bei einer Erwärmung von unter 2 Grad Kipppunkte überschritten werden könnten.
Das klingt jetzt alles nicht sehr ermutigend, Herr Schwanke. Hätten Sie abschließend nicht noch ein, zwei positiven Nachrichten?
Wenn man nur auf meteorologische Daten schaut, dann ist es wirklich schwer, etwas Positives zu entdecken. Zwei Entwicklungen im weiteren Klimakontext finde ich dennoch hoffnungsvoll. Das ist zum einen die Geschwindigkeit, mit der Solarenergie weltweit ausgebaut wird. Das Tempo übersteigt hier alle Prognosen und alles spricht dafür, dass es sich weiter beschleunigt. Das finde ich eine beachtliche Erfolgsgeschichte.
Der zweite Punkt betrifft die technologische Entwicklung. Ich habe 1994 in Hamburg meine Diplomarbeit am deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg geschrieben. Da stand der damals leistungsfähigste Rechner Deutschlands und allein seine Kühlung hatte einen astronomischen Stromverbrauch. Mein heutiges Smartphone ist 2000 mal so leistungsfähig wie dieser Rechner und die Stromrechnung des Handys liegt bei zwei bis drei Euro pro Jahr. Man darf sich nicht auf solche Entwicklungssprünge verlassen, aber sie sind möglich und das gibt mir Hoffnung.