VW-Klage vor Gericht
- Hintergrund
Dürfen Konzerne mit einem riesigen CO2-Fußabdruck die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder gefährden? Unterstützt von Greenpeace haben vier Kläger:innen den weltweit zweitgrößten Autobauer Volkswagen aufgefordert, die Produktion klimaschädlicher Verbrenner bis Ende des Jahrzehnts einzustellen. Mit den Urteilen des Landgerichts und Oberlandesgerichts Braunschweig im Rücken konzentriert sich Greenpeace ganz auf das Verfahren eines Bio-Bauern vor dem Gericht in Hamm.
Von den ursprünglich zwei parallelen Verfahren dieser Klage - begonnen vor den Landgerichten in Detmold und Braunschweig - fokussiert sich Greenpeace künftig auf die Berufungsklage des Detmolder Verfahrens vor dem Oberlandesgericht Hamm. Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig, vor dem die Klage von Clara Meyer, Klima-Aktivistin, Martin Kaiser, Geschäftsführender Vorstand von Greenpeace und Roland Hipp, ehemaliger Geschäftsführender Vorstand, weiter verhandelt werden sollte, hat die Berufung am 28. Juni 2024 abgewiesen. Die Kläger:innen haben zusammen mit Greenpeace entschieden, keine Rechtsmittel gegen das Urteil des OLG Braunschweigs einzulegen. “Da das OLG Braunschweig gegen die Verletzung von Menschenrechten durch VW nicht einschreiten will und die Berufung abgewiesen hat, konzentrieren wir die gerichtliche Auseinandersetzung mit VW auf den Fall vor dem OLG Hamm", sagt Martin Kaiser. "Das OLG Braunschweig hat weder eine mündliche Verhandlung zugelassen noch sich mit der Zerstörung der planetaren Grenzen durch den VW Konzern auseinandergesetzt.”
Allerdings hatten sowohl das Landgericht, wie auch das Oberlandesgericht Braunschweig, die Anwendbarkeit des deutschen Zivilrechts, den Anteil Volkswagens an der Klimakrise (“Störung”) und die daraus resultierenden Rechtsverletzungen grundsätzlich als gegeben angesehen. Die gestellten Anträge waren demnach zulässig. In einer Abwägung hatten sich die Gerichte aber dazu entschieden, dass die Kläger:innen Clara Mayer, Martin Kaiser und Roland Hipp diese Rechtsverletzungen zu dulden haben.
Greenpeace wird sich jetzt auf das Parallelverfahren vor dem OLG Hamm konzentrieren. Dort klagt der Landwirt Ulf Allhoff-Cramer. “Im Fall von Ulf Allhoff-Cramer ist das Eigentum des Klägers, sein Hof und sein Wald, von Klimawandel bedingter Dürre getroffen und seine wirtschaftliche Existenz bedroht”, so Kaiser. “Wir meinen, die Braunschweiger Gerichte hätten eine solche Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz durch VW nicht geduldet. Deshalb bringen wir diese Argumentation jetzt ins Verfahren in Hamm ein. Das müsste eigentlich zu einer Verurteilung des VW Konzerns führen - und das ist entscheidend. Denn Greenpeace will verhindern, dass Konzerne unser aller Lebensgrundlagen zerstören und unseren Kindern und Enkeln das Recht auf eine sichere Zukunft nehmen.”
Angesichts der verheerenden Folgen der Klimakrise will der Kläger weiterhin erreichen, dass Volkswagen der Verkauf von neuen klimaschädlichen Verbrennern bis spätestens 2030 untersagt wird.
In ihren im November 2021 eingereichten Klageschriften belegen die Kläger:innen auf 120 Seiten, dass Volkswagens vollmundige Versprechen für mehr Klimaschutz nur Lippenbekenntnisse sind und fordern den Konzern auf, den klimagerechten Umbau des Unternehmens deutlich zu beschleunigen. Dazu muss VW als weltweit zweitgrößten Autobauer spätestens im Jahr 2030 aus der Produktion klimaschädlicher Verbrenner weltweit aussteigen. Auf dem Spiel steht unter anderem die Zukunft von Allhoff-Cramers landwirtschaftlichem Betrieb, dem Dürren und Starkregen schon beträchtliche Schäden zugefügt haben. Der 62-Jährige aus dem Kreis Lippe betreibt mit seiner Familie einen Bioland-Hof mit Ackerbau, Mutterkuhhaltung und Wald. Vor Gericht macht er geltend, dass VW als zweitgrößter Autobauer der Welt mitverantwortlich ist für erhebliche Schäden an seinem Hof und dem zugehörigen Wald. Auch verstärke VW durch den millionenfachen Verkauf klimaschädlicher Autos die Klimakrise und verursache so künftige Schäden an seinem Eigentum.
Volkswagen steht an der Spitze einer Industrie, die maßgeblich zur Erderhitzung beiträgt. Trotz zunehmender Extremwetterereignisse und entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen verkauft der Weltkonzern ungebremst Millionen neuer klimaschädlicher Diesel und Benziner - Jahr für Jahr. Nur im Schneckentempo will VW seine Verbrenner durch vergleichsweise klimafreundliche Elektroautos ersetzen. Damit steht der Konzern im Widerspruch zum 1,5-Grad-Klimaziel, wie eine Greenpeace-Studie im November 2022 vorrechnet. Die vom Autoexperten Stefan Bratzel mitgeschriebene Studie legt dar, dass VW mit seiner derzeitigen Strategie die für 1,5 Grad noch vertretbare Zahl verkaufbarer Verbrenner um mindestens das Doppelte überschreitet. Allhoff-Cramer macht zivilrechtliche Ansprüche auf Schutz persönlicher Freiheits- und Eigentumsrechte geltend und fordert Volkswagen zu einem schnellen und konsequenten Ausstieg aus dem Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor auf.
Dabei stützt sich der Landwirt auf Berechnungen des Weltklimarates (IPCC) und der Internationalen Energieagentur (IEA), aus denen sich Enddaten für neue Verbrennungsmotoren und fossile Brennstoffe ableiten lassen. Bisher sperrt sich VW nicht nur, Diesel- und Benzinfahrzeugen ein Enddatum zu setzen - in der Erwiderung auf die Klage Allhoff-Cramers versuchen die Anwälte des Konzerns, Zweifel am Zusammenhang zwischen VWs Treibhausgasemissionen und den spür- und messbaren Auswirkungen auf das Klima zu säen. Sie stellen zentrale Erkenntnisse der Klimawissenschaft als unsicher dar und bedienen sich an Argumenten von Klima-Skeptiker:innen.
Als Anwältin der Kläger:innen von Greenpeace findet Roda Verheyen deutliche Worte für ihre juristischen Schritte gegen Volkswagen: "Klimaschutz ist Menschenrecht. Jedes Gericht muss sich fragen, wen das Recht letztlich schützt: den Planeten und die Menschen, die darauf leben wollen oder die Interessen einiger Konzerne. Wer Klimaschutz verzögert, schadet anderen und verhält sich damit rechtswidrig. Das ist seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2021 eindeutig, wurde durch den Europäischen Menschengerichtshof im April 2024 bestätigt, und gilt auch und gerade für die deutsche Autoindustrie mit ihrem gigantischen globalen CO2-Fußabdruck.”
Updates
25. 7. 2024 - Greenpeace hat zusammen mit den Kläger:innen entschieden, gegen die vom OLG Braunschweig abgewiesene Berufungsklage keine Rechtsmittel einzulegen.
28. 6.2024 - Das Oberlandesgericht Braunschweig weist die Berufung der Klimaschutzklage gegen die Volkswagen AG zurück. Greenpeace prüft Rechtsmittel.
24. 2. 2023 - Das Landgericht Detmold weist die Greenpeace-Klage für mehr Klimaschutz bei Volkswagen ohne Begründung ab. Der Kläger und seine Anwälte kündigen Berufung an.
14. 2. 2023 - Das Landgericht Braunschweig weist die Greenpeace-Klage für mehr Klimaschutz bei Volkswagen ab. Die Richter:innen der 6. Zivilkammer erklärten die Hauptanträge der Klage für zulässig, die Kläger:innen hätten aber die CO2-Emissionen VWs zu dulden. Die Kläger:innen und ihre Anwälte kündigen weitere juristische Schritte an.
3.2.2023 - Im Rechtsstreit zwischen Ulf Allhof-Cramer und VW kündigen die Richter des Landgerichts Detmold eine abschließende Beratung über die Klage und eine Entscheidung für den 24. 2. 2023 an.
10.1.2023 - Das Landgericht Braunschweig hat die Klima-Klagen der Aktivistin Clara Mayer und der Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser und Roland Hipp gegen Volkswagen für zulässig erklärt. Für den 14. Februar ist ein Verkündungstermin festgesetzt.
6.12.2022 - Das Landgericht Braunschweig setzt einen ersten mündlichen Verhandlungstermin für die Klage am 10.01.2023, um 10:30 Uhr, an.
9.9.2022 - Der Vorsitzende Richter Manfred Pohlmeier kritisierte in Detmold einen Antrag des Klägers und fordert erneut weitere Ausführungen - lehnt die Klage aber nicht grundsätzlich ab. Er gibt bekannt, dass es am 3. Februar 2023 eine weitere mündliche Verhandlung geben werde.
20.5.2022 - Das Landgericht Detmold vertagt die Entscheidung der von Greenpeace unterstützten Klage von Ulf Allhoff-Cramer gegen VW auf den 9. September. Bis dahin geben die Richter Gelegenheit, weitere Schriftsätze einzureichen.
4.5.2022 - Das Landgericht Detmold kündigt die erste öffentliche Verhandlung zur VW-Klage am 20.5.2022 in Detmold an (Az. 1 O 199/21). Mit Unterstützung von Greenpeace klagt der Bio-Landwirt Ulf Allhoff-Cramer für mehr Klimaschutz bei VW.
30.4.2022 - Volkswagen reicht seine Klageerwiderung am Landgericht Detmold ein. Volkswagen bestreitet, für die CO2-Emissionen der von ihnen verkauften Autos während deren Nutzung verantwortlich zu sein. Der Konzern hält daher die Klage für unzulässig und beantragt bei Gericht, sie abzuweisen. In einer Stellungnahme an das Gericht weist Roda Verheyen die Klageerwiderung Volkswagens als unzutreffend zurück.
16.12.2021 – Das Landgericht Braunschweig, das auch die Diesel-Manipulationen von Volkswagen verhandelt, will zunächst ein schriftliches Verfahren durchführen und gewährt dem Konzern eine Fristverlängerung von weiteren fünf Monaten - damit muss VW erst im Juni 2022 eine Stellungnahme einreichen. Roda Verheyen kontert dies als für die Kläger:innen unzumutbar und beantragt, die Frist für die Stellungnahme der Beklagten auf drei Monate zu reduzieren.
9.11.2021 – Am Landgericht Braunschweig reichen Clara Mayer, Martin Kaiser und Roland Hipp ihre Klage gegen Volkswagen ein. Zudem unterstützt Greenpeace die identische Klage eines Bio-Landwirts vor einem weiteren deutschen Landgericht.
28.10.2021 – In einem Schreiben an die Kanzlei von Roda Verheyen lehnt Volkswagen die Unterlassungserklärung ab. Wie bereits Mercedes-Benz und BMW gegenüber der DUH erklärt haben, will auch VW bis zum Jahr 2030 nicht aus dem Verbrenner-Geschäft aussteigen.
3.9.2021 – In einer gemeinsamen Pressekonferenz kündigen Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Klagen gegen VW (Greenpeace), sowie Mercedes-Benz, BMW und den Öl- und Gaskonzern Wintershall (DUH) an. Dazu werden den Unternehmen so genannte Anspruchsschreiben zugestellt. In diesen Unterlassungsansprüchen werden die Autobauer aufgefordert, die Herstellung und den Verkauf von klimaschädlichen Verbrennern bis spätestens 2030 zu stoppen. Für diese Unterlassungserklärung wird VW eine Frist bis zum 29.10.2021 gesetzt.
"Ich habe eine #Klimaklage gegen @Volkswagen angestrengt, weil die Klimakrise uns den Boden unter den Füßen wegzieht", sagt Bio-Landwirt Ulf. Was die heutige Entscheidung für die Verhandlung bedeutet, ordnen VW-Kläger Ulf und Rechtsanwältin Roda Verheyen ein 👇 pic.twitter.com/YATZrc7AP8
— Greenpeace e.V. (@greenpeace_de) September 9, 2022
Unterlassungserklärung Mayer/Kaiser/Hipp an Volkswagen
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